04 September 2025

Mafiaboss freigelassen, Rentnerin verurteilt - Die Justiz ist am Nichtfunktionieren des Staates mitschuldig (Cicero)

Mafiaboss freigelassen, Rentnerin verurteilt
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Die Justiz ist am Nichtfunktionieren des Staates mitschuldig (Cicero)
Einer der übelsten Bosse der organisierten Kriminalität wird freigelassen, weil das Frankfurter Oberlandesgericht ihm ein Verfahren in der Türkei ersparen will. Solche „Grundsätze“ zerstören nicht nur das Vertrauen der Bürger, sondern den Staat selbst.
VON FERDINAND KNAUSS am 3. September 2025 5 min
„Der Staat funktioniert nicht mehr gut.“ Die Feststellung von Andreas Voßkuhle, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts, ist längst Allgemeingut. Bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen wie bei allen anderen in Deutschland ist dieses Empfinden eine Art Tiefensound. Ministerpräsident Hendrik Wüst bestätigte das indirekt, indem er bei seinem Auftritt mit Bundeskanzler Friedrich Merz in Münster betonte, dass die Bürger in den Kommunen unmittelbar sähen, wie und ob der Staat funktioniert.
Ein in der politischen Debatte und in der von Voßkuhle geleiteten „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ weitgehend ignoriertes Zentrum des Nicht-mehr-Funktionierens in unserem Staat ist Voßkuhles eigenes Metier, die Rechtsprechung. Deutsche Richter trafen in jüngerer Zeit zahlreiche Entscheidungen, die nicht nur dem Gerechtigkeitsempfinden der meisten Menschen radikal widersprachen und somit die Achtung der Bürger vor der Justiz und dem Rechtsstaat schadeten, sondern die tatsächlich dazu geeignet sind, den Bürgern und damit dem Gemeinwesen unmittelbar zu schaden.
Jüngstes, haarsträubendes Beispiel: Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main hat in Einvernehmen mit dem dortigen Oberlandesgericht einen mutmaßlichen türkischen Mafia-Chef nach seiner Festnahme wieder freigelassen. Tagesschau.de schreibt über Ismail A.: „Laut türkischen Medien ist er Anführer der Gruppierung ‚Casperler‘. Demnach werfen türkische Behörden der Gruppe insgesamt 116 Straftaten vor – darunter Mord, schwerer Raub, Drogenhandel, Prostitution und Freiheitsberaubung. Im Juli fanden den Medienberichten zufolge umfangreiche Razzien gegen die Gruppierung statt.“ In mehreren europäischen Staaten wird gegen ihn ermittelt.
Dieser Mann ist also offenkundig einer der übelsten Gewaltverbrecher der Türkei und Europas, der mit Interpol-Haftbefehl gesucht wird. Er ging der deutschen Polizei auf einer hessischen Autobahnraststätte in die Falle. Vier Tage nach der Festnahme ist der Mann allerdings aus der „Festhaltehaft“ entlassen worden. Im Klartext: Der Mafiaboss ist wieder frei, alle Fahndungarbeit und der für die Polizisten hochgefährliche Einsatz waren umsonst.

Gespräch zwischen Boris Palmer und AfD-Politiker Frohnmaier - Tübingen verteidigt die Streitkultur (Cicero)

Gespräch zwischen Boris Palmer und AfD-Politiker Frohnmaier
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Tübingen verteidigt die Streitkultur (Cicero)
Am Freitag will Tübingens OB Boris Palmer öffentlich mit dem AfD-Abgeordneten Markus Frohnmaier diskutieren. Gegen diese Debatte sind Proteste geplant. Wer Menschen nicht zutraut, Ideen anzuhören und danach abzuwägen, was sie von ihnen halten, vertraut letztlich der Demokratie nicht.
VON GIDEON BÖSS am 3. September 2025 4 min
Es gibt einige Sätze, die zum Fundament der Aufklärung gehören. Einer ist Immanuel Kants Aufforderung, Mut zu haben, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Ein anderer lautet sehr dramatisch: „Ich bin zwar anderer Meinung als Sie, aber ich würde mein Leben dafür geben, dass Sie Ihre Meinung frei aussprechen dürfen.“ Er soll von Voltaire stammen, was aber nicht stimmt. Verfasst wurde er Anfang des 20. Jahrhunderts von der englischen Autorin Evelyn Beatrice Hall, die damit Voltaires Denkweise zusammenfassen wollte. Nun ist dieser radikale Ansatz zwar übertrieben, und tatsächlich hat sich auch Voltaire nicht für die Meinungsäußerung eines anderen geopfert, sondern starb im hohen Alter im Bett, aber die Denkweise dahinter ist klar. Dieses Denken war der Wegbereiter unserer heutigen aufgeklärten Gesellschaft und prägt sie weiterhin. Kultur, Bildung, Wissenschaft und das Bürgertum sind ohne Aufklärung nicht denkbar.
Nun machen wir einen Sprung nach Tübingen. Dort diskutieren am Freitag dieser Woche der Bürgermeister und der Vertreter der mit Abstand größten Oppositionspartei miteinander. Und das Erstaunliche daran ist, dass das deutschlandweit für Kritik sorgt. Konkret wird Bürgermeister Boris Palmer dafür angegriffen, dass er mit Markus Frohnmaier von der Alternative für Deutschland öffentlich debattieren will. Es sind Proteste gegen diese Debatte geplant. Das ist zwar legitim, da auch die Demonstrationsfreiheit zu den Werten gehört, die ihre Wurzeln in der Aufklärung haben, aber gegen einen Meinungsstreit zu demonstrieren, ist dennoch eine höchst irritierende Angelegenheit.
Der autoritäre Wunsch, Meinungen schlicht verbieten zu können
Dahinter steht eine Mischung aus magischem Denken, laut dem befürchtet wird, dass das bloße Anhören „falscher Ideen“ die Menschen schon zu Anhängern eben dieser Ideen macht, sowie dem autoritären Wunsch, Meinungen schlicht verbieten zu können, die einem nicht passen. Falsch ist beides. Wer Menschen nicht zutraut, Ideen anzuhören und danach abzuwägen, was sie von ihnen halten, vertraut letztlich der liberalen Demokratie nicht, die vom Austausch von Ideen, vom Streit und der Debatte lebt. Wer am Freitag gegen die Diskussion zwischen Palmer und Frohnmaier protestiert, protestiert damit letztlich gegen die Fundamente unserer freien Gesellschaft.

03 September 2025

Lieferkettengesetz - Der nächste Wortbruch (WELT+)

Punktsieg für Bärbel Bas
Lieferkettengesetz -
Der nächste Wortbruch (WELT+)
Von Dorothea Siems, Chefökonomin, 03.09.2025, 2 Minuten
Das Lieferkettengesetz steht für den Irrsinn ideologiegetriebener Gesetzgebung. Doch der Bundeskanzler kann sein Versprechen, das Bürokratiemonster ersatzlos abzuschaffen, nicht einlösen: Ein weiteres Mal setzt sich die kleine SPD gegen die Union durch.
Diese Bundesregierung hat den Schuss nicht gehört. Gebetsmühlenartig versprechen Minister von Union und SPD, die wuchernde Bürokratie abzubauen, die in Deutschland alle Wirtschaftskräfte lähmt. Berichtspflichten und Regulierungen beanspruchen immer mehr unternehmerische Ressourcen, die in dieser Wirtschaftskrise so dringend für Investitionen und die Entwicklung innovativer Geschäftsmodelle sowie die Erschließung neuer Märkte benötigt werden.
Das deutsche Lieferkettengesetz steht pars pro toto für diesen Irrsinn übereifriger Gesetzgebung, die ohne Rücksicht auf die Praxis von ideologiegetriebenen Politikern in den vergangenen Jahren auf die Spitze getrieben wurde. Doch statt das Bürokratiemonster jetzt – wie von Bundeskanzler Friedrich Merz versprochen – ersatzlos abzuschaffen, zieht ihm Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas nur einige Zähne. Die Wirtschaft spricht einmal mehr vom Wortbruch. Wieder geht Vertrauen in die Koalition verloren. Denn ein weiteres Mal kann sich die kleine SPD gegenüber der Union durchsetzen.
Im Kern geht es bei der 2023 eingeführten Regelung darum, Menschenrechtsverletzungen, Umweltsünden oder Kinder- und Zwangsarbeit in fernen Ländern zu bekämpfen. Die Verantwortung dafür überträgt man den hiesigen Betrieben, die garantieren müssen, dass alle ihre Vorprodukte, die sie im Ausland einkaufen, dort nach unseren Mindeststandards hergestellt werden.
Wie hiesige Mittelständler allerdings rechtssicher gewährleisten sollen, dass Zulieferer in fernen Entwicklungs- und Schwellenländern in Asien oder Afrika nach deutschen Maßstäben korrekt produzieren und Rohstoffe fördern, weiß der Himmel. Viele Unternehmer kappen deshalb vorsorglich bewährte Geschäftsbeziehungen – und verlieren damit weiter an Wettbewerbskraft. Zwar sieht das Gesetz Schwellenwerte vor, sodass direkt nur die Großunternehmen betroffen sind. Doch Konzerne wälzen das Problem auf ihre kleineren Zulieferer in Deutschland ab, indem sie von diesen wiederum Garantien verlangen.
Die rot-grünen Anhänger der „wertegeleiteten Außenwirtschaftspolitik“ jubeln über die moralische Vorreiterrolle, die Deutschland mit diesem Gesetz ihrer Meinung nach einnimmt, und warnen vor Abstrichen.

Versorgungssicherheit - Plötzlich braucht Deutschland 71 neue Gaskraftwerke – in nur zehn Jahren (WELT+)

Versorgungssicherheit- 
Plötzlich braucht Deutschland 71 neue Gaskraftwerke – in nur zehn Jahren (WELT+)
Von Daniel Wetzel, Wirtschaftsredakteur, 03.09.2025, 6 Minuten
Grünen-Politiker haben bisher bestritten, dass man für die Energiewende so viele neue Gaskraftwerke braucht, wie sie Wirtschaftsministerin Katherina Reiche plant. Zu Unrecht, wie sich jetzt zeigt: Laut Bundesnetzagentur braucht Deutschland sogar noch viel mehr Gaskraftwerke.
Zum Ausgleich der stark schwankenden Wind- und Solarstrom-Produktion braucht Deutschland bis zum Jahr 2035 einen komplett neuen Kraftwerkspark. Das ergibt sich aus dem neuen Bericht zur Versorgungssicherheit der Bundesnetzagentur (BNetzA), den das Bundeskabinett am Mittwoch verabschiedete.
Die Bundesnetzagentur beziffert darin den Bedarf an steuerbaren Kraftwerken, die einspringen, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht, auf 35,5 Gigawatt. Rein rechnerisch lässt sich die Versorgungssicherheit in Deutschland also nur garantieren, wenn Deutschland innerhalb der nächsten zehn Jahre 71 Gaskraftwerke der großen 500-Megawattklasse errichten lässt. Gaskraftwerke dieser Größe kosten im Schnitt rund 600 bis 800 Millionen Euro pro Stück.
Die Bundesnetzagentur hatte in ihrem letzten, vor zwei Jahren veröffentlichten Bericht noch einen Neubau-Bedarf bis zum Jahr 2030 von rund 21 Gigawatt angenommen. Weil sich dafür keine Investoren fanden, hatte sich bereits in der Ampelkoalition der frühere Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) daran gemacht, in Brüssel die Genehmigung für Bauzuschüsse zu beantragen – ohne Erfolg.
„Herbst des Klimawiderstandes“

Aktuelle Energiewende-Politik der Bundesregierung kostet bis zu 5,4 Billionen Euro (DHIK)

Aktuelle Energiewende-Politik der Bundesregierung  kostet bis zu 5,4 Billionen Euro  (DIHK)
Die Energiewende in ihrer aktuellen Ausgestaltung führt langfristig zu massiven Kostenbelastungen für Unternehmen und Haushalte, die mit der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland nur schwer vereinbar sind. Das geht aus der Studie "Neue Wege für die Energiewende ('Plan B')" hervor.
Bei Fortführung der aktuellen Energiepolitik müssten sich die jährlichen privaten Investitionen in den Sektoren Energie, Industrie, Gebäude und Verkehr mehr als verdoppeln – von rund 82 Milliarden Euro im Mittel der Jahre 2020 bis 2024 auf mindestens 113 bis 316 Milliarden Euro im Jahr 2035. 
Das zeigt die von der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) beauftragte Studie, in der die Wirtschaftsberatungsgesellschaft Frontier Economics den derzeitigen Kurs in der Energiepolitik analysiert und Alternativen aufgezeigt hat.
"Die Zahlen zeigen: Mit der aktuellen Politik ist die Energiewende nicht zu stemmen", sagt DIHK-Präsident Peter Adrian. "Dabei funktioniert die Energiewende nur mit einer leistungsfähigen Wirtschaft."
Investitionen in die Energiewende stehe häufig kein direkter Ertrag gegenüber, gibt er zu bedenken. Deshalb müssten diese Gelder erst an anderer Stelle erwirtschaftet werden.  "Die Belastung von Unternehmen und Bevölkerung erreicht jedoch ein Niveau, das unseren Wirtschaftsstandort, unseren Wohlstand und damit auch die Akzeptanz der Energiewende gefährdet."
Zum Vergleich: Die gesamten privaten Investitionen in Deutschland betrugen im Jahr 2024 insgesamt rund 770 Milliarden Euro. Zur Umsetzung der Energiewende müssten sie, wie die Berechnungen aus der Studie zeigen, um 15 bis 41 Prozent steigen.
Hohe Energiesystemkosten belasten Unternehmen
Durch die Energiewende werden auch die Energiesystemkosten in den nächsten Jahren stark zunehmen. Dazu zählen neben Investitionen in die inländische Energieerzeugung und Infrastrukturen auch die laufenden Kosten zum Beispiel für den Betrieb von Netzen und Kraftwerken sowie Ausgaben für Energieimporte. Insgesamt schätzt die Studie diese Kosten auf 4,8 bis 5,4 Billionen Euro für den Zeitraum 2025 bis 2049. Davon entfallen 2,0 bis 2,3 Billionen Euro auf Energieimporte, 1,2 Billionen Euro auf Netzkosten (Investitionen und Betriebskosten), 1,1 bis 1,5 Billionen Euro auf Investitionen in die Energieerzeugung und rund 500 Milliarden Euro auf den Betrieb von Erzeugungsanlagen.

02 September 2025

Sechs tote Kandidaten: Die AfD in Nordrhein-Westfalen sieht sich mit einer Häufung von Todesfällen konfrontiert (NZZ)

Sechs tote Kandidaten:
Die AfD in Nordrhein-Westfalen sieht sich mit einer Häufung von Todesfällen konfrontiert (NZZ)
Mitte September finden in dem deutschen Bundesland Kommunalwahlen statt. Mehrere AfD-Kandidaten sind jetzt kurz vorher verstorben. Die Polizei sieht keine Hinweise auf Fremdverschulden. In der Partei überzeugt das nicht alle.
Oliver Maksan, Berlin3 min
Am 14. September werden in Nordrhein-Westfalen neue Bürgermeister und Gemeinderäte gewählt. Die AfD erhofft sich in der einstigen SPD-Hochburg starke Zuwächse.
Im Vorfeld jedoch wird die Partei mit einer Häufung von Todesfällen konfrontiert. Sechs ihrer Kandidaten sind bis anhin verstorben. Bei zweien handelte es sich allerdings um Reservekandidaten, die jetzt nicht direkt zur Wahl standen. Die Polizei sieht bis anhin keine Anzeichen für ein Fremdverschulden. Ein in einem Fall standardmässig eingeleitetes Ermittlungsverfahren sei ebenfalls zu dem Ergebnis gekommen, dass kein Fremdverschulden vorliege, sagte ein Sprecher der Deutschen Presse-Agentur. Zu den genauen Todesursachen wollten sich die Behörden unter Verweis auf Persönlichkeitsrechte aber nicht äussern.
Suizid und Nierenversagen als Todesursache
Diese sind bei den beiden zuletzt verstorbenen Reservekandidaten laut Presseberichten aber bekannt. Einer von ihnen soll laut den Angaben Suizid begangen haben, ein anderer an Nierenversagen infolge einer schweren Vorerkrankung gestorben sein.

«Viele glauben, die Qualität der liberalen Demokratie messe sich an der Anzahl Queer-Klubs pro Quadratkilometer» (NZZ)

Sehr lesenswert !
«Viele glauben, die Qualität der liberalen Demokratie messe sich an der Anzahl Queer-Klubs pro Quadratkilometer» (NZZ)
Der Historiker Andreas Rödder sieht sowohl die linke Identitätspolitik als auch die rechtspopulistische Gegenbewegung als Gefahr für die liberale Demokratie. Trotzdem ist er für Europa vorsichtig optimistisch.
Rico Bandle8 min
Herr Rödder, Sie sprachen kürzlich an einem Anlass des Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik in Luzern von der «Überforderung der liberalen Demokratie». Was meinen Sie damit?
Die liberale Demokratie im klassischen Sinne des Begriffs folgt wenigen Prinzipien: der Mehrheitsherrschaft, dem Minderheitenschutz, der Rechtsstaatlichkeit, dem friedlichen Regierungswechsel und damit auch dem Vorhandensein von politischen Alternativen und einer vitalen politischen Öffentlichkeit. In vielen westlichen Gesellschaften, vor allem in Europa, wurden diese Prinzipien nach 1990 inhaltlich immer stärker ausgedehnt, moralisch aufgeladen und dadurch überspannt. Zugespitzt kann man sagen, dass sich in den Augen vieler Linker die Qualität der liberalen Demokratie an der Anzahl Queer-Klubs pro Quadratkilometer misst. Oder am Verbrennerverbot. Der Begriff «liberale Demokratie» wurde normativ derart überzogen, dass dies eine Gegenbewegung lostrat, die ihrerseits problematisch ist und mit dem Wesenskern einer liberalen Demokratie nicht viel zu tun hat.
Wenn auf privater Basis Queer-Klubs entstehen, so kann doch kein Liberaler etwas dagegen haben.
Stimmt, das fällt unter Toleranz. Aber was die Queer-Bewegung heute fordert, zum Beispiel, dass die Regenbogenflagge auf dem Reichstag in Berlin gehisst wird, ist nicht mehr Toleranz, sondern Bekenntnis. Das ist ein entscheidender Unterschied: Aus einer Emanzipationsbewegung für bestimmte Lebensformen ist ein Modell für die staatliche Umgestaltung der Gesellschaft geworden. Diese Überspannung ist das Problem, nicht die Toleranz, die dem Ganzen zugrunde liegt.
Blasen Sie da nicht ein Randphänomen auf?
Wenn an einer führenden deutschen Universität eine Biologin ihren Vortrag über zwei biologische Geschlechter nicht halten darf, weil das dem Diversitätskonzept der Universität widerspricht, so reden wir nicht mehr von einem Randphänomen: Man will die normativen Haltungen innerhalb der Gesellschaft verändern und implementiert dies über das Bildungssystem.
Was hat das nun mit der «Überforderung der liberalen Demokratie» zu tun? 
Woke Vorstellungen beanspruchen in vielen wichtigen Bereichen die Deutungshoheit über Richtig und Falsch: bei Migration und Integration, bei Geschlecht und Sexualität, bei Energie und Klima. Dies hat sich gerade in Deutschland in erheblichem Ausmaß niedergeschlagen, etwa beim Atomausstieg, in der Energiewende, in der Migrationspolitik, im Gleichstellungsgesetz. Sie können sagen, es sei ein normaler Vorgang, wenn eine gesellschaftliche Strömung die kulturelle Hegemonie gewinnt. Dann darf man aber auch nicht delegitimieren, dass es eine Gegenbewegung gibt, die nun massiv in die andere Richtung geht. Wir erleben nun in vielen Gesellschaften einen starken Pendelschlag nach rechts, von Trump über Orban bis zur AfD.

Mädchen aus der Ukraine vor Zug geschubst: abgelehnter Asylbewerber dringend tatverdächtig (NZZ)

Mädchen aus der Ukraine vor Zug geschubst: abgelehnter Asylbewerber dringend tatverdächtig (NZZ)
In Norddeutschland hat ein Iraker mutmasslich eine Sechzehnjährige umgebracht. Die Kommunikation der Behörden und der Gemeindevertreter wirft Fragen auf. Die Mutter der Getöteten bedankt sich bei der AfD.
Elke Bodderas, Jonas Hermann, Berlin

Die Behörde bezeichnet den Mann als «dringend tatverdächtig». Sie ordnet an, ihn in einem psychiatrischen Spital unterzubringen, weil die Frage der Schuldfähigkeit nicht geklärt sei. Der Tatverdächtige ist 31 Jahre alt und stammt aus dem Irak. Laut Staatsanwaltschaft sei bei ihm zu einem früheren Zeitpunkt eine paranoide Schizophrenie festgestellt worden. Im Bundesland Niedersachsen lebt er als abgelehnter Asylbewerber.
Nicht völlig klar ist, warum der Iraker trotz abschlägigem Asylbescheid noch in Deutschland war. In der Kritik steht auch die Polizei, weil sie anfangs von einem Unglück ausging und trotz begründeten Zweifeln eindringlich vor Spekulationen warnte. Mittlerweile ist bekannt, dass die Polizei schon am Tag nach dem Vorfall eine Mordkommission eingerichtet hatte.
Beschuldigter führte Polizei zur Leiche

Schwäche der Regierung - AfD zu wählen, ist in diesem Kontext einwandfrei demokratisches Verhalten (WELT+)

 Forsa 02.09.2025: AfD 26 %, CDU 25 %
Schwäche der Regierung
AfD zu wählen, ist in diesem Kontext einwandfrei demokratisches Verhalten (WELT+)
Von Fatina Keilani, Redakteurin im Ressort Meinungsfreiheit, 02.09.2025, 6 Min
Je stärker die AfD wird, desto ungehemmter greifen die etablierten Parteien zu undemokratischen Mitteln. „Unsere Demokratie“ heißt: Das Volk darf uns wählen, aber es soll uns nicht abwählen.
Viele Vorgänge in unserem Land sind verstörend. Es geht damit los, dass man seit mindestens zehn Jahren Migranten ungesteuert ins Land lässt, obwohl jeder weiß, dass sie ganz überwiegend keinen Asylanspruch haben, dass man sie nicht abschieben und häufig auch nicht integrieren kann und dass dies die deutsche Gesellschaft überfordert.
Dabei hat man ihnen gar nichts anzubieten: Weder gibt es genug Wohnraum noch genug Schul- und Kitaplätze, Ärzte oder auch nur Sprachkurse. Kümmert sich Deutschland nicht direkt nach Einreise um die Neuzugänge, so tun es die Moscheegemeinden, und als Folge integrieren sich Migranten in die existierenden Parallelgesellschaften statt wie gewünscht in die deutsche Gesellschaft.
Die Staatsbürger fragen sich unterdessen verstört, ob das noch ihr Land ist und warum die Politik sie nicht mehr schützt. Zumal das Gastgeberland Deutschland die Zuwanderer voll alimentiert und ihnen im Gegenzug nichts abverlangt. Es warb bis vor kurzem sogar auf Arabisch für das Bürgergeld, genannt „citizens’ benefit“, als ob es sich um eine Art Regeleinkommen für jeden Landesbewohner handelte und nicht um ausnahms- und übergangsweise geleistete Hilfe, deren Ziel es ist, sie schnell wieder zu beenden.
Mangelnder Gesetzesvollzug ist Missachtung des Volkes
Da die deutsche Politik diese Situation teils aktiv und teils durch Unterlassen herbeigeführt hat, traut man ihr nicht zu, sie im Sinne der Bürger aufzulösen, zumal sie auch andere Qualitäten vermissen lässt. Die wichtigste ist schlicht der Gesetzesvollzug.
Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus, heißt es im Grundgesetz, und der Wille des Volkes äußert sich erst in der Zusammensetzung der Parlamente und dann in Gesetzen. Wenn nun der Staat diese Gesetze nicht vollzieht, etwa indem er ausreisepflichtige Personen abschiebt, dann zeigt er dem Volk, dass er dessen Willen nicht respektiert. Die Attentäter von Solingen und Mannheim wären bei korrektem Gesetzesvollzug nicht mehr im Land gewesen – ein unerträglicher Gedanke, dass durch das Unterlassen der Politik Menschenleben geopfert wurden.

01 September 2025

Der Spiegel - Ist die Party-Brandmauer gefallen? (NZZ)

Ist die Party-Brandmauer gefallen?
Ein «Spiegel»-Bericht über Müllers Geburtstagsparty unterstellt, er wolle die AfD regierungsfähig machen (NZZ)
Der Unternehmer Theo Müller hatte die AfD-Chefin Alice Weidel zu seiner privaten Geburtstagsfeier eingeladen. Der «Spiegel» wittert finstere politische Absichten.
Susanne Gaschke, Berlin, 01.09.2025, 4 min
Vor einigen Wochen zerbrach sich der Chefredakteur des Hamburger Nachrichtenmagazins «Der Spiegel» schwer den Kopf. Auf gleich drei Heftseiten sinnierte er darüber, warum die Alternative für Deutschland immer stärker werde – und ob sein Medium den richtigen Umgang mit der Rechtspartei pflege. Der «Spiegel», daran muss man in diesem Zusammenhang erinnern, versteht sich seit den Zeiten seines Gründers Rudolf Augstein als «Sturmgeschütz der Demokratie» in Deutschland.
In der aktuellen Ausgabe des Magazins findet sich mindestens ein Artikel, der die besorgten Fragen des Chefredakteurs recht eindrucksvoll beantwortet. Darin geht es – unter der Überschrift «Ziemlich rechtsextreme Freunde» – um eine Feier anlässlich des 85. Geburtstags von Theo Müller. Müller ist ein erfolgreicher bayrischer Lebensmittelunternehmer (Müllermilch, «Landliebe», Weihenstephan).
Der Milliardär, CDU-Grossspender und langjähriges CSU-Mitglied, hatte Ende Mai eine Party mit prominenten Gästen veranstaltet. Drei Monate später erschien nun ein Text, der diesen Anlass denunziert – und zwar als politische Kontaktbörse für die «extreme Rechte» beziehungsweise den «rechten Rand», deren Vertreter hier, so die These zweier «Spiegel»-Autorinnen
, ungestört mit der «bürgerlichen Mitte» «netzwerken» konnten.
Inquisitorischer Fragebogen
«Steckt dahinter die Absicht, die AfD, bzw. ihr rechtes Gedankengut, regierungsfähig zu machen?», wollten die Redakteurinnen von Müller wissen. Dem Gastgeber wurde – mit knapper Beantwortungsfrist – ein inquisitorisch anmutender Fragebogen präsentiert, in dem er sich für seine Einladungspraxis rechtfertigen sollte. Dieser Fragenkatalog liegt der NZZ vor.

Der andere Blick - Jugend ist in der Politik kein Wert an sich (NZZ)

Der andere Blick
Für Habeck rückt eine 25-Jährige nach: Jugend ist in der Politik kein Wert an sich (NZZ)
von Oliver Maksan, 01.09.2025, 3 Min
Robert Habeck geht, Mayra Vriesema kommt. Die Studentin übernimmt an diesem Montag das Bundestagsmandat des ehemaligen grünen Vizekanzlers. Sie ist seit Jahren in der Politik aktiv. Doch genau das ist das Problem.
Der Deutsche Bundestag wird an diesem Montag ein wenig jünger. Die erst 25-jährige Studentin Mayra Vriesema rückt nämlich über einen Listenplatz für den Mittfünfziger Robert Habeck nach, der kürzlich beleidigt auf sein Mandat verzichtet hat und den es jetzt ins Ausland zieht.
Aus Habecks Sicht ist das nur konsequent. Die Deutschen haben das politische «Angebot», das er ihnen als Kanzlerkandidat der Grünen gemacht hatte, schliesslich abzulehnen gewagt. Jetzt lehnt er es eben ab, sie zu vertreten.
Mit 25 schon Politikveteranin
Diese Aufgabe fällt jetzt Vriesema zu. Dabei gibt es mit Abgeordneten wie ihr ein grundsätzliches Problem. Sie sind zwar sehr bewandert im parteipolitischen Handwerk, haben aber sonst kaum Lebens-, geschweige denn Berufserfahrung.
So ist es auch mit Vriesema. Seit Jahren schon ist die junge Politikveteranin in der Landespolitik von Schleswig-Holstein aktiv. Als stellvertretende Landesvorsitzende der Grünen hat sie dort den Koalitionsvertrag mit der CDU ausgehandelt. Sie verantwortete das Kapitel Wohnen. Dem unbestreitbaren Mangel an bezahlbarem Wohnraum will sie nach eigenem Bekunden auch im Bundestag abhelfen.
Entfremdung zwischen Volk und Vertretern
Den Bundestag kennt sie schon jetzt bestens. Seit drei Jahren bereits arbeitet sie dort schließlich für eine grüne Abgeordnete. Viel Politikerfahrung also für eine junge Frau.
Doch solche Karrieren, die von der Parteijugend und der Landespolitik nahtlos in den Bundestag führen, dienen dem Vertrauen der Bürger in das Parlament eher nicht.