Ex-Bundesverfassungsgerichts-Präsident Papier: "Mit Schlagworten wie Hatespeech, Fake News oder Hass und Hetze wird oftmals der Versuch unternommen, den Korridor zulässiger Meinungsäußerungen peu à peu enger zu machen."
„Melden Sie Hatespeech direkt und einfach über die Meldemaske“, heißt es auf einer Seite des bayerischen Justizministeriums. „Was uns kaputtmacht, sind Fake News, ist Hass und Hetze“, sagte die scheidende Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) kürzlich in der ARD.
Hans-Jürgen Papier, von 2002 bis 2010
Präsident des Bundesverfassungsgerichts, sagt: „Mit Schlagworten wie
Hatespeech, Fake News oder Hass und Hetze wird oftmals der Versuch
unternommen, den Korridor zulässiger Meinungsäußerungen peu à peu enger
zu machen.“ Und er sagt: „Bei der Verwendung des Wortes ‚Schwachkopf‘ im
Zusammenhang mit einer politischen Auseinandersetzung habe ich
erhebliche Bedenken, ob diese Äußerung strafrechtlich relevant ist. Bei
der konkreten Maßnahme der Hausdurchsuchung, bezweifle ich, ob sie
allein aufgrund dieser Äußerung verhältnis- und rechtmäßig war.“
Die Bundesnetzagentur zertifiziert inzwischen sogenannte Trusted
Flagger. Papier kritisiert, dass damit private Vereinigungen vom Staat
legitimiert werden, Einträge auf Social Media zur Löschung
vorzuschlagen. Papier warnt: „Es droht eine Quasi-Zensur. Echte Zensur
ist das zwar nicht, die würde vom Staat ausgehen. Aber ich halte es für
bedenklich in doppelter Hinsicht: Einmal, die Prüfung von
Meinungsäußerungen auch im Vorfeld strafrechtlicher Relevanz und dann
noch durch private Einrichtungen, die mitunter staatlich finanziert
werden, aber keiner demokratischen Legitimation und Kontrolle
unterliegen.“
Er hält es für „gefährlich, wenn zivilgesellschaftliche Organisationen für sich den Alleinanspruch geltend machen, zu wissen, was Demokratie bedeutet, diese Demokratie ausschließlich in ihrem Sinne schützen zu wollen, und dabei einen entsprechenden Druck auf staatliche Institutionen ausüben.“
Kurz nach der Münchner Rede von Vance
zeigte der US-Sender CBS einen Report über eine Sonderstaatsanwaltschaft
für Hasskriminalität aus Göttingen. Drei Staatsanwälte berichten dort über Durchsuchungen wegen Äußerungen, die sie als strafbar erachteten.
In der Sendung fragt die CBS-Reporterin etwa: „Wie reagieren die Leute, wenn Sie ihnen das Handy wegnehmen?“ Der Göttinger Oberstaatsanwalt antwortet: „Sie sind schockiert. Es ist eine Art Bestrafung, wenn man sein Smartphone verliert.“
Thomas Fischer, ehemals Vorsitzender
Richter des zweiten Strafsenats am Bundesgerichtshof, kritisiert diese
Einschätzung: „Es widerspricht der Verfassung und der
staatsanwaltschaftlichen Dienstaufgabe. Die Beschlagnahmung eines
Beweismittels ist keine ‚Strafe‘.“ Sein Urteil: „Die Selbstpräsentation
der Justiz war von befremdlicher Unprofessionalität und laienhaft.“
WELT AM SONNTAG hat mit mehreren Staatsanwälten gesprochen. Weil sie angehalten sind, sich nicht politisch wertend zu äußern, sprechen sie anonym. Ein Jurist aus Nordrhein-Westfalen sagt über die Göttinger Kollegen: „Das erschüttert das Vertrauen normaler Bürger in den Rechtsstaat.“ Ein anderer bezweifelt, „ob vor der Hausdurchsuchung alle milderen Ermittlungsmöglichkeiten ausgereizt waren“.
Ein systemisches Problem will indes keiner der Befragten erkennen. Sie sprechen wie Papier und Fischer von Einzelfällen. Aber wann wird aus diesen ein Muster?
Nur 40 Prozent glauben, Meinung frei äußern zu können
Ein Staatsanwalt aus Bayern findet: „Es ist politisch gewollt, dass Schwerpunktabteilungen für Hasskriminalität besser ausgestattet werden als andere.“ Ein Berliner Kollege beobachtet trotz „grundsätzlich guter Arbeit der Kollegen, der Polizei und der Gerichte eine gesamtgesellschaftliche Bereitschaft zur Beschränkung der Meinungsfreiheit“.
Der Verfassungsschutz hat neben dem Links- und Rechtsextremismus auch die „Delegitimierung des Staates“ als Beobachtungskategorie, eingeführt in der Amtszeit des Präsidenten Thomas Haldewang von 2018 bis 2024. Personen darin wird zugeschrieben, eine „tatsächlich verfassungsfeindliche Agenda“ zu verfolgen. Dies zeige sich „in einer aggressiven Agitation gegen Repräsentanten und Institutionen des Staates, um dessen Legitimität systematisch zu untergraben.“
Haldenwang erklärte in der „FAZ“
im April 2024: „Auch unterhalb der strafrechtlichen Grenzen“ könnten
„Meinungsäußerungen verfassungsschutzrechtlich von Belang sein.“ Bei
einer Veranstaltung mit Innenministerin Nancy Faeser sagte er einmal:
„Es geht auch um verbale und mentale Grenzverschiebungen. Wir müssen
aufpassen, dass sich Denk- und Sprachmuster nicht in unsere Sprache
einnisten.“
Papier bestätigt, dass der Verfassungsschutz auch nicht strafrechtlich relevante Dinge beobachten darf. „Aber er hat keine operativen Aufgaben und Befugnisse.“ Der Ex-Verfassungsrichter ist „skeptisch gegenüber dem neu eingeführten Begriff ‚Delegitimierung des Staates‘. Ich halte diese Begriffsverwendung für eine Überziehung des verfassungsschutzrechtlichen Auftrags.“
Die Äußerungen Haldewangs über Denk- und Sprachmuster, so Papier, „überschreiten nach meiner Einschätzung ganz klar seine Aufgaben. Ein Verfassungsschutzpräsident darf keine Politik betreiben. Es ist in meinen Augen eine Grenzüberschreitung, wenn er sich als eine Art Sprach- und Gesinnungspolizei betätigt. Die zuständige Bundesinnenministerin hätte ihn insoweit deutlich in die Schranken weisen müssen.“ Nancy Faeser tat es nicht. Sie veranstaltete lieber Aktionstage gegen Hass und Hetze.
Frédéric Schwilden ist Autor im Politik-Ressort. Er interviewt und besucht Dorf-Bürgermeister, Gewerkschafter, Transfrauen, Techno-DJs, Erotik-Models und Ministerpräsidenten. Er geht auf Parteitage, Start-up-Konferenzen und Oldtimer-Treffen. Sein Roman „Toxic Man“ ist im Piper-Verlag erschienen.
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