20 Januar 2023

Business Class Edition: Tote Hose: Das deutsche Bildungssystem leidet

Business Class Edition: 
Tote Hose: Das deutsche Bildungssystem leidet
Guten Morgen,
die Zeiten haben sich geändert, der Befund bleibt
"Wir leben alle unter dem gleichen Himmel, aber wir haben nicht alle den gleichen Horizont".
So sprach einst Bundeskanzler Adenauer - leicht arrogant - über das ihm anvertraute Staatsvolk. 
Spätestens heute – in der sich herausbildenden nach-industriellen Wirtschaft – schreit dieser Befund nach seiner Überwindung. Die Horizont-Erweiterung ist die vornehmste Aufgabe einer Gesellschaft, deren wichtigster Rohstoff die Bildung ist. Nicht allein der Zugang zu bezahlbarer Energie, sondern der Zugang und die Exploration dieses Rohstoffs entscheiden über die Zukunft dieses Landes.

In aufklärerischer Absicht hat daher ein Pioneer-Team – bestehend aus Bildungsexperten, Ökonomen und Grafikern – einen virtuellen Kontrollraum geschaffen, auf dessen Armaturenbrett wir die wichtigsten Aggregate unseres Bildungssystems betrachten können.

Armatur 1 nennt sich Schulbarometer und misst die Stimmung unter den Schulleitern. Die Daten dazu stammen aus einer im Auftrag der Robert Bosch Stiftung veranstalteten Umfrage. Demnach ist die Stimmung finster, denn der Lehrermangel setzt das System einem spürbaren, auch medizinisch relevanten Stress aus, der sich in hohen Burn-Out-Raten und dem Wunsch nach Teilzeitarbeit und Frühpensionierung entlädt.

Die Schule, diese Erkenntnis verstärkt das Schulbarometer, ist ein Ort, der krank, traurig und in vielen Fällen auch depressiv macht. Es gibt – anders als in vielen anderen Branchen – auch nicht die Möglichkeit, sich mit kühnen Aufstiegsvisionen, Gratifikationen oder Gehaltssteigerungen zu betäuben. Lohn und Leistung sind weitgehend entkoppelt.

Armatur 2 liefert die harten Daten zum Gefühl der Lehrer. Der Leistungsdruck wird erzeugt durch einen eklatanten Lehrermangel. Im Schuljahr 2025/2026 werden voraussichtlich 35.000 Lehrerinnen und Lehrer fehlen – fünf Jahre später sind es schon 68.000 und 2035/2036 sogar 76.000, prognostiziert eine aktuelle Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Köln, das Professor Michael Hüther führt.
Armatur 3 misst die Zusammensetzung der Schülerschaft, die sich seit den Zeiten einer weitgehend homogenen deutschen Gesellschaft gravierend verändert hat. In Hamburg besitzen heute 51 Prozent aller Schülerinnen und Schüler einen Migrationshintergrund. Drei von zehn Kindern wachsen in einem Haushalt auf, in dem kein Deutsch gesprochen wird.
n Nordrhein-Westfalen hatten im vergangenen Schuljahr 40 Prozent eine Zuwanderungsgeschichte. Und in Berlin wuchs in den vergangenen 10 Jahren der Anteil der Schüler mit einer nicht-deutschen Herkunftssprache von 35 auf 41 Prozent. In vielen Schulklassen der Grundschule herrscht eine babylonische Sprachverwirrung.


Armatur 4 belegt, dass das Zusammentreffen einer multikulturellen Schülerschaft mit einem geschwächten Lehrkörper das Bildungsniveau senkt. Schon im vergangenen Jahr hatte der IQB-Bildungstrend für großes Aufsehen gesorgt, da er feststellte, dass sich die Kompetenzen in Deutsch und Mathematik in der vierten Klasse dramatisch verschlechtert haben. Je nach Kompetenzbereich verfehlen im Schnitt 18 bis 30 Prozent der Schüler die Mindeststandards.

Im Bundesdurchschnitt nehmen die Schülerleistungen seit 2011 in fast allen Bereichen ab. Das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen nennt diesen Trend „besorgniserregend“.

Armatur 5 misst die Lehrer-Pipeline. Doch die ist weitgehend leer. Der Nachschub von den Universitäten tröpfelt nur und strömt nicht mehr. Es werden nicht genügend Lehrkräfte ausgebildet. Die Länder haben dieses Problem zwar erkannt, aber stehen weitgehend machtlos vor der Tatsache, dass der Beruf an Attraktivität verliert.

Viele Abiturienten beginnen ein Lehramtsstudium, weil sie nach dem Abitur orientierungslos sind und nicht wissen, was sie sonst machen wollen. Also studieren sie ihre Leistungskurse aus dem Abitur – bis sie feststellen, dass die Welt der anderen Fächer bunter und oft chancenreicher ist. Laut Zahlen des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung bricht im Bachelor-Studium fürs Lehramt mittlerweile jeder fünfte Student sein Studium ab.

Armatur 6 zeigt die föderale Zersplitterung der Bildungslandschaft. 16 Bundesländer entwickeln ihre eigenen Konzepte, Lehrpläne, Systeme. Die Schulminister beteuern zwar in der Kultusministerkonferenz, wie gut sie über Parteigrenzen hinweg zusammenarbeiten, machen sich bei der Bekämpfung des Lehrermangels aber Konkurrenz.

Armatur 7: Der Freistaat Bayern, wo das Land gern 6000 neue Stellen besetzen will, wirbt nun Lehrer aus anderen Bundesländern ab. Hierfür plant Markus Söder Lockangebote, zum Beispiel finanzielle Anreize und Umzugshilfen. Auch Mecklenburg-Vorpommern hat eine Kampagne aufgelegt, die für Leben und Unterrichten „im Urlaubsland Nummer eins“ wirbt.

Armatur 8 zeigt die unzureichende Evaluation. Die Tachonadel dreht hier wie hinter einer Milchglasscheibe, weil die Schulen den Bildungsstand ungern messen. Sie fürchten die Vergleichbarkeit. Es braucht aber eine gute Datengrundlage, um Missstände und Defizite (ob in einzelnen Klassen, Schulen, Jahrgängen oder Bundesländern) schnell zu erkennen, um dann reagieren zu können.

Hamburg macht das seit Jahren erfolgreich: Durch engmaschige Monitorings, Leistungstests und Schulinspektionen erkennt der Senat direkt, wenn es Probleme gibt und kann gezielt reagieren. Resultat: Die Hansestadt holt im Bildungstrend als einzige auf und gilt mittlerweile als Musterbeispiel.

Fazit: Auf der Reformbaustelle Bildungspolitik herrscht ein Baustopp. Ein Reformer ist hier schon lange nicht mehr gesichtet worden. Keine Anstrengung, nirgends. Thomas von Aquin wusste, dass das nicht gut gehen kann:

                                                             "Für Wunder muss man beten, für Veränderungen aber arbeiten".

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