04 September 2025

Gespräch zwischen Boris Palmer und AfD-Politiker Frohnmaier - Tübingen verteidigt die Streitkultur (Cicero)

Gespräch zwischen Boris Palmer und AfD-Politiker Frohnmaier
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Tübingen verteidigt die Streitkultur (Cicero)
Am Freitag will Tübingens OB Boris Palmer öffentlich mit dem AfD-Abgeordneten Markus Frohnmaier diskutieren. Gegen diese Debatte sind Proteste geplant. Wer Menschen nicht zutraut, Ideen anzuhören und danach abzuwägen, was sie von ihnen halten, vertraut letztlich der Demokratie nicht.
VON GIDEON BÖSS am 3. September 2025 4 min
Es gibt einige Sätze, die zum Fundament der Aufklärung gehören. Einer ist Immanuel Kants Aufforderung, Mut zu haben, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Ein anderer lautet sehr dramatisch: „Ich bin zwar anderer Meinung als Sie, aber ich würde mein Leben dafür geben, dass Sie Ihre Meinung frei aussprechen dürfen.“ Er soll von Voltaire stammen, was aber nicht stimmt. Verfasst wurde er Anfang des 20. Jahrhunderts von der englischen Autorin Evelyn Beatrice Hall, die damit Voltaires Denkweise zusammenfassen wollte. Nun ist dieser radikale Ansatz zwar übertrieben, und tatsächlich hat sich auch Voltaire nicht für die Meinungsäußerung eines anderen geopfert, sondern starb im hohen Alter im Bett, aber die Denkweise dahinter ist klar. Dieses Denken war der Wegbereiter unserer heutigen aufgeklärten Gesellschaft und prägt sie weiterhin. Kultur, Bildung, Wissenschaft und das Bürgertum sind ohne Aufklärung nicht denkbar.
Nun machen wir einen Sprung nach Tübingen. Dort diskutieren am Freitag dieser Woche der Bürgermeister und der Vertreter der mit Abstand größten Oppositionspartei miteinander. Und das Erstaunliche daran ist, dass das deutschlandweit für Kritik sorgt. Konkret wird Bürgermeister Boris Palmer dafür angegriffen, dass er mit Markus Frohnmaier von der Alternative für Deutschland öffentlich debattieren will. Es sind Proteste gegen diese Debatte geplant. Das ist zwar legitim, da auch die Demonstrationsfreiheit zu den Werten gehört, die ihre Wurzeln in der Aufklärung haben, aber gegen einen Meinungsstreit zu demonstrieren, ist dennoch eine höchst irritierende Angelegenheit.
Der autoritäre Wunsch, Meinungen schlicht verbieten zu können
Dahinter steht eine Mischung aus magischem Denken, laut dem befürchtet wird, dass das bloße Anhören „falscher Ideen“ die Menschen schon zu Anhängern eben dieser Ideen macht, sowie dem autoritären Wunsch, Meinungen schlicht verbieten zu können, die einem nicht passen. Falsch ist beides. Wer Menschen nicht zutraut, Ideen anzuhören und danach abzuwägen, was sie von ihnen halten, vertraut letztlich der liberalen Demokratie nicht, die vom Austausch von Ideen, vom Streit und der Debatte lebt. Wer am Freitag gegen die Diskussion zwischen Palmer und Frohnmaier protestiert, protestiert damit letztlich gegen die Fundamente unserer freien Gesellschaft.Sobald Debatten gescheut werden, geraten die Dinge in Schieflage. Debatten sind ein wichtiger Teil der Fehlerkultur in freien Gesellschaften. Wohin es führt, wenn diese nicht mehr geführt werden, haben gerade die Parteien in Köln demonstriert. Sie – mit Ausnahme der AfD – haben sich darauf geeinigt, im Kommunalwahlkampf nicht über das Thema Migration zu sprechen. Ein Problem also, das seit der Silvesternacht 2015 in besonderer Weise mit der Domstadt verbunden ist, soll aktiv ignoriert werden. Das ist nicht nur ein Affront gegenüber den Bürgern, die zu Recht besorgt über den Verlust der inneren Sicherheit sind, sondern hat auch mit Kants Forderung nichts mehr zu tun, sich seines Verstandes zu bedienen. In Köln fehlt dazu das, was Kant als Bedingung voraussetzt und was auch Voltaires Überzeugungen prägte: Mut.

Wo die AfD recht hat, hat sie recht

Boris Palmer hat hingegen nicht vor, die Aufklärung hinter sich zu lassen. Und die meisten Deutschen übrigens auch nicht. Dass der Meinungsstreit zwingend zur Demokratie gehört, ist den meisten klar. Darum ist Boris Palmer weiterhin ein populärer Politiker, der sein Bürgermeisteramt auch als parteiloser Kandidat verteidigte, nachdem man ihn bei den Grünen kaltgestellt hatte. Es ist jedenfalls ein gutes Zeichen, dass es diese öffentliche Debatte mit Frohnmaier gibt. Es sollte eigentlich im ganzen Land solche Debatten geben. Wer davor Angst hat, vertraut offenbar weder seinen Argumenten noch den Bürgern. Beides sind keine guten Voraussetzungen, um in einer Demokratie politische Verantwortung zu übernehmen.
Vermutlich ist der Versuch, die AfD aus jeder Debatte herauszuhalten, zum Teil auch der Unfähigkeit geschuldet, Fehler zuzugeben. In einigen Punkten hat sie nun mal richtig gelegen, richtiger jedenfalls als die anderen Parteien. Die Flüchtlingspolitik seit 2015 führte nicht zu einem neuen Wirtschaftswunder, wie es regierungsnahe Ökonomen prophezeiten, sondern brachte ein nicht gekanntes Maß an Gewalt über die Bundesrepublik, die weiterhin zunimmt. Wenn am Freitag Palmer und Frohnmaier miteinander diskutieren, ist das nun mal ein Punkt, den man der AfD nicht absprechen kann. Sie hat vor dieser Flüchtlingspolitik gewarnt, die anderen verurteilten sie dafür. Die anderen lagen falsch, die AfD lag richtig. Wer das nicht anerkennt, sorgt sich mehr um die Reinheit seines Weltbildes als um die Sicherheit in diesem Land. Ich bin auf jeden Fall auf das Aufeinandertreffen gespannt, dessen erster Gewinner jetzt schon feststeht: die Demokratie und ihre Streitkultur.

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