06 März 2025

Der andere Blick Kanzler von sozialdemokratischen Gnaden: Friedrich Merz hat sich in eine vertrackte Lage manövriert (NZZ)

Union und SPD sondieren zur Migration – Lässt sich Merz erneut über den Tisch ziehen?
Der andere Blick

Kanzler von sozialdemokratischen Gnaden: Friedrich Merz hat sich in eine vertrackte Lage manövriert (NZZ)
von Marc Felix Serrao, 06.03.2025, 4 Min
Der CDU-Chef hat der SPD mit der Demontage der Schuldenbremse das grösstmögliche Geschenk gemacht. Seine Verhandlungsposition ist jetzt denkbar schlecht. Das sieht man vor allem beim Thema Migration.
Wenn einer die missliche Lage eines anderen noch verschlimmert, dann gibt es dafür im Englischen die schöne Redewendung «to add insult to injury»; zur Verletzung kommt noch eine Beleidigung obendrauf. Ein Beispiel dafür lieferte Lars Klingbeil nun, als er sagte, mit seiner Partei werde es ganz sicher keine faktischen Grenzschließungen geben.
Damit erteilte der SPD-Co-Vorsitzende nicht nur dem CDU-Chef und mutmaßlichen nächsten Bundeskanzler Friedrich Merz hinsichtlich eines zentralen Versprechens eine Absage. Dieser hatte nach dem Anschlag von Aschaffenburg ein Einreiseverbot für Ausländer ohne gültige Papiere angekündigt, ohne Wenn und Aber.
Klingbeils asylpolitische Abfuhr kam nur einen Tag nachdem Merz ein gigantisches Schuldenpaket angekündigt hatte, das ganz im Sinne der SPD ist und im Widerspruch zu allem steht, was die CDU zuvor im Wahlkampf über Generationengerechtigkeit, Schulden und solide Staatsfinanzen verbreitet hat.
Merz ist schon umgefallen, bevor er Kanzler wird
Wortbruch, so lautet der Vorwurf nicht nur vonseiten liberaler Ökonomen, sondern auch an der Basis von Merz’ Partei. In der CDU mag die Bereitschaft, politische Positionen der Macht zuliebe abzuräumen, immer schon besonders stark ausgeprägt gewesen sein. Aber dass ein christlichdemokratischer Kanzler «umfällt», noch bevor er im Amt angekommen ist, das hat man auch hier noch nicht erlebt.

Und die Schmach hat kein Ende. Union und SPD wollen die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse bekanntlich noch mithilfe der Mehrheitsverhältnisse des alten Bundestags aufweichen. Die Grünen, deren Stimmen es dafür braucht, werden nicht einfach Ja und Amen sagen. Es steht zu befürchten, dass das 500 Milliarden Euro schwere geplante «Sondervermögen» für Infrastruktur am Ende auch für alle möglichen wolkigen Klimaschutzprojekte herhalten muss.

In dem Fall wäre die Partei der vom Völkerrecht kommenden Aussenministerin Annalena Baerbock und des «Wuschelbärs» im Wirtschaftsministerium (Friedrich Merz über Robert Habeck) zwar schon bald nicht mehr in der Regierung. Aber sie hätte der Kanzlerschaft von Merz noch einen kräftigen grünen Stempel aufgedrückt.

Für den CDU-Chef ist die Lage heikel. Er ist angetreten mit dem Versprechen, die grossen Probleme des Landes anzugehen. Dazu gehören die längst nicht mehr nur drohende Deindustrialisierung, die nach wie vor ungeregelte Masseneinwanderung und die fehlende Kriegstüchtigkeit im Angesicht russischer Aggression.

Keynesianische Spendierhosen

Fangen wir hinten an. In Sachen Bundeswehr ist Merz nun zwar – zu Recht – aktiv geworden. Aber die in Aussicht gestellten zusätzlichen Milliarden sind allenfalls ein Anfang. Nicht nur das deutsche Militär braucht einen neuen Geist mit weniger Bürokraten und deutlich mehr, ja, Kriegern. Das ganze Land muss umdenken. Deutschland verbietet sich seit einem Menschenalter jeden echten Nationalstolz. Das linke Lager ist dafür hauptverantwortlich, aber die Bürgerlichen haben zugeschaut. Die Bereitschaft, die Heimat im Ernstfall mit der Waffe zu verteidigen, ist entsprechend schwach ausgeprägt. Laut einer neuen Umfrage liegt sie in Deutschland bei 17 Prozent. Der globale Durchschnittswert ist dreimal so hoch. Wenn sich diesbezüglich nichts grundlegend ändert, werden auch die grössten neuen Schuldenberge Deutschland nicht «kriegstüchtig» machen.

Gegen die erwähnte Deindustrialisierung werden die zusätzlichen Infrastruktur-Milliarden allenfalls indirekt und spät etwas ausrichten. Natürlich sind Unternehmen auf intakte Strassen, pünktliche Züge und gut ausgestattete Schulen und Universitäten angewiesen. Aber deren Modernisierung wird eher Jahrzehnte als Jahre dauern. Was es jetzt braucht, sind niedrigere Steuern und deutlich weniger Bürokratie. Und dafür müsste sich vor allem die SPD bewegen und deutlich mehr «Markt wagen».

Bleibt die Migrationskrise. Auch hier wären in erster Linie die Genossen unter Zugzwang. Deutschlands führende Sozialdemokraten behaupten gerne, sie hätten mit Grenzkontrollen und Ausschaffungen in den vergangenen Jahren für Ordnung gesorgt. Doch bei näherer Betrachtung sind die Erfolge minimal. Für eine politische Wende müsste man andere Hebel in Bewegung setzen. Zurückweisungen an den Grenzen, wie sie Klingbeil ablehnt, wären noch ein vergleichsweise mildes Mittel. Eigentlich gehört das einklagbare Individualrecht auf Asyl abgeschafft, so wie es etwa der christlichdemokratische Politiker Thorsten Frei vor ein paar Jahren vorgeschlagen hat.

Natürlich: Koalitionen sind Kompromissveranstaltungen. Keine Partei kann sich ganz durchsetzen. Aber indem Friedrich Merz der SPD gleich zu Beginn der Sondierungen mit der Demontage der Schuldenbremse das grösstmögliche Geschenk gemacht hat, hat er sich selbst in die schlechtestmögliche Verhandlungsposition gebracht.

Der CDU-Chef hat kein Druckmittel mehr

Wie will er die SPD nun noch dazu bringen, eine echte Asylwende oder eine liberale Standortpolitik mitzutragen? Warum sollten Lars Klingbeil und seine Co-Vorsitzende Saskia Esken auf dem einen oder dem anderen Feld über ihre Schatten springen? Beide sind nach dem desaströsen Wahlergebnis ihrer Partei angezählt. Da gilt für die Verhandlungen die Devise: je röter die nächste Regierung wird, desto besser.

Und ohne die Roten ist Merz aufgeschmissen. Für Schwarz-Grün reicht es nicht. Und die Alternativen zu einer Koalition mit der SPD – eine schwarze Minderheitsregierung oder ein schwarz-blaues Bündnis mit der AfD – hat der CDU-Chef derart vehement abgelehnt, dass ein Umschwenken mit einem irreparablen Gesichtsverlust verbunden wäre.

Klingbeil weiss das. Merz hätte es wissen müssen. Wie er aus dieser Patsche wieder herauskommen will, weiß niemand.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen