06 März 2025

The Pioneer - Business Class Edition Gibt es Friedrich Merz zweimal?

Business Class Edition

Gibt es Friedrich Merz zweimal?
Guten Morgen,
Friedrich Merz muss es zweimal geben. Da ist der Ordnungspolitiker, der im Wahlkampf dafür warb, die Leistungsfähigkeit des Gemeinwesens nicht zu überdehnen:

Wir werden an der Schuldenbremse des Grundgesetzes festhalten.

Er wollte mit Blick auf den Sozialstaat den Reformdruck aufrechterhalten, der von der Schuldenbremse ausging. Merz, der eine, sah den Zusammenhang:

Wir reden nicht nur über Nachhaltigkeit in der Umweltpolitik, wir reden auch über Nachhaltigkeit in den Staatsfinanzen, und wir werden ihnen nicht die Hand dazu reichen, wieder zurückzufallen in die alten sozialdemokratischen Muster einer stetig steigenden Staatsverschuldung.

Dieser Friedrich Merz muss einen geheimnisvollen Doppelgänger besitzen. Dieser – obwohl er ihm zum Verwechseln ähnlich sieht – singt nach einer anderen Melodie aus einem anderen Stück.
Dieser Doppelgänger und sein neuer Lebensabschnittsgefährte Lars Klingbeil
leben nicht vom Geld, das diese Volkswirtschaft erwirtschaftet, sondern von dem Geld, das nachfolgende Generationen erst noch für sie erwirtschaften müssen. Das Vampirhafte der Situation ist nicht zu leugnen.

Oder zugespitzt formuliert: Graf Dracula saugte am Blut der Menschen in Transsilvanien. Die Koalitionspartner in spe saugen am Wohlstand der noch ungeborenen Steuerbürger. Das Blut, das in den Adern unserer Volkswirtschaft fließt, reicht ihnen nicht aus.

Die Begründung für den Transfer von der Zukunft in die Gegenwart leuchtet auf den ersten Blick ein: Die Brücken sind porös. Die Schienen haben Flugrost angesetzt und für unsere Verteidigung müssten wir auch mal wieder was tun.

Ludwig Erhard allerdings („Es wird der Tag kommen, da der Bürger erfahren muss, dass er die Schulden zu bezahlen habe, die der Staat macht und uns zum ,Wohle des Volkes‘ deklariert.“) würde sich nicht im Grab umdrehen. Er würde das Grab verlassen, um zu schauen, ob CDU und SPD noch alle Tassen im Schrank haben.

Warum das wichtig ist: Die CDU relativierte in den Gesprächen zur Bildung einer großen Koalition über Nacht ihre ordnungspolitischen Überzeugungen. Sie trägt sich zu Beginn einer neuen Regierungszeit als Partei der Schuldenpolitiker ins Geschichtsbuch ein, auch um diese Kanzlerschaft mit dem Leihgeld der Kapitalmärkte überhaupt erst zu ermöglichen.

Sie tut dies ohne die Befassung durch einen Parteitag. Es gibt im Wahlprogramm der CDU nicht den leisesten Hinweis auf das, was jetzt geschehen soll.

Eben noch hatte es geheißen:

Wir dürfen unseren Kindern nicht immer mehr Schulden hinterlassen.

Die Dimensionen sind in Friedenszeiten atemberaubend:

  • Mehr als 400 Milliarden Euro sollen als Kredite für die Aufrüstung frei gezeichnet werden. Die Rüstungsindustrie kann ihr Glück kaum fassen. Die Aktie von Rheinmetall hat sich seit Jahresanfang fast verdoppelt und gestern noch mal einen Schub bekommen.

  • Eine weitere Kreditermächtigung in Höhe von 500 Milliarden, über zehn Jahre verteilt, gilt einem Infrastrukturprogramm, das neben den normalen Investitionen in Straße und Schiene nun verplant werden darf.

  • Dazu kommt die Reform der Schuldenbremse, was nicht nur den Bund, sondern auch die Länder ermächtigt, neue Schulden aufzunehmen.

Damit verlässt die Union ihren seit 70 Jahren verfolgten Kurs in der Finanzpolitik. Der fiskalisch grundierte Konservatismus, der in der Tradition von Ludwig Erhard, Gerhard Stoltenberg, Roland Koch, Wolfgang Schäuble und Friedrich Merz (dem Ursprünglichen) bisher die CDU und auch Deutschland prägte, wurde zu einer Minderheitenposition geschrumpft, zumal die FDP im Bundestag nicht mehr vertreten sein wird.

Der Sozialstaat, dessen Wachstum schon seit längerem das Wachstum der Volkswirtschaft übertrifft, kann sich nun frei entfalten. Es gibt keinen Konsolidierungsdruck mehr. Die SPD, obwohl von der Führungsrolle in die Minderheitenposition gerutscht, kann eine Schuldenpolitik durchsetzen, für die es in der rot-grünen Koalition von Gerhard Schröder und in der Ampelkoalition von Olaf Scholz nie eine Mehrheit gab.

Die Zukunft: Das Deutschland, das uns der geheimnisvolle Doppelgänger von Friedrich Merz anbietet, sieht sehr anders aus als das Deutschland, das der alte Friedrich Merz im Wahlkampf verkauft hatte: Es gibt mehr Schulden, mehr Staat und auch mehr Bürokratie, denn diese Milliarden-Beträge müssen von Staatsbediensteten ausgeschrieben, vergeben und kontrolliert werden.


Wo bleibt die Gegenwehr
der Wissenschaftler, der Wirtschaft und der Medien?

Sie entfällt. Viele Wissenschaftler wollen modern sein (sie nennen es ‚Modern Monetary Theory‘) und sich an die Mächtigen schmiegen. Die Wirtschaft hofft, von den aus dem Nichts geschöpften Milliarden zu profitieren. Viele Unternehmer sehen sich nicht als die Gegenspieler der Schuldenpolitiker, sondern als ihre Nutznießer.

Und die Medien?
Sie sprechen wider besseres Wissen von „leeren Kassen“, die durch Zahlungen aus dem Jenseits, also von Steuerbürgern, die erst noch geboren werden müssen, zu füllen sind. In Wahrheit sind die Köpfe derer, die das schreiben, leer. Die deutsche Steuerkasse war noch nie so voll wie heute.
Was wir da beobachten, ist das, was der Philosoph Peter Sloterdijk den „objektiven Sozialdemokratismus“ nennt. Der besteht darin, dass sich niemand mehr traut, die innere Expansionslogik des Wohlfahrtsstaates infrage zu stellen. Dessen Wachstum ist gesetzt. Es geht nicht mehr um Lohn für Lebensleistung, sondern um Lohn aus der Lebensleistung derer, die erst noch geboren werden müssen.

Deshalb muss alles, was das Land sonst noch für seine Existenz braucht, zum Beispiel Straßen, Brücken, Schulen und einsatzfähiges Militärgerät, zunehmend außerhalb des normalen Haushaltes organisiert werden. Die Kernstaatlichkeit gehört den Sozialpolitikern. Whatever It Takes.

Sloterdijk hatte genau das vorhergesehen:

Die SPD kann sich Machtpausen und Schwächephasen leisten, die von ihr mitgeschaffene Transfermaschine geht unabhängig davon ihren Gang. Allen Klagen über soziale Kälte und schleichenden Sozialabbau zum Trotz arbeitet man auch heute auf den Nachtbaustellen des Sozialstaats fieberhaft weiter an der Ausdehnung der Netz

Fazit: Auf der Nachtbaustelle des Sozialstaates ist der Teufel los. Instinktiv wünscht man sich den ursprünglichen Friedrich Merz zurück, damit er seinem Doppelgänger in die Arme fällt. Irgendwo muss der Mann doch stecken. Weit kann er nicht sein.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen