29 Januar 2023

Einwanderung hochqualifizierter Fachkräfte - Sehnsuchtsland Deutschland, das war einmal! (Cicero)

Einwanderung hochqualifizierter Fachkräfte
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Sehnsuchtsland Deutschland, das war einmal! (Cicero)
Die deutsche Wirtschaft benötigt aufgrund des demographischen Wandels dringend Fachkräfte aus aller Welt. Im Vergleich mit der internationalen Spitze sind wir allerdings herzlich unattraktiv. Denn wer möchte schon in einem Land leben, in dem Leistungsbereitschaft als verdächtig gilt?
VON JULIEN REITZENSTEIN am 29. Januar 2023
Es waren gute Nachrichten, die Agenturen vor wenigen Tagen verbreiteten: Es gibt einen Rekord bei der Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland. Von den rund 83 Millionen Menschen im Land gehen 45,6 Millionen einer Beschäftigung nach. Doch ist dies tatsächlich Anlass zur Freude?

Es ist mittlerweile politischer Konsens, dass Deutschland ein Einwanderungsland sein soll. Als beliebtestes Argument auf diesem Feld zählt der Nutzen von Einwanderung gegen den Fachkräftemangel. Doch gleichwohl ist gegenwärtig ein Fiasko mit Ansage zu beobachten: Seit Jahrzehnten weiß man um den durch demographischen Wandel aufziehenden Fachkräftemangel. Seit Jahrzehnten weiß man um den laufend steigenden Bedarf hochqualifizierter Fachkräfte. Doch es fehlt dennoch ein Einwanderungsgesetz.

Es herrscht noch nicht einmal Konsens, nach welchen Kriterien genau zukünftig Einwanderung in den Arbeitsmarkt erfolgen soll. Es gilt für viele Politiker nicht einmal als ausgemacht wieviel Einwanderung von Analphabeten ohne berufliche Qualifikation sinnvoll und wieviel Einwanderung von IT-Ingenieuren und Chemieprofessoren volkswirtschaftlich ideal ist.

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Zu den zu klärenden Grundlagen gehört auch die Klärung von Kosten und Kapazitäten bei Beschulung der Einwandererkinder, der Gesundheitsversorgung und des vorhandenen und zu schaffenden Wohnraums für die Neuankömmlinge. Doch noch vor abschließender Klärung dieser Fragen findet laufend Einwanderung statt – und viele Einwanderer kommen in gutem Glauben, dass genau ihre Qualifikation benötigt wird. Wer aber einlädt oder zumindest doch ermutigt, sollte auch Verantwortung übernehmen – denn wer sich heute durch schludriges Handeln von Politikern um seine Träume betrogen sieht, wirft morgen Böller auf die Repräsentanten des Staates.

Der jüngste Migrationsbericht der Bundesregierung macht deutlich, dass dies die Ausnahme ist. Denn dort ist festgehalten, dass nur ein Bruchteil der Einwanderer zu Arbeitszwecken nach Deutschland kommt. Von 1,3 Mio. Einwanderern im vergangenen Jahr waren es nur rund 40.000 – vor allem vom Westbalkan und aus Indien. Es ist unklar, wie viele von ihnen genau unter dem Begriff hochqualifizierte Einwanderer subsumiert werden können.

Deutschland ist herzlich unattraktiv

Unter Experten gilt längst als ausgemacht, dass Deutschland für jene, die seit Jahrzehnten als dringend benötigte Zuwanderer beschrieben werden, herzlich unattraktiv ist. Weshalb sollten ein indischer IT-Ingenieur oder eine kubanische Krankenschwester oder ein kanadischer Literaturwissenschaftler ausgerechnet nach Deutschland wollen? Eine komplizierte Sprache lernen müssen für ein Gehalt, das oft niedriger ist als in Zürich, London oder Dublin – darauf dann aber höchste Steuern und Abgabesätze bezahlen?

Der erste Reflex von links dürfte sein, dass deutsche Unternehmen einfach höhere Gehälter für gesuchte Spezialisten zahlen sollen. Doch wovon? Nur in sehr wenigen Ländern auf der Welt sind die Unternehmenssteuern höher als in Deutschland – das in der EU nur von Portugal übertroffen wird. In vielen EU-Staaten sind sie nur halb so hoch, in Irland gar nur bei rund einem Drittel der deutschen Sätze. Gleichwohl investiert Irland in seine Universitäten deutlich mehr als Deutschland, Lehrstuhlinhaber verdienen mehr als doppelt so viel – und ist somit attraktiv für hochqualifizierte Wissenschaftler aus aller Welt.

„Wir sind doch ein reiches Land“

Kurzum: Deutschlands Attraktivität für hoch qualifizierte und leistungswillige Einwanderer wird zunehmend überschaubar. Es mag die Klarheit in seinem ikonischen WELT-Artikel vor dreizehn Jahren gewesen sein, der dem damaligen FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle so viel Hass einbrachte, dass er sich nie wieder wirklich davon erholte. Das mag auch daran liegen, dass viele lieber verzerrt wiedergegebene Parolen seiner politischen Opponenten weitergaben, statt selbst zu lesen. Westerwelles Kernsatz lautete: „Es scheint in Deutschland nur noch Bezieher von Steuergeld zu geben, aber niemanden, der das alles erarbeitet. Empfänger sind in aller Munde, doch die, die alles bezahlen, finden kaum Beachtung.“ 

Seither macht die Politik einen angstvollen Bogen um diese Binse. Lieber wärmt man sich an „Wir sind doch ein reiches Land“. Doch Deutschland versteckt mindestens 80% seiner Schulden – und auch bei Instandhaltungsrückstau maroder, aber auch wenig energieeffizienter öffentlicher Infrastruktur werden Politiker schmallippig. Regieren sie in Wahrheit eines der am höchsten verschuldeten Länder Europas?

Ununterbrochene Nettoabwanderung

Nicht nur Unternehmen und Milliardäre verlassen das marode werdende Land: Ab 3.700 Euro netto im Monat gehört ein Single in Deutschland zu den Reichen. Rund zwei Drittel der Einkommensreichen haben ein abgeschlossenes Studium. Während in Deutschland Reiche als Ärgernis und Feinde des sozialen Friedens gelten, werben andere Staaten darum, dass diese Leistungsbereiten dorthin auswandern. Denn in den meisten Staaten mit einem guten Sozialsystem wird vor allem Einwanderung Hochqualifizierter angestrebt.

Seit 2004 gibt es eine ununterbrochene Nettoabwanderung von Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit. Allein 2021 wanderten 64.000 Deutsche mehr aus, als zurückkehrten – addiert man die Nettoabwanderung von 2011 bis 2021, hat Deutschland 535.000 Staatsbürger verschenkt. Trotz allem berechtigten Jammern über die Bildungsmisere zählen diese Menschen doch im internationalen Vergleich als hervorragend ausgebildet und ihre Produktivität als hoch. Das ermöglicht oder erleichtert nicht nur in verschiedenen Staaten die Einwanderung – deren Leistungsbereitschaft trägt jetzt nicht mehr zum Volkseinkommen in Deutschland bei. 

Leistungsbereitschaft wird mit leistungsloser Fürsorglichkeit erstickt

Wer darüber spricht, wie attraktiv das reiche Land Deutschland sei, muss auch darüber sprechen, für wen es nicht mehr attraktiv ist und weshalb. Doch dann darf man nicht nur über jene Leistungsträger sprechen, die abwandern oder jene, die erst gar nicht einwandern wollen – man muss auch über eine große Gruppe anderer Leistungsträger sprechen: Die Selbstständigen.

Denn in der Jubelmeldung über die Rekordbeschäftigung in Deutschland ging eine ernüchternde Tatsache unter: Abermals sank die Zahl der Selbstständigen und ihrer mithelfenden Familienangehörigen – auf nur noch 3,9 Millionen. Das legt den Gedanken nahe, dass viele jener, die Freiheit und Leistungsbereitschaft schätzen aufgeben oder auswandern. 

Ihr Anteil wird in dem Maße weiter steigen, in dem es politischer Konsens wird, Eigenverantwortung als verdächtig und die Früchte von Leistung als sozialfeindlich zu sehen. Wo der Staat die Leistungsbereitschaft mit leistungsloser Fürsorglichkeit erstickt, stirbt nicht nur die Freiheit, sondern auch die Attraktivität des Standortes – auch für jene Fachkräfte, die so dringend ersehnt werden. Denn viele von ihnen verlassen ihre Heimat im Glauben, dass sozialer Aufstieg nur durch Fleiß und Eigenverantwortung gelingen kann – eine Einstellung, die Deutschland einst zu einem der Staaten mit dem höchsten Lebens- und Sozialstandard gemacht hat. Hochqualifizierte haben die Wahl, wo sie leben möchten – aller Erfahrung ziehen sie dorthin, wo sich Leistung lohnt.

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