23 September 2025

Merz' Rücksicht auf den „sensiblen“ Klingbeil - Der Kanzler badet gerne lau (Cicero)

Merz' Rücksicht auf den „sensiblen“ Klingbeil
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Der Kanzler badet gerne lau (Cicero)
Der Bundeskanzler bittet seine Parteifreunde, den Koalitionspartner vor Kritik zu schonen. SPD-Chef Lars Klingbeil sei schließlich „sehr empfindlich“. Soviel Rücksichtnahme ist von der SPD undenkbar. Mit seiner Suche nach Harmonie sendet Merz erneut ein Signal seiner Harmlosigkeit.
VON FERDINAND KNAUSS am 23. September 2025 3 min
Zwischen Witz und Wirklichkeit, zwischen realer Politik und ihrer satirischen Veräppelung ist heute oft nicht leicht zu unterscheiden. Manche Meldung aus dem Berliner Politikbetrieb prüft man lieber noch mal nach: Kanzler und CDU-Chef Friedrich Merz fordert seine Parteifreunde in der Fraktionssitzung auf, die SPD und vor allem deren Chef Lars Klingbeil nicht mehr öffentlich zu kritisieren, denn der sei schließlich „sehr empfindlich“.
Hat das der Postillon erfunden, um Merz zu veräppeln? Offenbar nicht. Die Meldung kommt von Table-Media, und die Autoren Stefan Braun und Michael Bröcker sind für gewöhnlich gut über den Berliner Politikbetrieb informiert. In Bild wird Merz ähnlich zitiert: Klingbeil sei „sehr sensibel“. 
Würde Klingbeil den sensiblen Merz schonen?
Die Bitte, Klingbeil und die SPD generell vor Kritik zu schonen, äußerte Merz demnach im unmittelbaren Zusammenhang mit dem koalitionsinternen Streit um vermeintlich fehlende Mittel für den Straßenbau. Laut Table ging es auch generell um Merz‘ Wunsch, dass die Koalition schneller handeln müsse. „Viele Dinge bleiben zu lange liegen“, habe Merz gesagt, und dass sich das ändern müsse, um den Unternehmen zu zeigen, „dass wir dran sind“.
Den offenbar unfreiwillig satirischen Touch seiner Bitte bemerkten – wie kann es auch anders sein – laut Bild auch die zuhörenden Unionsabgeordneten. Es habe „Heiterkeit“ geherrscht, „schließlich sei auch Friedrich Merz nicht für seinen offenen Umgang mit Kritik bekannt“. Nur: Kann man sich vorstellen, dass Klingbeil seine Genossen bittet, den sensiblen Merz zu schonen? Wohl kaum. Hat Bärbel Bas auf Merzens Sensibilität Rücksicht genommen, als sie seine Aussagen zum Sozialstaat indirekt als Bullshit bezeichnete? Natürlich nicht.  
Diese Episode der schwarz-roten Koalition belegt wieder einmal, wer in ihr die Hosen anhat. Eben nicht der Kanzler, sondern der Finanzminister und Chef der 16,4-Prozent-SPD. Letzterer hatte wenige Tage vorher erst bewiesen, dass er auf Empfindlichkeiten von Unionspolitikern nicht die geringste Rücksicht nimmt. Im Streit um den Straßenbau hatte Klingbeil mit einem unterkühlten Brief an den „Herrn Kollegen“ (also CDU-Verkehrsminister Schnieder) verlangt, „über den aktuellen Stand des Mittelabflusses bei den Straßenprojekten“ informiert zu werden. Angeblich verweigert er derzeit sogar das direkte Gespräch mit Schnieder.

Merz signalisiert nicht Harmonie, sondern Harmlosigkeit

Solche Signale werden im Politikbetrieb und in der Öffentlichkeit eindeutig verstanden werden. Merz, so muss man folgern, hat die höchste Machtposition in Deutschland erreicht, weiß aber nicht, wie Macht funktioniert. Er glaubt offenbar tatsächlich, durch Rücksichtnahme auf den Machtprofi Klingbeil koalitionsinterne Harmonie erzeugen zu können. Doch tatsächlich belegt Merz immer wieder in Worten und Taten nur seine Harmlosigkeit. Und die überzeugt am Ende auch keinen Wähler. Klingbeil dagegen weiß: Wer Schwäche zeigt, hat schon verloren. 

Über Willy Brandt soll Herbert Wehner 1973 einmal gesagt haben: „Der Kanzler badet gern lau so in einem Schaumbad.“ Verglichen mit Friedrich Merz war Brandt wahrscheinlich geradezu ein Eisbadender. Wehner hatte damals außerdem gesagt: „Was der Regierung fehlt, ist ein Kopf.“ Was dem heutigen Kanzler fehlt, ist nicht der Kopf, sondern etwas deutlich kleineres, aber entscheidendes

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