Weltanschauung füllt Wissenslücken (Cicero)
Anlass für Theveßens Rolle in der Sendung war die Ermordung des amerikanischen Influencers Charlie Kirk. In den USA ist der junge Familienvater eine Berühmtheit. Er ist strikt konservativ, ein tiefgläubiger Christ und könnte trotzdem der Enkel von Jürgen Habermas sein. Seit Jahren tut er fast nichts anderes, als vor allem an amerikanischen Universitäten öffentliche Veranstaltungen abzuhalten und mit Vertretern des linken Spektrums zu streiten. Sein Motto: „Prove me wrong“, zeig’ mir doch, dass ich falsch liege. Auf seinen Diskussionsveranstaltungen zählte der „eigentümlich zwanglose Zwang des besseren Arguments“ (Habermas). Und dabei gewann für gewöhnlich Kirk.
Darauf Lanz ungläubig: „Habe ich das richtig verstanden, Homosexuelle sollten gesteinigt werden?“
Theveßen: „Ja, er bezieht sich dabei natürlich auf die Bibel, also dass er sagt: Da ist das Christentum wortwörtlich zu nehmen. Er hat das nicht auf die moderne Zeit angewendet, das ist tatsächlich, ähm, weitgehend natürlich. Und man kann sagen, das sind rassistische Äußerungen, das sind minderheitenfeindliche Äußerungen, das ist auch so, eindeutig, er gehört zu den Rechtsradikalen in den USA ...“
Die anderen Gäste im Studio schüttelten verständnislos den Kopf. Aber nicht über Theveßen, sondern über Kirk. Der war damit zu einem homophoben Rassisten gestempelt. Aber wahrscheinlich stimmt nichts von dem, was Theveßen vor laufenden Kameras behauptet hat.
Wie soll man beweisen, dass es kein Einhorn gibt?
Das nachzuweisen, ist natürlich nicht ganz einfach. Um ganz sicher sein zu können, müsste man dazu alle (!) Äußerungen auswerten, die Charlie Kirk in den letzten zwanzig Jahren überhaupt getätigt hat. Das ist aus ganz verschiedenen Gründen völlig unmöglich.
Also landen wir erkenntnistheoretisch beim Fall Einhorn. Wie soll man beweisen, dass es kein Einhorn gibt? Auch das geht logischerweise nicht. Dafür bräuchte man ja irgendwelche Beweise. Und dazu müssten Einhörner existieren. Dann könnte man aber gerade nicht widerlegen, dass sie existieren.
In
Sachen Einhorn läuft die Sache daher umgekehrt. Wer glaubt, dass es
welche gibt, muss Beweise dafür vorlegen. Dann werden sie geprüft. Und
wenn die nicht stichhaltig sind, ist damit nicht bewiesen, dass es keine
Einhörner gibt. Es ist nur bewiesen, dass der Beweis für ihre Existenz
gescheitert ist. Der Philosoph Karl Raimund Popper hat dazu eine ganze
Theorie entwickelt, den Falsifikationismus.
Da Theveßen in der Sendung seine Quellen nicht vorlegte, will ich auf anderen Wegen zu zeigen versuchen, dass an seinen Behauptungen nichts dran sein dürfte. Der eine funktioniert nur mit Vertrauen. Ich habe in den letzten Monaten zahlreiche Diskussionsrunden von Charlie Kirk verfolgt und meine daher, einen recht guten Einblick in sein Denken zu haben. Die von Theveßen aufgestellten Behauptungen über Kirk sind damit unvereinbar. Aber das ist ein eher schwaches Argument. Es gibt ein stärkeres.
Auch Theveßen wird nicht sämtliche Äußerungen Kirks aus den letzten zwanzig Jahren überprüft, sondern sich zur Vorbereitung bei Lanz im Internet informiert haben. Und siehe da, es sind problemlos jene Vorkommnisse auffindbar, die zu Theveßens Entstellungen geführt haben dürften. Dabei geht es um zwei Punkte.
Erstens, Kirk halte die Steinigung von Homosexuellen für legitim, weil das so auch in der Bibel stehe. Ob das wirklich in der Bibel steht, ist übrigens völlig unerheblich, wie sich gleich zeigen wird. Die Sache verhält sich nämlich ganz anders.
Charlie Kirk knöpfte sich eine amerikanische Kinderbuchautorin vor, die sich auf die Bibel berief, um Feierlichkeiten zum Pride Month bzw. Toleranz gegenüber der LGBTQ-Community mit dem biblischen Gebot der Nächstenliebe zu rechtfertigen. Und darauf entgegnete Charlie Kirk sinngemäß, dass man dann aber auch Homosexuelle wieder steinigen müsste, denn das stehe ebenfalls in der Bibel: „Ich sag’s ja nur.“
Ganz offensichtlich wollte Kirk den Anspruch der Kinderbuchautorin zurückweisen, mit dem Wortlaut der Bibel ihr eigenes Handeln zu rechtfertigen. Aber das setzt gerade logisch voraus, dass er sich eben nicht auf die Bibel berief, um die Steinigung Homosexueller zu begrüßen. Andernfalls wäre auch die Berufung der Kinderbuchautorin auf die Bibel legitimiert gewesen. Theveßen entstellte Kirks Position somit ins völlige Gegenteil. Jeder kann das selbst nachprüfen.
Der Fall Rassismus
Auch hier ist es nicht anders. Ich beschränke mich auf die Behauptung Theveßens, dass man Angst vor schwarzen Piloten haben müsse. Für Theveßen ist das ein Beleg dafür, dass Kirk sich „rassistisch“ geäußert habe. Auch hieran stimmt nichts.
Man muss hierzu wissen, dass in den USA bereits seit geraumer Zeit ein Kulturkampf tobt über die richtige Auslegung der Verfassung. Trumps Wahlerfolg und Politik erklärt sich zu erheblichen Anteilen aus dieser Tatsache.
Bereits seit Jahrzehnten wurde in den Vereinigten Staaten die Politik der „positiven Diskriminierung“ (affirmative action) betrieben, heute als DEI (diversity, equity and inclusion) bekannt. Der Kerngedanke: Wenn Schwarze oder Frauen in bestimmten gesellschaftlichen Bereichen unterrepräsentiert sind, sollen sie bevorzugt eingestellt werden. Es geht um Quotenregelungen. An amerikanischen Eliteuniversitäten war es lange Praxis, Studenten auch dann zum Studium zuzulassen, wenn sie schlechtere Leistungen vorzuweisen hatten als andere, aber zu Minderheiten gehörten. Der Oberste Gerichtshof hat diese Praxis inzwischen als verfassungswidrig untersagt.
Und genau das hält Kirk für richtig. Ein ums andere Mal betonte er, dass gesellschaftliche Positionen allein anhand von Eignung und Befähigung und nicht anhand des Merkmales „race“ verteilt werden sollten. Alles andere sei nicht nur ungerecht, sondern gefährde auch eine optimale Entwicklung der Gesellschaft.
In einem Gespräch mit einem
Schwarzen machte Kirk diesen Punkt klar: Die Fluggesellschaft United
Airlines habe sich das Ziel gesetzt, dass vierzig Prozent ihrer Piloten
Frauen oder Schwarze sein sollen. Heute seien es etwa sechs Prozent.
Das Quotenziel sei aber nur zu erreichen, wenn regelmäßig schlechter qualifizierte Schwarze besser qualifizierten Weißen vorgezogen würden. Das sei unvermeidbar: „Man muss sich im Leben entscheiden: Entweder Exzellenz oder Rassenquoten (…). Beides gleichzeitig geht nicht.“
Und genau deshalb provoziere das DEI-Programm bei Fluggästen zwangsläufig die Frage, ob denn ein schwarzer Pilot wirklich bestmöglich qualifiziert sei: „Wenn du also einen schwarzen Piloten siehst, grübelst du nach: Ist diese Person dort, weil sie es verdient hat oder weil sie dort hingesetzt wurde? Das ist es, was DEI tut: Es zwingt dich zu Fragen, die du sonst nicht hättest.“ Jeder kann nachprüfen, dass richtig ist, was ich hier behaupte. Und mit Rassismus hat all das rein gar nichts zu tun.
Nun stellt sich die Frage, ob Theveßen gelogen hat oder einfach keine Ahnung von dem hatte, worüber er bei Lanz sprach. Für die Option der Lüge spricht wenig. Man kann gar nicht so dumm sein, in Zeiten des Internets zu glauben, so etwas fliege nicht auf. Wahrscheinlicher scheint daher, dass Theveßen einfach schlecht vorbereitet war und diese Lücke mit seiner Weltanschauung füllte, um überhaupt etwas sagen zu können. Elmar Theveßen wollte im Jahr 2024 sogar der Intendant des WDR werden.
Vielleicht sollte Markus Lanz darüber nachdenken, künftig auch bei seinen „Fachexperten“ lieber einen Knopf im Ohr zu tragen.
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