11 September 2025

Massenhafter Betrug bei Einbürgerungen: Die Sorglosigkeit des deutschen Staates ist erschreckend (NZZ)

Massenhafter Betrug bei Einbürgerungen: Die Sorglosigkeit des deutschen Staates ist erschreckend (NZZ)
Oliver Maksam, Berlin, 10.09.2025, 3 Min.
Der Pass ist das Wertvollste, was ein Land zu vergeben hat. Medienrecherchen deuten eher darauf hin, dass er verramscht wird. Für den Zusammenhalt ist das Gift.
Nachfrage schafft Angebot. Glaubt man jüngsten Recherchen der deutschen Medien «Stern» und RTL, greift dieser marktwirtschaftliche Grundsatz auch beim Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit. Von einer regelrechten Einbürgerungsindustrie ist da die Rede.
Tausendfach werden laut den Recherchen im Netz Sprachzertifikate und Nachweise für erfolgreich absolvierte Integrationskurse von Betrügern zum Kauf angeboten. Die überlasteten Behörden erkannten die Fälschungen nicht. Ausmass der so erschlichenen Einbürgerungen? Unbekannt.
Die Staatsbürgerschaft ist das Wertvollste, was ein Land zu vergeben hat. Missbrauch in einem solchen Ausmass sollte deshalb ausgeschlossen sein. Dass er wohl dennoch möglich war, offenbart eine beunruhigende Sorglosigkeit seitens des deutschen Staates. Über steigende Zustimmungswerte für die AfD müssen sich die etablierten Parteien dann nicht wundern.
Sollten die Vorwürfe zutreffen, wäre dies eine weitere faule Frucht des von der gescheiterten Ampelregierung deformierten deutschen Staatsangehörigkeitsrechts. Durch die allgemeine Zulassung mehrerer Staatsangehörigkeiten wurde der Kreis der Antragsberechtigten deutlich erweitert. Viele Nicht-EU-Bürger, die ihren Herkunftspass nicht verlieren wollten und zögerten, stellen jetzt Anträge. Gleichzeitig wurden die Hürden durch verkürzte Antragsfristen massiv gesenkt, wodurch immer mehr ehemalige Asylbewerber antragsberechtigt werden. In der Folge gibt es immer mehr Einbürgerungen.
Die Zahl in Deutschland eingebürgerter Syrer nimmt zu
So gab es im Jahr 2024 mit 291 955 Fällen so viele Einbürgerungen wie seit dem Jahr 2000 nicht. Gegenüber dem Vorjahr nahm die Zahl der Einbürgerungen um satte 46 Prozent zu.
Dieser politisch gewünschte Effekt führt zu einer Überlastung der Behörden. In Berlin findet der erste persönliche Kontakt mit dem Einbürgerungsbeamten erst bei der Abholung der Urkunde statt. Gleichzeitig wird durch gesenkte Hürden und steigende Zahlen bei vielen Antragstellern der Eindruck verstärkt, beim deutschen Pass handele es sich um eine Art Restposten, der anstrengungslos erworben werden könne – Zustellung der erforderlichen Zertifikate an die Haustür inklusive.

Deutschland als Geisterfahrer Europas

Sicher, CDU und CSU drangen in den Koalitionsverhandlungen gegenüber der SPD erfolgreich darauf, wenigstens die Turboeinbürgerung nach nur drei Jahren wieder abzuschaffen. Dennoch kann weiterhin nach nur fünf Jahren rechtmässigen Aufenthalts jeder deutscher Staatsbürger werden, der die Voraussetzungen erfüllt.

Deutschland wird durch sein Festhalten an der 2024 in Kraft getretenen Novelle im europäischen Vergleich zum Geisterfahrer. Länder wie Schweden und selbst das sozialdemokratisch regierte Grossbritannien wollen die Fristen nämlich wieder verlängern. Sie haben längst erkannt, dass Integration und Eingewöhnung in die Lebensverhältnisse des Aufnahmelandes Voraussetzung und nicht Ziel der Einbürgerung sind.

Auch CDU und CSU wollten die Fristverkürzung rückgängig machen und eine Einbürgerung wie zuvor erst nach acht Jahren ermöglichen. Ihnen fehlte aber die Kraft, sich gegen die Sozialdemokraten durchzusetzen.

Die Grünen, ehemaliger Koalitionspartner der SPD, verteidigen das von ihnen geänderte Einbürgerungsrecht ebenfalls mit Zähnen und Klauen. Auch von mutmasslichem Massenbetrug lassen sie sich nicht beirren. Ihre Bundestagsfraktion erklärte jetzt, dass man die Zertifikate künftig eben fälschungssicher machen müsse. Gleichzeitig wandte sie sich gegen eine nachträgliche generelle Überprüfung. Wer sich um den deutschen Pass bewirbt, dürfe nicht unter Generalverdacht gestellt werden.

Neubürger haben Interesse an Aufklärung

Doch eine umfassende Untersuchung muss schon im Interesse der Eingebürgerten stattfinden. Andernfalls sehen sich unbescholtene deutsche Neubürger wehrlos dem Verdacht ausgesetzt, möglicherweise auch eine illegale Abkürzung zum deutschen Pass genommen zu haben. Für die Kohäsion des deutschen Staatsvolks ist solches Misstrauen Gift.

Die deutschen Behörden müssen deshalb sorgfältig prüfen, ob Einbürgerungen von ihnen möglicherweise zu Unrecht gewährt wurden. Und wo sich herausstellt, dass betrogen wurde, muss der Weg zum deutschen Pass für immer verstellt sein. Das ist das Minimum, soll die Akzeptanz von Einbürgerungen in der Mehrheitsgesellschaft nicht erodieren.

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