Wir haben kein Stromproblem? Noch nicht! (Cicero+)
FDP-Fraktionsgeschäftsführer Johannes Vogel forderte von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) eine ernsthafte technische Prüfung. „Wir sind in der schwersten Energiekrise seit Jahrzehnten und wir wollen mutwillig aus eigener Entscheidung sichere und klimaneutrale Kraftwerke vom Netz nehmen. Das ist absurd“, sagte Vogel dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Grüne sperren sich gegen Laufzeitverlängerung
Der wartungsbedingte Lieferstopp über die Ostseepipeline Nord Stream 1 und die Befürchtung, dass Russland den Gashahn zulassen könnte, hat die Diskussion über die drei Atomkraftwerke neu entfacht. Sie sollen laut Ausstiegsbeschluss von 2011 Ende dieses Jahres für immer vom Netz gehen. Auch prominente Unionspolitiker wie Markus Söder, Friedrich Merz und Jens Spahn fordern wegen eines drohenden Gasmangels einen weiteren Betrieb der Atomkraftwerke Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2. Denkbar wäre sogar, dass auch noch die drei bereits Ende vergangenen Jahres stillgelegten Meiler wieder in Betrieb genommen werden: Brokdorf, Grohnde und Grundremmingen.
Bislang sperren sich innerhalb der Ampelkoalition vor allem die Grünen gegen eine Laufzeitverlängerung. Robert Habeck und Umweltministerin Steffi Lemke (ebenfalls Grüne) hatten in einem Prüfvermerk im März davon abgeraten. Einem kleinen Beitrag zur Energieversorgung stünden große wirtschaftliche, rechtliche und sicherheitstechnische Risiken entgegen. Eine Verlängerung der Laufzeiten brächte im kommenden Winter keine zusätzlichen Strommengen, sondern frühestens im Herbst 2023 nach erneuter Befüllung mit neuen Brennstäben. Fachleute aus der Branche haben dem jedoch vehement widersprochen. Im sogenannten Streckbetrieb könnte mehr Energie aus den vorhandenen Brennstäben herausgeholt werden.
FDP erhöht den Druck
Nun forderte FDP-Politiker Vogel von Habeck eine Bestandsaufnahme, was die Verfügbarkeit von Brennstäben für einen Weiterbetrieb angeht. „Der Energie- und Wirtschaftsminister sollte jetzt ganz kurzfristig dafür sorgen, dass wir eine saubere Inventur kriegen: Wie viele Brennstäbe in welchem Kraftwerk sind noch da? Und dann können wir weiter diskutieren.“ Der energiepolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Michael Kruse, schlug einen „Kernkraftgipfel“ vor.
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Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) hält hingegen nichts von längeren Laufzeiten. „Für die Energiewirtschaft in Deutschland ist klar: Der Ausstieg aus der Stromerzeugung aus Atomkraft ist beschlossen. Niemand in der Energiewirtschaft möchte in diese risikobehaftete und teure Technologie zurück“, sagte Hauptgeschäftsführerin Kerstin Andreae der Rheinischen Post. Dazu muss man aber wissen, dass Andreae vor Antritt dieses Jobs Bundestagsabgeordnete der Grünen war. Sie vertritt eins zu eins die Linie ihrer Partei. Den Grünen fällt es offenbar wesentlich leichter, trotz aller Klimaschutzrhetorik einer Renaissance der Braunkohle zuzustimmen, als sich von ihrer Anti-Atomkraft-Vergangenheit zu lösen.
Habecks absurde Argumentation
Robert Habeck, dem Parteikenner durchaus zutrauen, eine kernkraftpolitische Wende der Grünen intern durchzusetzen, hält sich noch bedeckt. Offiziell lehnt er die Laufzeitverlängerung zwar weiterhin ab. Allerdings sind seine Argumente so schwach und wirken bisweilen recht lustlos vorgetragen, dass man sich vorstellen kann, er lasse sich bewusst noch eine Tür offen. Denn auffallend ist: Habeck argumentiert nicht mit den Schreckensbildern eines atomaren Megaunfalls, wie es jahrzehntelang bei den Grünen üblich war, sondern er verweist auf angebliche bürokratische Hindernisse, die mit Entschlossenheit und politischem Willen allesamt aus dem Weg zu räumen wären.
Vollkommen absurd wird es, wenn Habeck behauptet, die Atomkraftwerke würden in der aktuellen Energiekrise und im kommenden Winter nichts nützen. Das sagte er erst am Dienstag wieder, als er in Wien war, um eine Kooperationsvereinbarung zur Gasversorgung zu unterzeichnen. Deutschland habe ein „Wärmeproblem, aber kein Stromproblem“, so Habeck. „Dagegen hilft Atomkraft gar nichts.“ Das ist auf mehreren Ebenen irreführend. Und wenn es der für die deutsche Energiesicherheit zuständige Bundesminister tatsächlich ernst meinen sollte, betreibt er Realitätsverweigerung.
Deutsche kaufen elektrische Heizgeräte
Deutschland hat derzeit zwar tatsächlich kein Stromproblem. Man muss jedoch hinzufügen: noch nicht. Denn wenn das Erdgas in den kalten Monaten wirklich knapp wird: Womit werden die Menschen dann wohl heizen? Wer kann, mit Holz oder Kohle. Und wer das nicht kann, weil er in seiner Wohnung keinen Ofen aufstellen darf, kauft sich eine Elektroheizung.
In den Baumärkten ist das schon jetzt zu spüren. Bei elektrischen Heizungen, Konvektoren und Heizlüftern habe sich die Nachfrage gegenüber dem Vorjahr bereits verdoppelt, teilte ein Sprecher der Baumarkt-Kette Hornbach mit. Auch die Fachhändler-Gruppe Electronic Partner (EP) verzeichnet eine steigende Nachfrage nach Elektro-Heizgeräten. „Im Hinblick auf das langjährige Mittel der Abverkäufe im Zeitraum Mai bis Juli eines Jahres sehen wir in unserer Verbundgruppe eine klare Nachfragesteigerung in diesem Jahr. Bei einigen Gerätetypen sind wir ausverkauft“, so ein EP-Sprecher. „Gleichzeitig hat sich der Vorlauf für Nachlieferungen aus aktuellen Bestellungen deutlich verlängert. Daraus kann man schließen, dass die Nachfrage, vermutlich nicht nur in Deutschland, nach Elektro-Heizgeräten deutlich gestiegen ist.“
Erneuerbare allein reichen nicht
Sollte sich die Energiekrise weiter zuspitzen, ist davon auszugehen, dass das erst der Anfang war. Fachleute warnen schon, dass die Stromnetze der Städte und Gemeinden zusammenbrechen, wenn zu viele Elektro-Heizgeräte gleichzeitig in Betrieb gehen.
Hinzu kommt, dass Habeck selbst die Umstellung von Gas- auf Elektroheizungen massiv vorantreiben will. Er hat dabei zwar keine Stromfresser aus dem Baumarkt im Blick, sondern sogenannte Wärmepumpen, die wesentlich energieeffizienter heizen. Aber sie treiben den Stromverbrauch dennoch in die Höhe. Und zwar im Winter, wenn wenig Sonne scheint und der Wind auch nicht immer so weht, wie er soll. Der Ausbau der Erneuerbaren allein ist daher keine Lösung.
Apropos Erneuerbare, der offensichtlichste Widerspruch in Habecks Argumentation ist dieser: Der Grünen-Politiker behauptet, Atomkraftwerke würden in der aktuellen Gaskrise nicht helfen, weil sie nur Strom liefern, und fordert im nächsten Atemzug, das ganze Land möglichst schnell mit Windkraftanlagen zu überziehen. Produzieren die etwa Erdgas? Oder Heizwärme? Nein, Strom. Das muss Habeck doch mal erklären: Wenn wir kein Stromproblem haben, wozu brauchen wir dann mehr Windkraft?
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