17 September 2025

Konservative Amerikaner sind zunehmend empört über die Einschränkung der Meinungsfreiheit in Deutschland. Sie haben recht (NZZ)

Der andere Blick
Konservative Amerikaner sind zunehmend empört über die Einschränkung der Meinungsfreiheit in Deutschland. Sie haben recht (NZZ)
Morton Freidel, Berlin,
16.09.2025, 4 Min
Lange Zeit schauten konservative Amerikaner wenn nicht mit Wohlwollen, dann wenigstens mit Desinteresse auf Deutschland. Doch das hat sich geändert, und es hat vor allem mit der zweifellos abnehmenden Meinungsfreiheit im Land zu tun. Die Rede des amerikanischen Vizepräsidenten J. D. Vance an der Münchener Sicherheitskonferenz vor einigen Monaten bildete nur den Auftakt. Mittlerweile muss man von einer tiefen Entfremdung sprechen.
An diesem Montag empfing das Weiße Haus den von der Bürgermeisterwahl in Ludwigshafen ausgeschlossenen AfD-Kandidaten Joachim Paul, um über seinen Fall zu sprechen. Das ist ein beispielloser Schritt. Paul bekleidet kein hohes politisches Amt, er hat keinerlei außenpolitische Relevanz. Indem das Weiße Haus Paul wie einen Dissidenten behandelt, sendet es zugleich ein Signal aus in die Welt: Deutschlands Demokratie ist bedroht.
Man könnte all das abtun als späte Rache der amerikanischen Regierung für die unfreundlichen Reaktionen auf Vance’ Rede in München. Aber es handelt sich keineswegs um einen Ausrutscher. Erst kürzlich attestierte das amerikanische Außenministerium Deutschland in seinem Jahresbericht schwerwiegende Mängel im Bereich der Meinungsfreiheit. Die Empörung der Republikaner ist echt. Zwischen Deutschland und Amerika hat sich ein tiefer Graben aufgetan, wenn es darum geht, was freie Rede eigentlich bedeutet.
Sicher, die Kritik aus dem Trump-Lager ist oft heuchlerisch. Diejenigen, die in Amerika besonders auf die Redefreiheit pochen, schränken sie nicht selten bei nächster Gelegenheit selbst ein. Es widerspricht jeglicher amerikanischer Tradition, Journalisten der Nachrichtenagentur AP nur deshalb den Zugang zum Weißen Haus zu erschweren, weil sie Trumps Wortschöpfung «Golf von Amerika» ablehnen.
Das Recht zur Lüge
Genauso irrwitzig ist die Forderung von amerikanischen Rechten, dem ZDF-Journalisten Elmar Thevessen das Visum zu entziehen, weil er Falschinformationen über den ermordeten Charlie Kirk verbreitet hat. Zum Recht auf freie Rede gehört auch das Recht, schlecht informiert zu sein. Sogar das Recht zur Lüge.

Kein Wunder also, dass deutsche Politiker die amerikanische Kritik mit grosser Geste zurückweisen. Friedrich Merz bezeichnete die Kritik von Vance seinerzeit als «übergriffig», der Verteidigungsminister Boris Pistorius fand sie «nicht akzeptabel». Damit aber machen sie es sich zu einfach.

Nur weil einige amerikanische Rechte selbst eine Tendenz zum Autoritären aufweisen, liegen sie mit ihrer Kritik nicht falsch. Ihre Ferndiagnose stimmt vielmehr. In Deutschland und anderen europäischen Ländern ist die Meinungsfreiheit auf dem Rückzug. Paragraf 188 des deutschen Strafgesetzbuches, der Beleidigungen von Politikern unter Strafe stellt, hat schon jetzt zu einem enormen Flurschaden in der öffentlichen Debatte geführt.

Es ist ein Witz, jemanden für eine satirische Bildmontage der früheren Innenministerin Nancy Faeser («Ich hasse die Meinungsfreiheit») zu einer Bewährungsstrafe von sieben Monaten zu verurteilen. Das gilt erst recht für die Hausdurchsuchung bei einem Bürger, der ein Meme verbreitete, auf dem Habeck als «Schwachkopf» bezeichnet wird.

Deutschlands autoritärer Sonderweg

Nur noch vierzig Prozent der Deutschen glauben laut einer neuen Umfrage, ihre Meinung frei äussern zu können. Das müsste in einer Demokratie Anlass geben für eine Sondersendung nach der anderen. Stattdessen diskutiert Deutschland Abend für Abend über die vermeintliche oder tatsächliche Gefahr, die von der AfD ausgeht. Übersehen wird dabei die autoritäre Gefahr, die vom «Kampf gegen rechts» ausgeht.

Dafür steht insbesondere der Fall Joachim Paul. Es steht ausser Zweifel, dass sich ein Bürgermeisterkandidat zur demokratischen Grundordnung bekennen muss. Es müssen dann aber auch alle Zweifel an seiner Gesinnung ausgeräumt sein. Bei Paul scheint das nicht der Fall gewesen zu sein, im Gegenteil. Das Gutachten des Verfassungsschutzes von Rheinland-Pfalz ist durchzogen von einem irritierenden Belastungseifer und hanebüchenen Vorwürfen. Hier gerät das Konzept der «wehrhaften Demokratie» offenkundig an seine Grenzen.

Deutschland hat beim Kampf gegen den global im Aufwind begriffenen Rechtspopulismus einen autoritären Sonderweg eingeschlagen. Die Amerikaner haben das nur früher als viele andere erkannt.

Wer meint, dass solche Kritik nur aus dem Trump-Lager kommt, sollte genau hinsehen. Zum Beispiel bei der Late-Night-Show von Bill Maher. Der Komiker ist beileibe kein Sprachrohr der Republikaner, er setzt sich parteipolitisch regelmässig zwischen alle Stühle. Nach dem Mord an Charlie Kirk aber sprach er über die grosse Bedeutung der Meinungsfreiheit auf der Welt. Um zu belegen, wie stark sie in Gefahr sei, führte er mehrere absurde Beispiele an. Eines davon stammte aus Deutschland.

Nicht einmal klassische Liberale begreifen noch, was beim grenzenlosen Kampf gegen «Hass und Hetze» geschieht. Die Kritik von Vance und Co. mag in Deutschland nur wenige beunruhigen. Die Kritik von Maher sollte es.

Die Kritik aus dem Trump-Lager an der abnehmenden Meinungsfreiheit in Deutschland ist oft heuchlerisch. Deshalb ist sie aber noch lange nicht falsch.

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