09 Januar 2023

Business Class Edition: Silvester-Gewalt: Linke und Rechte im Irrtum vereint

Business Class Edition:

Silvester-Gewalt: Linke und Rechte im Irrtum vereint
Guten Morgen,
seit der Silvesternacht von Berlin reden die politischen Lager mit erhöhtem Erregungspegel aneinander vorbei. Die Migrationspolitik ist erneut der Umschlagplatz für politische Falschmünzer aller Couleur. Hier wird nicht in der Hartwährung der Fakten, sondern mit der Weichwährung der Fantasien und Ideologien bezahlt.
Die Rechten würden die Gelegenheit gerne nutzen, ihre ausländerfeindlichen Triebe offen auszuleben. Ihr Idealbild bleibt die homogene Gesellschaft. Den Begriff vom Einwanderungsland empfinden sie als Zumutung, die Feststellung des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff, der Islam gehöre auch zu Deutschland, wühlt sie bis heute auf. Ihre Antwort auf den Berliner Gewaltexzess lautet: Ausländer raus.

Auf der Linken versucht man, den feigen Anschlag auf den deutschen Rechtsstaat – der auch dann ein feiger Anschlag bleibt, wenn er als Silvesterknallerei getarnt wurde – zum Jugendstreich herunter zu dimmen. Mehr Sozialarbeiter und ein Böllerverbot werden uns als Medizin empfohlen. Danach weiter wie gehabt: Hereinspaziert, ihr Völker dieser Erde!

Beide Antagonisten – und darin liegt der Generalirrtum der bisherigen Debatte – werten schon die Existenz des jeweils Anderen als Bestätigung ihrer Position. Sie glauben: Das Unhaltbare gewinnt in seiner Doppelung an Halt. Wenn die AfD alle Ausländer verteufelt und die Integration für gescheitert hält, erklären sich Linke, Grüne und große Teile der Medien reflexhaft zum Schutzpatron aller Migranten. Die Physik der politischen Schubumkehr offenbart ihre idiotisierende Wirkung.

Nur wer sich in gebührender Entfernung zum Neuköllner Schlachtfeld aufhält und auch die angrenzende Tauschbörse der politischen Falschmünzer meidet, sieht klarer. Die Migration muss weitergehen – aber anders.

Sie muss weitergehen, weil der luftdicht abgeschlossene Nationalstaat nicht zum politischen Projekt der Vereinigten Staaten von Europa passt, dem wir uns nach zwei Weltkriegen verschrieben haben. Und er passt auch nicht zur ökonomischen Notwendigkeit unserer Integration in die globale Wirtschaft. Die Umsetzung der AfD-Vorstellungen würde nicht den Höhenflug der Nation, sondern ihren Absturz bedeuten. Das Projekt einer deutschen Reinrassigkeit führt zu politischer Isolation und ökonomischer Marginalisierung. Oder deutlicher noch gesagt: Diese Bundesrepublik ist global oder gar nicht.

Das aber bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass in der Migrationspolitik alles bleiben kann, wie es ist. Das kann es nicht. Drei sehr grundlegende Korrekturen sind notwendig:

1. Wir müssen bei den Einreisenden wählerischer sein. Bisher fragen wir sie nach ihrem Herkunftsland und der Fluchtursache. Aber wir fragen nicht mit gleicher Intensität nach unseren Interessen. Diese Selbstbefragung Deutschlands muss am Anfang einer ökonomisch gesteuerten Migrationspolitik stehen. Das bedeutet: Die Tore zu Fabrikhalle und Forschungslabor bleiben geöffnet. Aber der Selbstbedienungsschalter im Sozialamt wird geschlossen.
2. Respekt vor Demokratie und Rechtsstaat sind unverhandelbar. Überall da, wo es nicht gelingt, das Gewaltmonopol vom Clan-Oberhaupt auf den Staat zu übertragen, wird das Aufenthaltsrecht in Deutschland verwirkt. Für die Durchsetzung dessen, was unweigerlich folgt, sind Polizei und Justiz zuständig, nicht Sozialarbeiter. Mit den schweren Jungs wird Hard-, nicht Softball gespielt. Diese Regeln verstehen sie ohnehin besser.

3. Keine Toleranz gegenüber Intoleranten. Der Begriff der „streitbaren Demokratie“ – geprägt von Karl Loewenstein, einem deutsch-jüdischen Politologen, der 1933 in die Vereinigten Staaten emigrierte – muss im Kampf gegen die innerstädtischen Parallelwelten reaktiviert werden. Der große, sozialdemokratische Verfassungsrechtler Carlo Schmid drückte es am 8. September 1948 bei der Vorstellung des Grundgesetzes im Parlamentarischen Rat so aus:

"Ich für meinen Teil bin der Meinung, daß es nicht zum Begriff der Demokratie gehört, daß sie selber die Voraussetzungen für ihre Beseitigung schafft".

Man müsse „auch den Mut zur Intoleranz denen gegenüber aufbringen, die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie umzubringen.“

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