FOCUS-Kolumnist Jan Fleischhauer Samstag, 07.01.2023
Er hat Zahlen parat. 13,8 Millionen Menschen seien jetzt schon armutsgefährdet. Aufgrund der aktuellen Krise würden noch einmal 12 Millionen Haushalte hinzukommen.
Das sind zusammengenommen 38 Millionen Menschen an oder unter der Armutsgrenze. Deutschland – das neue Kuba. Wäre ich Vorsitzender eines Wohlfahrtsverbands, würde ich auch Alarm schlagen.
Wo ist das ganze Geld hin, das der deutsche Staat seinen Bürgern abnimmt?Ich will gar nicht widersprechen. Ich habe nur eine Frage: Wo ist das ganze Geld hin, das der deutsche Staat seinen Bürgern abnimmt? Die Steuereinnahmen beliefen sich 2022 auf über 880 Milliarden Euro, mehr als ursprünglich erwartet. Das ist in etwa so viel, wie von den 192 Ländern der Welt die unteren 90 zusammengenommen er- wirtschaften.
Wo ist das Geld bloß geblieben?
Bei
der Bahn? Ich habe aufgehört, die Berichte von Reisenden zu zählen, die
auf die Versprechen der Bahn vertrauten, sie von A nach B zu bringen,
und die dann irgendwo strandeten, weil ihr Zug unterwegs liegen blieb.
Inzwischen ist es eine Nachricht, wenn man wider Erwarten pünktlich
seinen Zielort erreicht. Großes Hallo dann auf den sozialen Medien:
„Stellt euch vor, was mir passiert ist! Ich bin ohne Verzögerung
angekommen!“
Ich habe mittlerweile den Verdacht, mit der
Verkehrswende ist nicht der Umstieg vom Auto auf die Bahn gemeint,
sondern der Wechsel zum Pferdefuhrwerk: „Volker, spann den Wagen an,
sieh der Wind treibt Regen übers Land.“
Steckt das Geld in den
Schulen? Kann man ebenfalls ausschließen. Es fehlen so viele Lehrer,
dass mancherorts nur noch eine Art Notbetrieb aufrechterhalten wird. Bei
den Schulgebäuden kann man von Glück sagen, wenn der Elternbeirat nicht
auf einen zutritt, ob man am Wochenende nicht mit Hand anlegen möchte,
weil es durchs Dach regnet oder dringend etwas gestrichen werden muss.
Wir sind nicht nur beim Verfall der öffentlichen Infrastruktur spitze
Sind
unsere Steuern in die Krankenhäuser gegangen? Die Frage beantwortet
sich bei einem Land, in dem schon eine Grippewelle dafür sorgt, dass
selbst Kleinkinder auf dem Gang liegen müssen, von selbst.
Steckt
das Geld in der Verteidigung? Da lacht der Kenner. Diesen Monat
übernehmen wir die Führung der schnellen Eingreiftruppe der Nato. Bei
einem Übungsmanöver fielen alle 18 Puma aus. Und der Puma ist nicht
irgendein Panzer. Er ist der teuerste Schützenpanzer der Welt. Wie sagte
der Heeresinspekteur der Bundeswehr: Man müsse schon einen sehr guten
Tag erwischen, wenn es mit Landesverteidigung klappen soll.
Wo
ist das Geld also hin? In die Linderung der Armut ist es ja offenbar
ebenfalls nicht geflossen, wenn man dem Mann vom Paritätischen
Wohlfahrtsverband glauben darf. Knapp die Hälfte der Bevölkerung
bedürftig, und das in einem Land, dessen Abgabenquote nach Belgien so
hoch ist wie nirgendwo sonst in Europa. Wir sind nicht nur beim Verfall
der öffentlichen Infrastruktur spitze, wir sind auch unter den
Rekordhaltern beim Griff in die Taschen der Bürger.
Es ist ein
Rätsel. Was selbstredend keinen Politiker davon abhält, mehr Macht und
Einfluss und damit einen noch größeren Anteil am Einkommen der von ihm
Regierten zu verlangen. Gerade in diesen schwierigen Zeiten komme es auf
den Staat an, heißt es zur allfälligen Begründung, und da dürfe der
Staat, also die Politik, nicht unterfinanziert sein.
Wer bei der Mafia seinen Obolus entrichtet, bekommt immerhin den Schutz, der ihm versprochen wurde
Im
Grunde redet der typische deutsche Sozialpolitiker wie Donald Trump.
Gerade weil er sich unfähig zeigt, mit dem ihm anvertrauten Geld solide
zu wirtschaften, muss man ihm Kredit gewähren. Die eigene Unseriösität
als Ausweis besonderer Vertrauenswürdigkeit: Damit kommt man nur im
Immobiliengeschäft und in der deutschen Hochpolitik durch. Jeder
anständige Mafioso würde sich schämen, so aufzutreten. Wer bei der Mafia
seinen Obolus entrichtet, bekommt immerhin den Schutz, der ihm
versprochen wurde.
Der Zusammenhang zwischen der Steuerquote und
der Funktionsfähigkeit eines Gemeinwesens wird überschätzt, am meisten
von den Leuten, die uns einreden, ohne ihren Umverteilungsehrgeiz würde
alles zusammenbrechen.
In der Schweiz liegt der Spitzensteuersatz
bei der Bundessteuer bei 11,5 Prozent. In einem Rechenbeispiel, das ich
für die Gemeinde Bottighofen im Kanton Thurgau gefunden habe, zahlt ein
Familienvater mit einem Einkommen von 100.000 Schweizer Franken 13900
an Steuern, inklusive aller Kantons- und Gemeindesteuern. Das ist etwa
die Hälfte von dem, was er in Deutschland zahlen müsste.
Haben
Sie den Eindruck, in der Schweiz bricht alles zusammen? Ich nicht. Die
Züge kommen pünktlich. Die Straßen sind in tadellosem Zustand, die
Brücken ebenfalls. Es gibt verlässliches WLAN, selbst an Orten, an denen
man es nicht erwarten sollte. Polizei und Justiz verrichten reibungslos
ihren Dienst. Die Krankenhäuser funktionieren trotz Grippewelle.
Es ist nicht so einfach, sich im Dickicht der Zu- und Abflüsse zurechtzufinden
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