Dem Unions-Fraktionsvize sprangen zwar umgehend einflussreiche Parteifreunde zur Seite. „Die Linken und Grünen wollen nicht wahrhaben, wie die Realität in Deutschland wirklich aussieht. Stattdessen stellen sie immer mehr Menschen in die rechte Ecke, sobald sie sich kritisch zu Migration und Integration äußern“, sagte der CDU-Vizevorsitzende Carsten Linnemann WELT. „Die CDU muss dagegenhalten, die Dinge beim Namen nennen und handeln, sonst werden die Ränder noch stärker und die Integrationsprobleme in Deutschland noch größer.“
Und Alexander Throm, innenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion, ergänzt: „Selbstverständlich sind die Ausschreitungen in der Silvesternacht ein Anlass, unsere Integrationspolitik zu hinterfragen. Es wäre doch grotesk, angesichts der Tatsache, dass viele der Täter einen Migrationshintergrund haben, das nicht zu thematisieren.“
Doch nicht alle in der Partei denken so. „Ich glaube, es gibt eine große Sehnsucht in der CDU nach einem klaren Kurs in der Migrationspolitik, eine deutliche Gegenposition zur Ampel zu beziehen und das Feld nicht der Ampel zu überlassen. So denkt die klare Mehrheit in der Partei, aber es gibt andere Stimmen“, gesteht der Innenpolitiker Christoph de Vries ein.
NRW-CDU auf Konfrontationskurs zu Merz
Eine dieser Stimmen, die sich umgehend erhob, ist die der Bundestagsabgeordneten Serap Güler. Sie erklärte auf Twitter, dass es „vor allem Migranten selbst“ seien, die sich über Gewaltausbrüche wie die in Berlin aufregten. „Muss man wissen, wenn man daraus jetzt eine Integrationsdebatte machen will“, schrieb Güler, die Mitglied im CDU-Bundesvorstand ist und damit Spahn direkt ins Visier nahm.
Güler ist fest im Landesverband Nordrhein-Westfalen verwurzelt und dort nicht ohne Einfluss. Es ist jener Landesverband, dem zwar auch der Partei- und Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz angehört, der diesem zurzeit aber auch die größten Probleme bereitet. In der Migrationspolitik verfolgt die Landes-CDU unter dem Ministerpräsidenten Hendrik Wüst – wie übrigens auch sein Amtskollege in Schleswig-Holstein, Daniel Günther – einen deutlich liberaleren Kurs als die Bundespartei.
Und dann ist in der Partei unvergessen, dass die CDU-Fraktion im Düsseldorfer Landtag vor einigen Monaten die sogenannte Aachener Erklärung verabschiedet hatte. Darin sprechen sich die Abgeordneten für die Notwendigkeit ausländischer Fachkräfte und Nachwuchskräfte aus und plädieren dafür, abgelehnten, aber dennoch gut integrierten Asylbewerbern dauerhaft Arbeit und Aufenthalt in Deutschland zu ermöglichen.
Bei der Abstimmung im Bundestag zum neuen „Chancen-Aufenthaltsrecht“ der Ampel-Koalition Anfang Dezember, das eine deutliche Lockerung der Bedingungen dafür vorsieht, hatten 20 Abgeordnete der Union nicht etwa dagegen votiert, sondern sich enthalten – was ein innerparteilicher Eklat war. Darunter unter anderem Ex-Kanzleramtschef Helge Braun, Ex-Parteichef Armin Laschet, Ex-Generalsekretär Hermann Gröhe – und eben Serap Güler. Die Partei ist ganz offensichtlich in der Frage der Migrations- und Integrationspolitik tief gespalten.
Da ist die Gruppe um Spahn und Innenpolitiker Throm, der nun mit Blick auf die Silvesternacht fordert: „Wir wollen von der Bundesregierung wissen, welche Erkenntnisse sie zu der Täterstruktur hat, wir wollen wissen, welche Staatsbürgerschaft die jeweiligen meist männlichen Personen haben. In dieser Woche werden wir eine entsprechende Abgeordnetenanfrage stellen.“
Auf der anderen Seite stehen die Unterzeichner der „Aachener Erklärung“, die in der Partei als „Merkel-Truppe“ bezeichnet werden. Und dazwischen Politiker wie der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Günter Krings (CDU), der die Silvesterausschreitungen so kommentiert: „Ein nicht unerheblicher Anteil der Täter hat einen Migrationshintergrund. Das darf und sollte auch thematisiert werden.“ Man müsse aber auch anerkennen, dass sich der weitaus größte Teil der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte gesetzeskonform verhalte, so Krings: „Oft leiden Migranten sogar besonders unter Gewalttaten von Tätern mit Migrationshintergrund.“
Während die „Merkel-Truppe“ die CDU unter Merz, der jüngst mit Blick auf ukrainische Flüchtlinge von „Sozialtourismus“ sprach, vor einem Rechtsruck sieht und die Migrationspolitik von Altkanzlerin Angela Merkel verteidigt, bezeichnen andere Fraktionsmitglieder die Gruppe als „Dirty Dozen“. „Das ist eine absolute Minderheit, aber einflussreich, aggressiv und sehr geschickt in der Öffentlichkeitsarbeit“, sagt ein Fraktionsmitglied. „Man sollte diese Gruppe nicht unterschätzen.“
So tief sind die Gräben inzwischen, dass für den 24. Februar ein Sondertreffen angesetzt ist, eine sogenannte fraktionsoffene Sitzung, um die Spaltung zu überwinden. „Das Treffen ist nötig, um den Kurs zu schärfen und die Vielstimmigkeit zu beenden. Denn das schadet uns“, sagt Innenpolitiker de Vries. Ein Fraktionskollege hat wenig Hoffnung, dass dabei eine gemeinsame Linie gefunden wird: „Es wird an diesem Tag sicher keine Einigung geben. Wir werden die Merkelianer nicht überzeugen.“ Die Kluft sei zu tief.
Partei- und Fraktionschef Merz steckt damit in einem Dilemma: Zum einen versucht er derzeit alles, um die CDU nach den innerparteilichen Turbulenzen nach dem Machtverlust im vergangenen Herbst wieder zu einen. Das Thema Migrationspolitik ist dabei wichtig, um das Profil zu schärfen und sich nach links und rechts abzugrenzen, vor allem auch die AfD auf Distanz zu halten. Aber gerade die Migrationspolitik ist seit der Kanzlerschaft Merkels für die Partei unsicheres Gelände.
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