Die Mehrzahl der US-Präsidenten bezog ihre Stärke aus der Nähe zum Militär. Wer einen Wahlkampf gewinnen wollte, fiel mit Marines, CIA-Agenten oder Militärberatern (oder allen zusammen) in einen souveränen Staat ein, so geschehen in Chile und El Salvador, in Honduras und Guatemala, in Vietnam, Angola, Korea, dem Irak und in Afghanistan.
Auch die demokratischen Präsidenten John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson folgten
der Domino-Theorie, wonach man den Kommunisten keinen Millimeter
überlassen dürfe. Sie zogen 1964 mit Hurra in den Vietnamkrieg. Mehr als
1,3 Millionen Menschen – darunter 58.000 US-Soldaten – starben, bevor
die in die Defensive geratenen Amerikaner überstürzt Saigon verlassen
mussten.
Der 47. amerikanische Präsident definiert seine Rolle deutlich anders. Er tritt weder gegenüber Russland noch Nordkorea und China als militärischer Scharfmacher auf. Trump bezeichnet sich im Gespräch mit Selenskyj als Moderator und argumentiert, ganz im Sinne seines Wahlkampfversprechens, dass er den Krieg beenden möchte:
Während wir hier sitzen und reden, werden Menschen auf dem Schlachtfeld erschossen und sterben. Und wissen Sie, es sind keine amerikanischen Soldaten, sondern russische und ukrainische Soldaten. Und wir wollen es stoppen, und wir wollen auch Geld für andere Dinge ausgeben können.
Gerade im Umgang mit Russland galt im alten Westen der rüde Ton als angemessen. „Lieber ein kalter Krieger als ein warmer Bruder“, sagte noch Franz Josef Strauß und genau so verhielten sich die Präsidenten von Truman bis Reagan.
Trump schlägt einen anderen, einen versöhnlicheren Ton an und setzt sich damit dem Reputationsrisiko aus, als Putinversteher abgestempelt zu werden:
Ich bin hier als Schiedsrichter, gewissermaßen als Vermittler zwischen zwei Parteien, die sehr feindselig waren, um es milde auszudrücken, sie waren sehr feindselig. Das war ein grausamer Krieg. (…) Ich hoffe, dass ich als Friedensstifter in Erinnerung bleiben werde.
Trump folgt – ohne sich darauf zu beziehen – der Philosophie der Entspannungspolitik. Die beschrieb der Architekt dieses Konzepts, Egon Bahr, einst mit folgenden Worten:
Wo geredet wird, wird nicht geschossen.
Anmerkung 2: Selenskyj will kämpfen, nicht beidrehen
Der ukrainische Präsident sendet auf einer anderen Frequenz. Er will den Sieg und keinen schnellen Friedensschluss. Er nennt Putin einen Killer und Terroristen; Gebietsabtretungen erteilt er eine Absage:
Putin ist ein Mörder und Terrorist. Und natürlich darf es mit dem Mörder keine Kompromisse über unsere Territorien geben.
Trump zuckt, aber bleibt friedlich:
Ohne Kompromisse kann man keine Geschäfte machen.
Anmerkung 3: Dankbarkeit
Das Drängen des Kriegspräsidenten aus Kiew harmoniert nicht mit der amerikanischen Dankeskultur, die mit den britischen Siedlern eingewandert ist. Das oft überschwängliche Danke-Sagen, die sogenannte „Thank-You-Culture“, trifft hier auf jemanden, der im drängenden Ton nach mehr verlangt.
Trump erwähnt die Rolle der USA als größter Unterstützer der Ukraine:
Wie Sie wissen, hat Europa viel weniger Geld gegeben.
Das wäre die Stelle gewesen, wo
viele Amerikaner ein großes Dankeschön erwartet hätten. JD Vance wird
sich diese Erwartungshaltung der TV-Zuschauer später zunutze machen.
Selenskyj aber bedankt sich nicht, sondern widerspricht:
Die Europäer gaben sehr viel.
Trump, noch väterlich-nachsichtig:
Sie haben viel gegeben, aber weniger als wir.
Selenskyj (lacht):
Nein.
Trump (lacht):
Selenskyj wird jetzt fordernd. Er möchte, dass die USA weiter Rüstungsgüter liefern, insbesondere eine modernisierte Luftabwehr:Streite nicht mit mir. Aber okay.
Das ist entscheidend, diese Unterstützung, über die wir sehr gerne sprechen möchten. Unsere Luftverteidigung hat wirklich ein großes Defizit bei allen Systemen.
Trump bleibt noch immer diplomatisch:
Wir freuen uns nicht darauf, viele Waffen zu schicken. Wir freuen uns darauf, den Krieg zu beenden.
Anmerkung 4: Die Kleiderordnung
Immer wieder kommen Besucher ins Weiße Haus, die sich bewusst nicht an die dort geltende Kleiderordnung halten. Die besagt: Anzug und Krawatte für Männer. Es sei denn, der Präsident, als der Ranghöchste im Raum und auch im Lande, hat Business Casual erlaubt oder gar vorgeschrieben.
Elon Musk kommt dennoch regelmäßig im T-Shirt vorbei, was in der Öffentlichkeit nicht unbemerkt blieb. Auch Selenskyj hat sich bewusst gegen den Auftritt als ziviler Präsident entschieden und kommt in seiner olivgrünen Kriegsmontur.
Trump wendet sich an Selenskyj, nachdem einer der Journalisten die Kleiderordnung zum Thema gemacht hat:
Ich mag deine Kleidung. Und ich mag diesen Kerl.
Es war demnach nicht allein die Kleidung, die später für den Eklat sorgte, sondern die Geisteshaltung, die mit dieser Kriegsbekleidung transportiert wurde.
Selenskyj benutzt sie als Statement. Ich bin im Krieg. Und in Wort und Kleidung macht er deutlich: Ich will im Krieg bleiben. Er glaubt nicht an den Vertrag, den Trump vorbereitet hat und der ein erster Schritt zum Waffenstillstand sein sollte. Selenskyj:
Aber dieses Dokument reicht nicht aus. Starke Armeen reichen.
Er drängt Trump, seine Vermittlerposition aufzugeben und Partei für ihn zu ergreifen. Trump unbeeindruckt:
Ich will das lösen. Es ist wunderbar, schlecht über jemanden zu reden.
Aber so komme kein Deal zustande. Trump wird direkt:
Du willst, dass ich hart bin? Ich könnte härter sein als jeder Mensch, den du je gesehen hast, aber so wirst du es dann nicht schaffen.
Es sind jetzt nur noch wenige Minuten bis zur Entgleisung. Der Vizepräsident verschärft den Ton, bis schließlich auch Trump vom pädagogischen Sound in den Angreifermodus wechselt. Er wird jetzt verletzend und demütigt den ukrainischen Präsidenten. Das sind die Bilder und Töne, die nun um die Welt gehen.
Fazit: Selenskyj und Trump stehen nach diesem Treffen beide mit leeren Händen da. Der US-Präsident bekommt keinen Rohstoffdeal und der Ukrainer kein neues militärisches Gerät. Aktuellen Medienberichten zufolge setzt Trump ab sofort alle US-Militärhilfen für die Ukraine vorläufig aus.
Der einzige Gewinner dieser Operette ist Wladimir Putin. Sein Kriegsgegner und sein potentieller Verhandlungspartner haben nicht ihn, sondern sich gegenseitig verletzt. In Umkehrung von Egon Bahr gilt für den Aggressor Putin jetzt:
Wo nicht geredet wird, kann weiter geschossen werden.
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