22 September 2025

Wahl in Ludwigshafen - Mehr Demokratie wagen! (WELT+)

Wahl in Ludwigshafen

Mehr Demokratie wagen! (WELT+)
Von Ulf Poschardt, Herausgeber WELT, „Politico“, „Business Insider“, 22.09.2025, 4 Minuten
Die Bürgermeisterwahl in Ludwigshafen zeigt, wohin „Unsere Demokratie“ steuert: Nach dem Ausschluss des AfD-Kandidaten gingen nur 29,3 Prozent zur Wahl, davon wählten 9,2 Prozent ungültig. Das Erschreckende ist das Schulterzucken, mit dem dieser stille Protest ignoriert wird.
Unsere Demokratie, dieses Erfolgsmodell der politischen Debatten der jüngsten Gegenwart – das steht in Ludwigshafen noch für genau 29,3 Prozent der Wähler. So viele sind nach dem Verbot des AfD-Kandidaten, über den man so allerlei sagen kann und wahrscheinlich auch muss, überhaupt noch zur Bürgermeisterwahl gegangen. Der im ersten Wahlgang siegreiche CDU-Kandidat Klaus Blettner, der nun gegen den SPD-Mann Jens Peter Gotter in die Stichwahl muss, bekam gerade einmal 12.900 Stimmen – bei rund 122.000 Wahlberechtigten also nur grob jede zehnte Stimme.
Nicht nur ist die Wahlbeteiligung deutlich unter ein Drittel der Bürger gesunken, sondern von diesem Anteil hat auch noch jeder Zehnte, nämlich 9,2 Prozent, eine ungültige Stimme abgegeben. Die Leute haben den Wahlzettel bewusst zum Protest gegen eine – in ihren Augen – juristische Beschränkung der demokratischen Wahlfreiheit genutzt.
Nun mag man eine Oberbürgermeisterwahl in Ludwigshafen für ein Nebengeräusch der bundesrepublikanischen Seelenlage halten oder für einen kleinen Betriebsunfall des Erfolgsmodells „Unsere Demokratie“. Aber wenn man sich die Zahlen genauer ansieht, dann entdeckt man, dass es längst auch im Westen Deutschlands tektonische Verschiebungen gibt, die von Politikern, Journalisten und Intellektuellen verdrängt und bagatellisiert werden.
Die Delegitimierung einer Demokratie, die von immer mehr Bürgern als defizitär wahrgenommen wird, drückt sich in diesem stillen Protest aus, der gewissermaßen die Resignation vor der Rebellion abbildet. Dagegen gehen die linken Eliten, die bis in die Merkel-CDU reichen, in letzter Zeit gerne lautstark und selbstbewusst auf die Straße, um „Unsere Demokratie“ zu verteidigen, und zwar „gegen rechts“ – was in der Praxis vor allem heißt, dass sie ihr Recht verteidigen, weiterhin zu entscheiden, was entschieden werden darf. Dagegen wählen die Ludwigshafener den antiidyllischen Gestus eines postheroischen Protestes: Ausdrucksform einer Bevölkerung, die mit der Idee des sogenannten Stimmviehs wenig anfangen kann.
Ludwigshafen verdeutlicht, was auf Deutschland zukommen könnte, wenn das Verbotsverfahren gegen die AfD tatsächlich angestrengt und im Zweifel wie auch immer durchgedrückt wird – durch eine unter Umständen anpolitisierte Justiz. Die altbundesrepublikanische Treue zu Karlsruhe und das Vertrauen in die unbestechliche Weisheit des Verfassungsgerichts haben durch die ideologische Kandidatenpolitik der SPD eh schon gelitten.
Doch die Apologeten des Status quo lassen diesen Einspruch nicht gelten. Das Erschreckende am Ergebnis von Ludwigshafen ist das gemeinhinnige Schulterzucken – über eine derartige Erosion der Demokratie. Fast mit Erleichterung nimmt man im bürgerlichen Lager zur Kenntnis, dass am Ende ja doch die CDU vor der SPD liegt und sonst nur noch die Clowns von Volt und irgendeiner Ein-Mann-Partei im Rennen waren. So geht das politische Establishment zur Tagesordnung über – obwohl die Bürger von Ludwigshafen doch unmissverständlich gezeigt haben, dass dieses Angebot für sie indiskutabel ist.

Ludwigshafen steht für das Scheitern der Berliner Republik an den realen Problemen der Menschen. Die Migration hat dort Elendsviertel hervorgebracht – Lebensräume, in denen die etablierten Eliten ganz sicher nicht wohnen, in denen aber diejenigen wohnen, die der Politik mit ihrer Stimmabgabe wohl gerne einen Denkzettel erteilt hätten. Doch diesen Denkzettel können sie sich nun „sonst wohin stecken“ – entweder, weil die AfD den falschen Kandidaten aufgestellt hat, oder aber, weil bei der Abwägung machtpolitischer Interessen auch andere Faktoren über das demokratische Aufgebot entschieden haben. Man muss dabei weder den Wahlausschuss der Stadt Ludwigshafen dämonisieren noch den Verfassungsschutz, um zu der Einsicht zu gelangen, dass diese Nicht-Zulassung des AfD-Manns ein Eigentor war.

Ludwigshafen ist eine Stadt im freien Fall. Seit Jahren wächst der Anteil nichtdeutscher Tatverdächtiger, und da sind die Deutschen mit Migrationshintergrund noch gar nicht mitgerechnet: In der aktuellen Kriminalitätsstatistik der Stadt (2024) liegt der Anteil bei 47,3 Prozent, im Jahr davor betrug der Anteil 45,5 Prozent. Die Glücksversprechen der Bonner Republik gelten, auch dank der Deindustrialisierung von BASF, nur mehr bedingt. Die Wachstumsgaranten schwächeln oder fahren gegen die Wand. Und all jene, die erleben, dass nichts mehr so funktioniert, wie sie es kannten, die ihre Kinder in Schulklassen schicken müssen, in denen Bildung unwahrscheinlich ist – sie alle wollen keine Fortschreibung des Status quo, sondern einen Neustart.

Diese Menschen können die Sonntagsreden der oberen gebildeten Mittelschicht nicht mehr ertragen. Reden, in denen weltanschauliche Hobbys gepflegt werden, während die Fundamente des Wohlstands erodieren. Und so ist es mit diesem Leitartikel wie mit jenen Sonntagsreden: Man hat das alles schon tausendmal gesagt und gehört. Man setzt auf Einsicht, man hofft auf jemanden, der fähig wäre zu reagieren. Aber beides fehlt.

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