In
der SPD beschäftigt man sich mit dem eigenen Kurs.
Bürgermeisterkandidaten, die in den vergangenen Wochen intensivsten
Kontakt mit der Basis hatten, wünschen sich die alte Arbeiterpartei
zurück, die nicht Orchideenthemen behandelt und auch nicht den
Sozialhilfeempfänger zuerst bedient, sondern den klassischen Arbeiter
und den kleinen Angestellten ins Blickfeld rückt.
Sören Link, Oberbürgermeister von Duisburg, ist einer der Unzufriedenen. Er sagt:
"Die SPD ist für mich die Partei der Arbeit, der Arbeitenden – deshalb bin ich 1993 eingetreten. Wir müssen gemeinsam wieder dahin kommen, dass wir bundesweit auch so wahrgenommen werden. "
Und weiter:
"Wer jeden Morgen aufsteht und zur Arbeit geht oder sein Leben lang gearbeitet hat, muss am Monatsende deutlich mehr auf dem Konto haben als jemand, der es sich in unserem Sozialsystem bequem gemacht hat. Wenn wir dieses Ungleichgewicht nicht korrigieren, dann fühlen sich die Menschen – und ich muss es so deutlich ausdrücken – verarscht."
Auch Genosse Martin Schilling aus der Parteibasis in Bonn warnt vor dem Bedeutungsverlust der SPD:Wer im Bund Wahlen gewinnen will, muss in NRW über 30 Prozent holen.
Zur Erinnerung: In ihrer Hochphase holte die SPD bei
der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen über 46 Prozent. Am Sonntag
fuhr sie ihr schlechtestes Ergebnis ein: 22,1 Prozent.
Der Kurs
einer strikten Reformverweigerung – Stichwort „Bullshit“ – hat sich
offenbar nicht ausgezahlt. Dennoch waren die Gremien am Montag zu keiner
Kurskorrektur bereit. Schließlich ist das große „Desaster“ (Bas) ausgeblieben. Na dann.
In der CDU ist man froh darüber, dass die schwierige
Performance der Großen Koalition nicht auf das Wahlergebnis in NRW
durchgeschlagen hat. Mit 33,3 Prozent konnte man das kommunale
Wahlergebnis von 2020 annähernd halten, weshalb der große Katzenjammer
ausblieb.
Die Diskussion in der CDU dreht sich nicht um die Programmatik der Partei.
Die heutige CDU ist ganz bei sich. Sie will die Wirtschaftswende, das
heißt die Angebotsbedingungen der Wirtschaft verbessern, die Bürokratie
zurechtstutzen und den Sozialstaat beziehungsweise dessen
Expansionstempo bremsen.
Die Diskussion der Union dreht sich vielmehr um die strategischen Möglichkeiten künftiger Koalitionen. Durch die Brandmauer zur AfD – ein Parteitagsbeschluss von 2018 – befindet sich die Bundes-Union de facto in einer Zwangsehe mit der SPD. Innerhalb dieser Beziehung kann sich Merz, weil er parlamentarisch erpressbar geworden ist, erkennbar nicht durchsetzen. Hier setzen die Überlegungen des ehemaligen Vorsitzenden der CDU-Grundwertekommission, Professor Andreas Rödder, an.
Rödder ist Professor für Neueste Geschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und Mitbegründer der Denkfabrik Republik21. The Pioneer hat ihn gebeten, seine Sicht auf die Regierungsfähigkeit der Union und die Umsetzung des Wählerwillens darzulegen.
Denn obwohl sich eine deutliche Mehrheit der Wähler im Bund rechts der
Mitte gebildet hat, wird das Land links der Mitte regiert. Seine Analyse: Während
55 Prozent der Wähler bei der letzten Bundestagswahl für nicht-linke
Politik gestimmt haben, sehen sich die Unionsparteien diesseits der
„Brandmauer“ einer Mehrheit linker Parteien gegenüber. Die Folge sind
linke Regierungsbeteiligungen trotz rechter Mehrheiten. Diese
Regierungsbildungen sind legitim, erzeugen aber eine Spannung zwischen
Wählerwillen und politischer Repräsentation, die auf Dauer abgebaut
werden muss oder zu einer Eruption führt.
Seine erste Schlussfolgerung lautet:
Die
politische Rechte ist die zentrale politische Kampfarena der nächsten
Jahre. Die entscheidende Frage ist, ob es bürgerlicher Politik gelingt,
das Pendel in der rechten Mitte abzufangen – oder ob es nach rechtsaußen
durchschlägt.
Das führe zu einer „historischen Verantwortung der Union“:
Die
AfD ist mittlerweile in Schlagdistanz zur Union gerückt, während die
„Brandmauer“ die Regierungsbeteiligung von SPD oder Grünen garantiert
und die deutsche Christdemokratie in den eisernen Käfig der Abhängigkeit
von linken Parteien zwingt. Die Folge ist ein Teufelskreis:
Konzessionen der Union nach links, wachsende Unzufriedenheit bei der
Mehrheit nicht-linker Wähler und weitere Zuwächse der AfD.
Rödder führt seine Gedanken zu Ende und kommt zu folgender
Konsequenz, die deutlich über die derzeitige Beschlusslage der CDU
hinausgeht:
Ein strategischer Umgang der Union mit
der AfD bedeutet, die „Brandmauer“ durch rote Linien zu ersetzen. Dabei
sind zwei rote Linien zu unterscheiden: erstens die des
verfassungsrechtlich Zulässigen, an der es nichts zu diskutieren gibt;
und zweitens die des politisch Zustimmungsfähigen, an der es
demokratisch hart zu streiten gilt.
Die Folge für die Union:
Die Union kann
mit gutem Beispiel vorangehen und innerhalb der roten Linien
selbstbewusst die harte Auseinandersetzung in der Sache führen. Dabei
kann sie die Bruchlinien adressieren, die sich mittlerweile in der AfD
selbst abzeichnen: Russland, Remigration – und die Inhalte der
anstehenden Reformpolitik. Wenn sich ein Gespräch mit der AfD dann als
nicht möglich erweist, war es zumindest den demokratischen Versuch wert.
Den gesamten Essay von Professor Rödder lesen Sie hier.
Die Diskussion ist damit eröffnet. Ihre Meinung zum Dilemma der SPD und
den strategischen Möglichkeiten und auch Limitierungen der Union würden
mich sehr interessiere.
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