08 Januar 2023

Zahlen, zahlen, zahlen, aber alles ist kaputt: Wir sollten in den Steuer-Streik treten (Focus)

Zahlen, zahlen, zahlen, aber alles ist kaputt: Wir sollten in den Steuer-Streik treten (Focus)
Deutschland bewegt sich mit großen Schritten auf das Niveau eines Dritte-Welt-Landes zu. Gleichzeitig nimmt der Staat seinen Bürgern so viel von ihrem Einkommen ab wie noch nie zuvor. Sollte man nicht zumindest mal eine Erklärung verlangen?
FOCUS-Kolumnist Jan Fleischhauer Samstag, 07.01.2023
Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Ulrich Schneider sieht Deutschland auf dem Weg in den Almosenstaat. Explodierende Energiepreise, steigende Lebenshaltungskosten, immer höhere Belastungen: Die Gesellschaft stehe vor dem Auseinanderbrechen, sagt Schneider.
Er hat Zahlen parat. 13,8 Millionen Menschen seien jetzt schon armutsgefährdet. Aufgrund der aktuellen Krise würden noch einmal 12 Millionen Haushalte hinzukommen.

Das sind zusammengenommen 38 Millionen Menschen an oder unter der Armutsgrenze. Deutschland – das neue Kuba. Wäre ich Vorsitzender eines Wohlfahrtsverbands, würde ich auch Alarm schlagen.

Wo ist das ganze Geld hin, das der deutsche Staat seinen Bürgern abnimmt?
Ich will gar nicht widersprechen. Ich habe nur eine Frage: Wo ist das ganze Geld hin, das der deutsche Staat seinen Bürgern abnimmt? Die Steuereinnahmen beliefen sich 2022 auf über 880 Milliarden Euro, mehr als ursprünglich erwartet. Das ist in etwa so viel, wie von den 192 Ländern der Welt die unteren 90 zusammengenommen er- wirtschaften.


Wo ist das Geld bloß geblieben?

Bei der Bahn? Ich habe aufgehört, die Berichte von Reisenden zu zählen, die auf die Versprechen der Bahn vertrauten, sie von A nach B zu bringen, und die dann irgendwo strandeten, weil ihr Zug unterwegs liegen blieb. Inzwischen ist es eine Nachricht, wenn man wider Erwarten pünktlich seinen Zielort erreicht. Großes Hallo dann auf den sozialen Medien: „Stellt euch vor, was mir passiert ist! Ich bin ohne Verzögerung angekommen!“

Ich habe mittlerweile den Verdacht, mit der Verkehrswende ist nicht der Umstieg vom Auto auf die Bahn gemeint, sondern der Wechsel zum Pferdefuhrwerk: „Volker, spann den Wagen an, sieh der Wind treibt Regen übers Land.“

Steckt das Geld in den Schulen? Kann man ebenfalls ausschließen. Es fehlen so viele Lehrer, dass mancherorts nur noch eine Art Notbetrieb aufrechterhalten wird. Bei den Schulgebäuden kann man von Glück sagen, wenn der Elternbeirat nicht auf einen zutritt, ob man am Wochenende nicht mit Hand anlegen möchte, weil es durchs Dach regnet oder dringend etwas gestrichen werden muss.
Wir sind nicht nur beim Verfall der öffentlichen Infrastruktur spitze

Sind unsere Steuern in die Krankenhäuser gegangen? Die Frage beantwortet sich bei einem Land, in dem schon eine Grippewelle dafür sorgt, dass selbst Kleinkinder auf dem Gang liegen müssen, von selbst.

Steckt das Geld in der Verteidigung? Da lacht der Kenner. Diesen Monat übernehmen wir die Führung der schnellen Eingreiftruppe der Nato. Bei einem Übungsmanöver fielen alle 18 Puma aus. Und der Puma ist nicht irgendein Panzer. Er ist der teuerste Schützenpanzer der Welt. Wie sagte der Heeresinspekteur der Bundeswehr: Man müsse schon einen sehr guten Tag erwischen, wenn es mit Landesverteidigung klappen soll.

Wo ist das Geld also hin? In die Linderung der Armut ist es ja offenbar ebenfalls nicht geflossen, wenn man dem Mann vom Paritätischen Wohlfahrtsverband glauben darf. Knapp die Hälfte der Bevölkerung bedürftig, und das in einem Land, dessen Abgabenquote nach Belgien so hoch ist wie nirgendwo sonst in Europa. Wir sind nicht nur beim Verfall der öffentlichen Infrastruktur spitze, wir sind auch unter den Rekordhaltern beim Griff in die Taschen der Bürger.

Es ist ein Rätsel. Was selbstredend keinen Politiker davon abhält, mehr Macht und Einfluss und damit einen noch größeren Anteil am Einkommen der von ihm Regierten zu verlangen. Gerade in diesen schwierigen Zeiten komme es auf den Staat an, heißt es zur allfälligen Begründung, und da dürfe der Staat, also die Politik, nicht unterfinanziert sein.

Wer bei der Mafia seinen Obolus entrichtet, bekommt immerhin den Schutz, der ihm versprochen wurde

Im Grunde redet der typische deutsche Sozialpolitiker wie Donald Trump. Gerade weil er sich unfähig zeigt, mit dem ihm anvertrauten Geld solide zu wirtschaften, muss man ihm Kredit gewähren. Die eigene Unseriösität als Ausweis besonderer Vertrauenswürdigkeit: Damit kommt man nur im Immobiliengeschäft und in der deutschen Hochpolitik durch. Jeder anständige Mafioso würde sich schämen, so aufzutreten. Wer bei der Mafia seinen Obolus entrichtet, bekommt immerhin den Schutz, der ihm versprochen wurde.

Der Zusammenhang zwischen der Steuerquote und der Funktionsfähigkeit eines Gemeinwesens wird überschätzt, am meisten von den Leuten, die uns einreden, ohne ihren Umverteilungsehrgeiz würde alles zusammenbrechen.

In der Schweiz liegt der Spitzensteuersatz bei der Bundessteuer bei 11,5 Prozent. In einem Rechenbeispiel, das ich für die Gemeinde Bottighofen im Kanton Thurgau gefunden habe, zahlt ein Familienvater mit einem Einkommen von 100.000 Schweizer Franken 13900 an Steuern, inklusive aller Kantons- und Gemeindesteuern. Das ist etwa die Hälfte von dem, was er in Deutschland zahlen müsste.

Haben Sie den Eindruck, in der Schweiz bricht alles zusammen? Ich nicht. Die Züge kommen pünktlich. Die Straßen sind in tadellosem Zustand, die Brücken ebenfalls. Es gibt verlässliches WLAN, selbst an Orten, an denen man es nicht erwarten sollte. Polizei und Justiz verrichten reibungslos ihren Dienst. Die Krankenhäuser funktionieren trotz Grippewelle.
Es ist nicht so einfach, sich im Dickicht der Zu- und Abflüsse zurechtzufinden

Zahlen, zahlen, zahlen, aber alles ist kaputt: Wir sollten in den Steuer-Streik treten
Zahlen, zahlen, zahlen, aber alles ist kaputt: Wir sollten in den Steuer-Streik treten

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