17 September 2025

Der andere Blick Der Fall Jan Marsalek zeigt: Deutsche Ermittler hinken dem technischen Fortschritt hinterher. Höchste Zeit, dass sich das ändert (NZZ)

Der andere Blick
Der Fall Jan Marsalek zeigt: Deutsche Ermittler hinken dem technischen Fortschritt hinterher. Höchste Zeit, dass sich das ändert (NZZ)
von Anna Schiller, Berlin, 17.09.2025,3 Min
Journalisten spürten den früheren Wirecard-Manager in Russland auf. Dafür nutzten sie Daten aus dem Internet und moderne Software. Den Sicherheitsbehörden bleiben diese Methoden jedoch verwehrt. Das ist absurd.
Der frühere Wirecard-Manager Jan Marsalek scheint sich in seiner neuen Heimat Russland sicher zu fühlen. Er spaziert händchenhaltend mit seiner Freundin durch Moskau, lässt sich Haare auf die fortschreitende Glatze transplantieren und geht regelmässig ins Büro – das sich wohl in der Zentrale des russischen Geheimdienstes FSB befindet. Ein erstaunlich exponiertes Leben für einen Mann, gegen den der deutsche Generalbundesanwalt wegen Spionage ermittelt.
Diese Details aus seinem Alltag hat eine Gruppe von Journalisten herausgefunden. Über ihre Recherche geben sie offen Auskunft. Sie mussten dafür noch nicht einmal nach Russland reisen, sondern haben einfach geleakte Daten aus dem Internet sowie Aufnahmen von Überwachungskameras mit einer Gesichtserkennungssoftware und künstlicher Intelligenz durchforstet.
Das deutsche Recht setzt den Behörden zu enge Grenzen
Auf ähnliche Weise spürten Podcaster vor einigen Jahren auch die untergetauchte RAF-Terroristin Daniela Klette auf. Mittels einer Gesichtserkennungssoftware fanden sie Fotos von ihr auf Facebook. Ihr Capoeira-Verein in Berlin hatte die Bilder hochgeladen. Die Suche dauerte nicht länger als eine halbe Stunde.
Anders als Klette, die einige Zeit nach der Veröffentlichung des Podcasts festgenommen wurde, wird Marsalek wohl glimpflich davonkommen. In Russland ist er dem Zugriff deutscher Behörden entzogen. Eines haben beide Fälle jedoch gemeinsam: Sie zeigen auf, wie gut Journalisten inzwischen geheimdienstliche Arbeit machen. Und damit auch, wie machtlos deutsche Ermittler sind.

Kein Wunder, das deutsche Recht setzt den Behörden enge Grenzen. Zu enge Grenzen. Einige Bundesländer nutzen zwar bereits Software des amerikanischen Unternehmens Palantir. Sie wertet grosse Datenmengen aus und stellt Verbindungen her.

Privatpersonen können mehr als die Behörden

Doch die Behörden können die Vorteile des Programms nicht einmal im Ansatz ausspielen. Sie verknüpfen damit selbst bei eindeutigen Fällen wie Terrorismus nur Daten, die sie ohnehin schon haben. Anders als Journalisten dürfen sie nicht einfach das Internet mit einer Gesichtserkennungssoftware nach Verdächtigen durchforsten oder nach Belieben geleakte Datensätze mittels künstlicher Intelligenz auswerten.

Das bedeutet zwar nicht zwangsläufig, dass die Ermittler im Fall Marsalek völlig im Dunkeln tappen. Es ist gut möglich, dass sie doch etwas über seinen Werdegang wissen und nur kein Interesse daran haben, diese Informationen öffentlich zu teilen. Was allerdings ein Fahnder dem «Spiegel» sagte, lässt tief blicken. Man hoffe hauptsächlich darauf, dass sich Marsalek eines Tages freiwillig stelle oder zufällig erkannt werde, sagte er. So klingt keine Behörde, die Bescheid weiss.

Im Prinzip kann inzwischen jede einigermassen technisch versierte Privatperson im Internet nach einer verflossenen Liebe suchen oder den unliebsamen Nachbarn stalken. Programme zur Gesichtserkennung kann man sich einfach herunterladen. Einige davon sind anfangs sogar gratis.

Die Verweigerung moderner Technik ist absurd

Die deutschen Ermittlungsbehörden dürfen das allerdings nicht. Noch nicht einmal, um damit im Internet nach Personen zu suchen, die weitaus schlimmere Taten als Klette oder Marsalek begangen haben. Sie müssen Verbrechen des 21. Jahrhunderts weitestgehend mit den Methoden des 20. Jahrhunderts aufklären. Das ist absurd.

Sicher, die Nutzung und Auswertung solcher Daten durch den Staat birgt Gefahren. Autokratische Systeme überwachen damit ihre Bürger immer engmaschiger. Zu Recht gelten für den Einsatz so umfassender digitaler Überwachungsmethoden in liberalen Demokratien hohe Hürden.

In Deutschland hat die Angst vor einem solchen Datenmissbrauch allerdings zu einem Extrem geführt. Den Sicherheitsbehörden sind die Hände gebunden. Sie müssen zuschauen, wie Journalisten für sie die Arbeit erledigen. Sie drohen zu zahnlosen Tigern zu werden.

Die deutsche Regierung sollte endlich einen vernünftigen Mittelweg einschlagen. Die Gesetze sollten die Daten unbescholtener Bürger schützen, die Ermittlungsbehörden aber nicht kastrieren. Zugegeben, das ist keine leichte Abwägung. Doch wenn sich die deutsche Regierung weiter dagegen sperrt, wird sie auch künftig den Aufenthaltsort prominenter Verdächtiger aus der Presse erfahren.

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