06 März 2025

Merz will Geld-Schleusen öffnen: In der Union kursiert ein Horror-Szenario - mit Scholz (Focus-Online)

Bruch des zweiten Wahlversprechens? "Ohne Migrationswende - keine Regierung“ - SPD hat Merz in der Hand. An Klingbeil und Co. hängt nun, ob Merz‘ Kanzlerschaft endet, bevor sie überhaupt begonnen hat.
Eine Analyse von Ulrich Reitz
Merz will Geld-Schleusen öffnen: In der Union kursiert ein Horror-Szenario - mit Scholz (Focus-Online)
Ulrich Reitz, Donnerstag, 06.03.2025,
Schuldenbremse? Das erste Wahlversprechen hat Friedrich Merz schon gebrochen. Jetzt geht es um die versprochene Migrationswende. Und die Union wird unruhig.
Warum?
  • Sollte der abgewählte Bundestag und der Bundesrat die angestrebte Grundgesetzänderung beschließen, hätten sie faktisch die noch amtierende Bundesregierung unter Scholz und Habeck ermächtigt, über das Geld zu verfügen.
  • Solange Merz nicht zum Bundeskanzler gewählt ist, gebieten nicht er und seine neue Regierung über die zig neuen Milliarden, sondern Olaf Scholz und die Grünen – obwohl sie keine Mehrheit mehr haben mit den sie tragenden Parteien im Parlament. 
  • Das Horrorszenario für Merz: Koalitionsverhandlung scheitern und Olaf Scholz und die Grünen regieren weiter
  • Daraus folgt: Um Bundeskanzler in einer Koalition mit den Sozialdemokraten werden zu können, ist Friedrich Merz abhängig von erfolgreich abgeschlossenen Koalitionsverhandlungen mit seinem einzig möglichen Partner von der SPD, denn die AfD hat er hinter eine Brandmauer verbannt.  
  • Scheitern die Koalitionsverhandlungen, kann Merz nicht Kanzler werden. Dann bleibt Scholz Kanzler – bis auf weiteres. Er müsste sich im Parlament Mehrheiten suchen, die er mit seinen Sozialdemokraten und den Grünen alleine nicht mehr hat
  • Ohne Beteiligung von Union oder AfD gibt es diese Mehrheiten nicht. Damit liefe es auf Neuwahlen hinaus, dafür könnte der Bundespräsident sorgen.
  • In einem solchen Szenario müsste sich Friedrich Merz danach im Wahlkampf für seinen Schulden-Wortbruch rechtfertigen – während die SPD mit Deutschlands beliebtestem Politiker, Boris Pistorius, als Spitzenkandidaten antreten könnte. 
  • SPD hat Merz in der Hand. Sie kann die Koalitionsverhandlungen scheitern lassen und damit dieses Szenario in Gang setzen. 
  • Oder die CDU bricht das nächste Wahlversprechen: "Keine Regierung ohne Migrationswende". Die SPD dazu: „Ich kann Ihnen klar sagen: Die SPD wird keine faktischen Grenzschließungen mitmachen.“
Hier Ulrich Reitz´s Analyse im Zusammenhang:
In Höchstgeschwindigkeit will Friedrich Merz sich vom Bundestag die Erlaubnis geben lassen, als Bundeskanzler 900 Milliarden ausgeben zu können für die Bundeswehr und Deutschlands Infrastruktur. Dafür zahlt er einen hohen Preis, denn falls der Bundestag die dafür nötige Grundgesetzänderung mit Zweidrittelmehrheit absegnet, und falls danach der Bundesrat ebenfalls mit Zweidrittelmehrheit zustimmt, ist Merz immer noch nicht, was er gern früher als später wäre: Bundeskanzler.

Bundestag und Bundesrat hätten faktisch die bestehende Regierung ermächtigt, über dieses Geld zu bestimmen. Und die bestehende Regierung wird geführt von einem anderen Bundeskanzler: Olaf Scholz.
Das Horrorszenario für Merz: Olaf Scholz und die Grünen regieren weiter

Solange Merz nicht zum Bundeskanzler gewählt ist, gebieten nicht er und seine neue Regierung über die zig neuen Milliarden, sondern Olaf Scholz und die Grünen – obwohl sie keine Mehrheit mehr haben mit den sie tragenden Parteien im Parlament.

Daraus folgt: Um Bundeskanzler in einer Koalition mit den Sozialdemokraten werden zu können, ist Friedrich Merz abhängig von erfolgreich abgeschlossenen Koalitionsverhandlungen mit seinem einzig möglichen Partner von der SPD, denn die AfD hat er hinter eine Brandmauer verbannt.

Scheitern die Koalitionsverhandlungen, kann Merz nicht Kanzler werden. Dann bleibt Scholz Kanzler – bis auf weiteres. Er müsste sich im Parlament Mehrheiten suchen, die er mit seinen Sozialdemokraten und den Grünen alleine nicht mehr hat
Ohne Beteiligung von Union oder AfD gibt es diese Mehrheiten nicht. Damit liefe es auf Neuwahlen hinaus, dafür könnte der Bundespräsident sorgen. In einem solchen Szenario müsste sich Friedrich Merz danach im Wahlkampf für seinen Schulden-Wortbruch rechtfertigen – während die SPD mit Deutschlands beliebtestem Politiker, Boris Pistorius, als Spitzenkandidaten antreten könnte.

SPD hat Merz in der Hand

Damit hat es die SPD in der Hand – sie kann die Koalitionsverhandlungen scheitern lassen und damit dieses Szenario in Gang setzen. Für die Union, deren Kanzlerkandidat sich als Wahlsieger fühlt und schon als der sichere nächste Kanzler – als solcher nimmt er schon de facto an Gipfelberatungen in Brüssel teil – tut sich damit ein Abgrund auf.

Die SPD lässt die Union gerade in diesen Abgrund blicken. Kühl, abgezockt und gut vorbereitet, macht nun der SPD-Chef Lars Klingbeil seinem CDU-Widerpart klar, dass der sein zweites zentrales Wahlversprechen neben – keine neuen Schulden – komplett abhaken kann. Es geht um die Migration: „Ich kann Ihnen klar sagen: Die SPD wird keine faktischen Grenzschließungen mitmachen.“ Faktische Grenzschließungen – genau so hatte Klingbeil das Versprechen von Merz genannt, ausnahmslos alle Migranten „ohne gültige Einreisepapier“ an der deutschen Grenze zurückzuweisen.

Merz will Kanzler werden - noch vor Ostern

Klingbeil beharrt auf dem Standpunkt der SPD, den er, ebenso wie der amtierende sozialdemokratische Bundeskanzler Scholz, nicht nur ein Mal vor der Bundestagswahl öffentlich geäußert hat, im Bundestag ebenso wie in Talkshows. „Das können wir national nicht umsetzen. Und vor allem ist es europäisch unvernünftig.“ Gerade in Zeiten, in denen der neue US-Präsident Donald Trump Europa und dessen Werte infrage stelle. Diese beiden Argumente von Klingbeil sind jedenfalls eingänglich und fernsehtauglich, man muss sie in Koalitionsverhandlungen auch erst einmal widerlegen (können).

Und gegenwärtig laufen noch nicht einmal Koalitionsverhandlungen, sondern lediglich Sondierungen – die Vorstufe formeller Verhandlungen. Merz möchte Koalitionsverhandlungen bis Ostern abschließen – und danach könnte er dann zum Kanzler gewählt werden.

In der Zwischenzeit kann noch viel passieren. Es ist noch nicht einmal klar, ob die geplante und notwendige Grundgesetzänderung in den kommenden beiden Wochen durch den Bundestag geht. Und auch, ob der Bundesrat danach sein grünes Licht gibt, ist offen.

Stoppt ausgerechnet Bayern den Merz-Plan?

Nur ein Beispiel: Der Chef der Freien Wähler, Hubert Aiwanger, vergleicht Merz wegen des gebrochenen Versprechens, die Schuldenbremse nicht anzutasten, mit einem „Heiratsschwindler“. Man könnte versucht sein, dies zu ignorieren – die Freien Wähler haben es nicht in den Bundestag geschafft.
Aber Aiwanger ist Bayerns Vize-Ministerpräsident. Und wenn er dabeibleibt und das Milliardenpaket ablehnt, müsste – laut bayerischem Koalitionsvertrag – sich die Staatsregierung im Bundesrat der Stimme enthalten. Was wie ein Nein gewertet würde. Ergo: Markus Söder müsste die Grundgesetzänderung im Bundesrat ablehnen, die er zuvor an der Seite von Merz mit der SPD-Führung ausgehandelt hat. So sind die Spielregeln im deutschen Föderalismus.

Ob dies in den Ländern, in denen die Grünen an der Landesregierung beteiligt sind, anders wäre, ist aktuell eine offene Frage. Erst einmal hat es der CSU gefallen, die Grünen permanent zu beleidigen, obwohl die Union für die Grundgesetzänderung sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat deren Zustimmung braucht.

Juristen und die Schuldenpakete

Die nächste Unsicherheit betrifft die rechtliche Seite. Ob das geplante Vorgehen, die beiden Schuldenpakete mit dem alten Bundestag verabschieden zu lassen, verfassungskonform ist, darüber streiten jetzt schon die Juristen.

Immerhin wird der neue Bundestag, der am 25. März sozusagen ins Amt kommt, in seinen Rechten und finanziellen Möglichkeiten durch die knappe Billion an neuen Schulden über die nächsten Jahre erheblich eingeschränkt.

Außerdem ist der Etat für dieses Jahr auch noch nicht verabschiedet. Die Bundesregierung lebt unter dem Diktat „vorläufiger Haushaltsführung“. Was das bedeutet, steht in Artikel 111 des Grundgesetzes.

AfD droht schon mit Klage

Im Kern läuft es auf die Fortführung der laufenden Geschäfte hinaus. Dass ein abgewählter Bundestag eine Grundgesetzänderung beschließen darf, die Folgekosten von einer knappen Billion Euro nach sich zieht, steht nicht im Grundgesetz.

Die AfD wird jedenfalls wohl klagen. Gefragt, ob die AfD nach Karlsruhe gehe, antwortete deren Parlamentarischer Geschäftsführer Bernd Baumann: „Wir werden es auf jeden Fall machen.“ Das ist eine Drohung mit der Bazooka.

Schon der Ampelregierung hatten die Karlsruher Richter einen dicken Strich durch deren teure Rechnung gemacht – und deren 60 Milliarden teuren Haushaltstrick einfach mal kassiert. Danach war die Scholz-Koalition aus dem Streiten über das Geld nicht mehr hinausgekommen. Es war der Anfang von deren Ende.

Auch für eine Regierung Merz, falls sie denn überhaupt zustande käme, gelte dasselbe – sie müsste dann mit dem Geld auskommen, das im Haushalt steht. Das ist allerdings genau das, was Merz vor der Wahl tatsächlich versprochen hat(te). Denn: Eine Billion müsse doch reichen. Das gegen Scholz gewendete Argument fiele dann auf ihn selbst zurück.

Merz will SPD helfen

Merz ist der SPD mit dem eine halbe Billion Euro teuren Infrastrukturprogramm sehr weit entgegengekommen – ohne auch nur eine einzige eine Gegenleistung zu verlangen. In einer Sitzung der Unionsfraktion hatte Merz dies nach Informationen von FOCUS Online mit der Schwäche der SPD begründet: Die SPD sei eine erschütterte Partei und er sei sich nicht sicher, ob die beiden Parteivorsitzenden Klingbeil und Saskia Esken überhaupt in der Lage wären, die Genossen aus der gegenwärtigen Krise zu führen.
Er habe diesen beiden gesagt: „Ich möchte Ihnen helfen.“ Auch die Union könne kein Interesse daran haben, dass die SPD untergehe. Eine derart von Mitleid getragene Argumentation einem harten Konkurrenten gegenüber hatte in der Union durchaus für Erstaunen gesorgt. Der "Spiegel" hatte zuerst über die Merz-Aussage berichtet.
Merz und das Migrations-Versprechen aus dem Wahlkampf

Und nun? Stellt sich für die Union die Frage, ob auf den ersten Wortbruch eines zentralen Wahlkampfversprechens bei den Schulden ein zweiter Wortbruch eines noch zentraleren Versprechens folgt: bei der Migration. Was die Frage aufwirft: Gibt es bei der Union, bei Friedrich Merz, überhaupt eine rote Linie? Wie weit würde er gehen, um Kanzler werden zu können, letztlich dann von SPD-Gnaden und auf Kosten seiner persönlichen Glaubwürdigkeit und der seiner Partei?

Darauf lauert schon ihr unerbittlichster Gegner. Die AfD hat sich vorgenommen, die Union, wie Parteichefin Alice Weidel drohte, zu „jagen“. Merz Migrations-Wahlversprechen nennt Geschäftsführer Baumann in dunkler Absicht dessen „Ehrenwort“, welches der CDU-Mann sicher „brechen“ werde.

Schon im Wahlkampf, in den Duellen, hatte Weidel mit der Ankündigung gepunktet, Merz werde sein Migrationsversprechen weder mit der SPD noch mit den Grünen halten können. Merz war dem begegnet mit der Hoffnung auf Einsicht bei seinen potentiellen Koalitionspartnern. Ein Druckmittel hatte er nicht.
"Keine Migrationswende - keine Regierung“

In der Union wächst die Unruhe. Einigen in der CDU ist nicht entgangen, dass sich Markus Söder auf dem Aschermittwoch seiner Partei zwar martialisch über die Grünen ausließ und vollmundig über Abschiebungen sprach, nicht aber über das faktische Dichtmachen der Grenze für Migranten, wie Merz dies quasi als erste Amtshandlung versprochen hat.

Rote Linien werden jetzt, wenn schon nicht von Merz, dann von den ersten Unions-Abgeordneten gezogen. Die müssen die Volten ihres Kanzlerkandidaten in den Wahlkreisen erklären. Tilman Kuban aus Niedersachsen sagt: „Wenn die SPD keine Migrationswende will, kann es keine Regierung und auch kein Schuldenpaket geben.“

Ähnlich der hessische CDU-Neu-Abgeordnete Pascal Reddig. Sollte mit Klingbeil eine Migrationswende nicht möglich sein, „kann die Union keinen Koalitionsvertrag mit der SPD unterzeichnen“.

Zweites Versprechen: Keine Regierung ohne Migrationswende

Beide Abgeordneten können sich auf einen der engsten Merz‘-Vertrauten berufen. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann hatte angekündigt, wenn es keine Migrationswende gäbe, werde man eben keine Regierung bilden. Einen untypischeren Satz aus der Union über die Union hat es noch nie gegeben. Die Union versteht sich als natürliche Kanzlerpartei. Und der ist ein Kanzler wichtiger als ein Programm.

Es klingt jedenfalls nach Christian Lindners legendärem Satz: Besser gar nicht regieren als schlecht regieren. An Klingbeil und Co. hängt nun, ob Merz‘ Kanzlerschaft endet, bevor sie überhaupt begonnen hat.

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