Mehr Frauen in die Chefetage? |
Frauenquoten helfen nur weiblichen Eliten (WELT)
Bundeskanzler Olaf Scholz, der noch im Wahlkampf vollmundig ein paritätisches Kabinett versprochen hatte, nominierte für die ausgeschiedene Verteidigungsministerin Christine Lambrecht einen Mann (Boris Pistorius) nach. Das ach so sorgfältig austarierte Geschlechterverhältnis in der Bundesregierung fällt nun in sich zusammen, was vor allem bei den Grünen Unmut auslöste – der Partei der emanzipierten Besserverdiener.
Denn im Gegensatz zur Vielzahl an unter den sozioökonomischen Bedingungen leidenden Frauen aus der Arbeiterklasse interessiert sich der moderne Clara-Sophie-Feminismus hauptsächlich für die Karriereperspektiven der eigenen Schicht. Und das ist nicht nur bei den Grünen so.
Warum wohl konnte sich eine große Koalition auf Aufsichtsrat- und Vorstandsquoten für Frauen einigen, nicht aber auf einen Ausbau des Wohlfahrtsstaats für all die alleinerziehenden, schlecht verdienenden oder arbeitslosen Frauen, die ihren Kindern nicht einmal ein Minimum an Wohlstand bieten können? Hartz-IV-Empfängerinnen bekommen nicht einmal Kindergeld.
Wer für Frauen einsteht, muss kompromisslos für Umverteilung kämpfen. Doch interessanterweise passiert das kaum. Die Einführung der Kindergrundsicherung, die die Grünen einst voranbringen wollten, ist übrigens auf das Jahr 2025 verschoben worden. Nicht-Prioritäten eben.
Die Erklärung für die Schieflage zwischen klassenbasierter Frauenpolitik und Repräsentationsfetisch ist simpel: Der moderne Feminismus zielt weniger auf Frauen allgemein, sondern vor allem auf Frauen der oberen Mittelschicht sowie deren Fortkommen – und das in gänzlicher Verkennung materieller Verteilungsfragen. Wer breite Umverteilung fordert, die Millionen Frauen helfen würde, müsste das Geld den Reichen wegnehmen und hätte es mit mächtigen Gegenspielern zu tun.
Und auf diese Auseinandersetzung hat die weibliche Wohlstandselite keine Lust, sei es aus mangelnder Betroffenheit von ökonomischen Ungerechtigkeiten oder einfach aus Faulheit. Stattdessen hängt man sich an Fragen der Elitenzusammensetzung auf, die nicht alberner und pubertärer sein könnten. Wer glaubt denn, dass eine Aufsichtsrätin, Vorständin oder Politikerin in verantwortlicher Position automatisch für die Klasseninteressen ihrer Geschlechtergenossinnen eintritt, anstatt für die Interessen der Organisation, die sie vertritt?
Das neoliberale Trickle-Down-Konzept (was sich oben ändert, sickert nach unten durch), das die Identitätspolitik unkritisch übernimmt, hat nicht dazu geführt, dass es Frauen in der Breite ökonomisch besser geht. Stattdessen redet man Frauen aus der Arbeiterklasse ein, dass der Aufstieg einer weiblichen Ministerin, Parteichefin oder Unternehmenschefin ihnen zugutekäme – was natürlich nicht der Fall ist.
Dass es beim neoliberalen Feminismus nicht um die Interessen von Frauen aus der Arbeiterschaft geht, wissen betroffene Frauen natürlich, weshalb sich laut Umfragen auch nie eine Mehrheit der Frauen als „Feministin“ bezeichnet. Ihnen ist klar, dass die Emanzipationsfolklore der professionellen Managerklasse nur den Interessen Weniger dient – und zwar jenen Frauen, die sie sich ohnehin an die Institutionen anschmiegen, deren Dekonstruktion sie lächerlicherweise als Lebensaufgabe betrachten.
Jede Frau mit hartem, schlecht bezahlten und von täglichen Demütigungen geprägten Job weiß, dass eine Geschlechterquote in der Bundesregierung nur eine Handvoll Elitefrauen einflussreicher macht, die zufällig dasselbe Geschlecht haben wie man selbst – während der Rest weiter leidet. Warum wohl ließe sich selbst ein Friedrich Merz für eine Frauenquote gewinnen, wenn nicht klar wäre, dass sich am sozioökonomischen Status quo nichts ändert?
Die gängige liberal-konservative Kritik an Quoten liegt dennoch falsch, denn sie beharrt auf einer Fiktion. Quoten würden die Meritokratie untergraben, statt Kompetenz zählten nur noch Geschlecht oder – erweitert auf andere Identitätsdiskurse – Herkunft, Ethnie oder Geschlechteridentität.
Doch diese Kritik ist plump. Meritokratie gibt es in der Klassengesellschaft ohnehin nur vereinzelt. Allerdings – und das muss angemerkt werden – sind Genderquoten bei Kabinettsbesetzungen auch nicht sinnvoller als geografische Erwägungen oder Besetzungen nach persönlicher oder Flügelvorlieben (wie das Beispiel Pistorius zeigt).
Viel wichtiger ist die banale materialistische Erkenntnis, dass eine Besetzung von Spitzenpositionen nach identitätspolitischen Gesichtspunkten lediglich eine Verschiebung im Kaleidoskop der Macht bedeutet, wenn damit nicht konkrete politische Anliegen verbunden sind. Wenn es konkretere Umverteilungsanliegen gäbe, wären Geschlechterquoten allerdings weit weniger beliebt.
Oder um es plakativ auszudrücken: Wenn Feministinnen sich für die Masse an Frauen interessieren würden, wären sie nicht Feministinnen, sondern Sozialistinnen.
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