Schulden-Kanzler Merz: Jetzt muss er wenigstens bei der Migration liefern (NZZ)
Aus Not, weil die demokratische Mitte derart gerupft ist, dass sie im nächsten Bundestag keine Zweidrittelmehrheit mehr besitzt. Die Devise lautet, sich lieber jetzt von den Grünen erpressen zu lassen als in Zukunft von AfD und Linkspartei. So tief ist Merz gesunken.
Mögen die Claqueure jetzt zwar jubeln, die Investitionen in Verteidigung und Infrastruktur seien ein gigantisches Konjunkturprogramm. Wir sind wieder wer, klingt es in vielen Reaktionen an. Nach drei Jahren Rezession werde der kranke Mann Europas endlich genesen.
Die Lockerung der Schuldenbremse hätte die Union jedoch billiger haben können. Sie hätte nur im letzten Jahr ihre Bereitschaft signalisieren müssen. Sozialdemokraten und Grüne wären jauchzend darauf eingegangen. Notfalls hätten Kapitän Scholz und Leichtmatrose Habeck den Steuermann Lindner über Bord ihres Seelenverkäufers geschubst.
Anders sieht es in der Migrationspolitik aus. Vor der Wahl hat der künftige Kanzler unmissverständlich deutlich gemacht, dass eine von ihm geführte Regierung die illegale Migration drastisch verringern werde.
Löst Merz dieses Versprechen nicht ein, ist die AfD in vier Jahren die stärkste Partei. Dann ist Deutschland unregierbar, oder die Union findet sich als Juniorpartner in einer Koalition mit einer Kanzlerin Weidel wieder.
Mit dem Schulden-Deal bestätigen die etablierten Parteien alle Vorurteile
Auch das gehört zum Flurschaden der Merz-Wende: Die Union übernimmt Positionen, die sie vor der Wahl bekämpft hat. Sie bestätigt damit den Vorwurf der AfD, die etablierten Parteien seien austauschbar. AfD und Linkspartei können sich als einzige «echte» Opposition inszenieren, auch weil die Grünen gemeinsame Sache mit der künftigen Regierung machen. Das ist eine riskante Konstellation.
Die demokratische Mitte erscheint einmal mehr verfilzt und opportunistisch. So erhalten die Ränder Auftrieb. Im schlimmsten Fall ist der neue Bundestag ein Parlament des Übergangs, und das Parteiensystem erfährt 2029 eine fundamentale Umgestaltung.
Die Union muss daher alles daransetzen, den Nationalisten Wähler abspenstig zu machen. Machtpolitisch ist das die Hauptaufgabe der nächsten Legislaturperiode. Frieden und Freiheit in Europa sind wichtiger, tragfähige Brücken und eine funktionierende Bahn auch. Das aber erfordert einen langen Atem. Kurzfristig zählt die Migration.
Das deutsche Asylrecht weist einen zentralen Makel auf. Die Rechte der Neuankömmlinge kommen zuerst, die Rechte der Einheimischen zuletzt. So muss die Fremdenpolizei eine Abschiebung vorher ankündigen – die perfekte Einladung zum Untertauchen. Wenn irreguläre Migranten ihre Ausweispapiere vernichten, um eine Abschiebung zu erschweren, erwachsen ihnen daraus keine Nachteile.
Die Sanierung der Infrastruktur muss bei den Ausländerbehörden beginnen, denn viele sind noch nicht digitalisiert. Wer einmal abtaucht, wird im Labyrinth der Bürokratie kaum mehr gefunden. Mehrere Attentäter machten sich das zunutze. Deutschland hat nur lückenhafte Kenntnisse, wer sich wo im Land herumtreibt. Es sind Zustände wie in der Dritten Welt.
Merz’ politisches Überleben hängt davon ab, dass sich das Sicherheitsgefühl der Deutschen verbessert. Indem er bei der Schuldenbremse einen Wortbruch begeht, setzt er alles auf die Karte Migration. Sticht dieses Ass nicht, ist er ziemlich sicher verloren.
Merz steht unter Zugzwang. Keiner seiner Vorgänger ging bei der Regierungsbildung ein ähnliches Risiko ein. Merkel agierte ohnehin vorsichtig; Schröder liess die Bombe der Hartz-Reform erst nach fünf Jahren platzen. Nur Merz zündet gleich zu Beginn ein Feuerwerk für eine Billion. Es wird nicht langweilig in Berlin.
Ob der Kanzler in spe eine Chance hat, mit seiner Migrationspolitik verlorenes Vertrauen zurückzuerlangen, zeigt sich schnell: wenn er die SPD aus dem Innenministerium vertreibt. Es ist die Schaltzentrale für die Asylpolitik, aber nirgends wurde so kunstvoll gebremst wie unter der Sozialdemokratin Faeser.
Entreisst das Innenressort auch noch dem Auswärtigen Amt die Zuständigkeit für Rückführungsabkommen, dann ist der Richtungswechsel offensichtlich. Gelingt das nicht, steht Merz als Kaiser ohne Kleider da. Vor der Wahl suchte er mit seinem Asylgesetz und der Woche der Konfrontation im Bundestag den grossen Auftritt. Einen zweiten Wortbruch kann er sich nicht leisten.
Die Bildung der Regierung steht unter keinem guten Stern. Doch wenn sie mehr leistet, als sie derzeit erwarten lässt, wird man den unrühmlichen Anfang milder beurteilen. Es wäre der Gegenentwurf zur «Ampel»-Allianz. Diese begann hochgemut als «Fortschrittskoalition» und endete zerstritten und demoralisiert als Chaoshaufen. In diesem Punkt hat es Merz einfach. Seine Vorgänger haben so abgewirtschaftet, dass er keinen Vergleich scheuen muss.
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