01 September 2025

Der andere Blick - Jugend ist in der Politik kein Wert an sich (NZZ)

Der andere Blick
Für Habeck rückt eine 25-Jährige nach: Jugend ist in der Politik kein Wert an sich (NZZ)
von Oliver Maksan, 01.09.2025, 3 Min
Robert Habeck geht, Mayra Vriesema kommt. Die Studentin übernimmt an diesem Montag das Bundestagsmandat des ehemaligen grünen Vizekanzlers. Sie ist seit Jahren in der Politik aktiv. Doch genau das ist das Problem.
Der Deutsche Bundestag wird an diesem Montag ein wenig jünger. Die erst 25-jährige Studentin Mayra Vriesema rückt nämlich über einen Listenplatz für den Mittfünfziger Robert Habeck nach, der kürzlich beleidigt auf sein Mandat verzichtet hat und den es jetzt ins Ausland zieht.
Aus Habecks Sicht ist das nur konsequent. Die Deutschen haben das politische «Angebot», das er ihnen als Kanzlerkandidat der Grünen gemacht hatte, schliesslich abzulehnen gewagt. Jetzt lehnt er es eben ab, sie zu vertreten.
Mit 25 schon Politikveteranin
Diese Aufgabe fällt jetzt Vriesema zu. Dabei gibt es mit Abgeordneten wie ihr ein grundsätzliches Problem. Sie sind zwar sehr bewandert im parteipolitischen Handwerk, haben aber sonst kaum Lebens-, geschweige denn Berufserfahrung.
So ist es auch mit Vriesema. Seit Jahren schon ist die junge Politikveteranin in der Landespolitik von Schleswig-Holstein aktiv. Als stellvertretende Landesvorsitzende der Grünen hat sie dort den Koalitionsvertrag mit der CDU ausgehandelt. Sie verantwortete das Kapitel Wohnen. Dem unbestreitbaren Mangel an bezahlbarem Wohnraum will sie nach eigenem Bekunden auch im Bundestag abhelfen.
Entfremdung zwischen Volk und Vertretern
Den Bundestag kennt sie schon jetzt bestens. Seit drei Jahren bereits arbeitet sie dort schließlich für eine grüne Abgeordnete. Viel Politikerfahrung also für eine junge Frau.
Doch solche Karrieren, die von der Parteijugend und der Landespolitik nahtlos in den Bundestag führen, dienen dem Vertrauen der Bürger in das Parlament eher nicht.
Schliesslich driften die Lebens- und Erfahrungswelten des Volkes und seiner Vertreter so immer weiter auseinander. Wer kein Leben ausserhalb der Politik kennt (und aufgrund seiner jungen Jahre auch nicht kennen kann), bringt ein prinzipielles Manko mit, das auch durch enge Bürgerkontakte nicht auszugleichen ist.

Problematisch ist aber neben der Selbstverkastung von Berufspolitikern auch, wenn Jugend in der Politik zum Wert an sich erklärt wird. Das hat sich besonders in der vergangenen Legislaturperiode gezeigt. Gerade links der Mitte, bei Linkspartei, Sozialdemokraten und Grünen, rückten reihenweise junge und sehr junge Abgeordnete nach.

Ihre Parteien feierten das. Der mittlerweile verstorbene Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble musste seine jungen Kollegen zu Recht daran erinnern, dass sie nicht nur ihre Altersgenossen, sondern das ganze Volk vertreten.

Emilia Fester agierte wie eine Aktivistin

Gefruchtet hat das nicht überall. Die Grüne Emilia Fester etwa, bei ihrem Einzug 2021 jüngstes Parlamentsmitglied, versah ihr Abgeordnetenmandat wie eine lupenreine Aktivistin. Dass die mittlerweile 27-Jährige sich nach ihrem verpassten Wiedereinzug ins Parlament künftig für Sea-Eye engagieren will, passt da ins Bild. Bei der NGO handelt es sich schliesslich weniger um eine Seenotrettungs- als um eine Schlepperorganisation.

Natürlich kann niemand den Parteien und Bürgern verbieten, junge und sehr junge Kandidaten zu nominieren und zu wählen. Und ohne Frage spielen mit Klimawandel, Rente und Zukunft des deutschen Wirtschaftsmodells Nachhaltigkeitsfragen eine so grosse Rolle wie vielleicht noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Dass diese naturgemäss junge Menschen stärker als ältere betreffen, liegt auf der Hand. Und vielleicht entpuppt sich Habecks Nachrückerin Vriesema als Gewinn für das deutsche Parlament.

Ausschlaggebend sollte Jugend aber für ein politisches Amt künftig nicht mehr sein. Dafür sind die Zeiten zu ernst.

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