12 September 2025

Anna Schneider ist so frei - WELT News-Letter "Schon sclimm, war aber auch eine Rechtsradikaler"

"Schon schlimm, war aber auch ein rechtsradikaler"
Anna Schneider ist so frei - WELT News-Letter
Liebe Leserin, lieber Leser,
es sage viel über eine Person aus, wie sie auf den Tod eines Menschen reagiere, schrieb der am vergangenen Mittwoch ermordete Charlie Kirk am 27. November 2016 auf X, damals noch Twitter. Und wie recht er damit behalten sollte, wurde in den vergangenen Tagen offenbar. Als wäre kurz das Licht angegangen, sah man einige Menschen noch klarer als eh schon – und mit ihnen die Auswüchse einer vermeintlich progressiven Ideologie, die jedes Maß verloren hat.
Sie bringt moralisches Verderben über die Welt.

Jemand wie Charlie Kirk war der Meinung, die politische Linke liege falsch. Und unter dieser Prämisse – „prove me wrong", also „widerlege mich" – war er gewillt, so ziemlich alles zu debattieren. Umgekehrt allerdings halten viele linke Zeitgenossen die politische Rechte nicht nur für inhaltlich falsch abgebogen, sondern für das genuin Böse. Anders ist kaum zu erklären, weshalb Kirks Tod nicht wenige dazu bringt, auf Social Media Jubelvideos hochzuladen. Als wäre ihnen jegliche Menschlichkeit abhanden gekommen, als wäre die Ermordung einer Person, ganz gleich welcher politischen Ausrichtung, nicht immer das schrecklichst mögliche Ereignis. Doch offenbar ist bisweilen nicht einmal mehr diese humanistische Basis im gesamten freien Westen vorhanden, was vieles ist, nur kein Anlass zu irgendeiner Art von Freude.

Und obwohl man sich darauf – hoffentlich zumindest – im zivilisierten Teil der medialen Landschaft wird einigen können, konnte man dieser Tage schon auch noch anderes beobachten, und zwar das große „Aber“. Frei nach dem Motto: Schon schlimm, aber er war ja auch ein Rechtsradikaler. Es ist keine Überraschung, dass es wieder einmal der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist, der die Möglichkeiten journalistischer Abgründe zum Strahlen bringt. „Dass es nun Gruppen gibt, die seinen Tod feiern, ist mit nichts zu rechtfertigen, auch nicht mit seinen oftmals abscheulichen, rassistischen, sexistischen und menschenfeindlichen Aussagen. Offensichtlich hat der radikal-religiöse Verschwörungsanhänger aber auch genau damit einen Nerv getroffen“, sagte Dunja Hayali am Donnerstagabend im „ZDF heute-journal“. Auf Belege für diese Vorwürfe wartet man zumindest in dieser Sendung vergeblich. Und später durfte der Leiter des ZDF-Studios in Washington, Elmar Theveßen, in Markus Lanz‘ Sendung unter anderem die Falschnachricht verbreiten, Kirk habe gesagt, dass Homosexuelle gesteinigt werden müssen. Macht dann 18,36 Euro.

Klingt alles ein bisserl so, als wäre Charlie Kirk für seinen Tod eh auch selbst verantwortlich gewesen („Tod eines Brandstifters“, wie etwa auch der „Tagesspiegel“ ungeniert titelte). Dabei waren es seine politischen Gegner in der Politik und in den Medien, die über Jahre nicht müde wurden, jeden als Faschisten zu brandmarken, der darauf bestand, dass Frauen keinen Penis haben, um nur ein sehr prominentes Beispiel zu nennen. Die tragische Ironie liegt darin, dass nun die, die stets behaupteten, dass Sprache Gewalt sei, sich selbst widerlegt haben. Nicht Sprache, sondern Gewalt ist Gewalt, oder, um es mit Charlie Kirk zu sagen: „Wenn Menschen aufhören zu reden, kommt es zu Gewalt.“ Fragt sich nur, wer hier eigentlich das Monster sein soll.

Dass es generell sehr viel damit zu tun hat, wer (von wem) ermordet wird, um medial überhaupt vorzukommen, zeigte traurigerweise erst in den Tagen vor Kirks Tod ein anderer Mord in den USA. Dort wurde in Charlotte im Bundesstaat North Carolina im August eine junge Ukrainerin vor laufender Überwachungskamera von einem Mann in der Bahn erstochen. Ohne X wüsste man allerdings hierzulande lange nicht einmal, dass die Tat geschehen war (WELT hatte berichtet). Eine weiße Ukrainerin, die von einem obdachlosen, schwer kriminellen Schwarzen erstochen wird, das kriegen die Köpfe so einiger sogenannter Medienschaffender wohl nicht ganz zusammen. Immerhin passt der Mann ziemlich perfekt in die identitätspolitisch-isolierte Opferkiste, kann also nicht so richtig kritisiert, ja nicht einmal benannt werden. Eine toxische, im Grunde suizidale Empathie mit Tätern, die jenen wohlkonstruierten Opferstatus genießen, gipfelt auch hier in moralischer Totalverwahrlosung.

Zur besseren Veranschaulichung sei an dieser Stelle an den gewaltsamen Tod von George Floyd und seine Folgen erinnert. Die Proteste und Ausschreitungen wegen Rassismus sowie die „Defund-the-police“-Rufe waren nicht nur überall auf den Straßen zu sehen, sondern auch omnipräsent in der medialen Welt. Berlin bekam im Jahr 2021 sogar einen George-Floyd-Sportplatz. Und für Iryna Zarutska – so hieß die ermordete Ukrainerin – gibt es nicht einmal wirklich öffentlich-rechtliche Berichterstattung. Oh, doch, Pardon. Auf Instagram ist auf dem Kanal der Tagesschau seit Donnerstag dieser Woche (!) zu lesen: „Wie der Mordfall in den USA politisiert wird“. Denn das ist der wesentliche Kern dieses Falles, ganz bestimmt. Nur, falls sich wirklich noch jemand fragt, weshalb man für gewisse Teile der journalistischen Zunft wohl auch latente Abneigung empfinden könnte.

Kämpft ziemlich mit dieser Woche,

Ihre

Anna Schneider

WELT Chefreporterin Freiheit

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