18 Dezember 2024

Berliner Republik - Mit Freisinn ins Freie (Cicero)

Berliner Republik
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Mit Freisinn ins Freie (Cicero)
Deutschland hat sich verheddert. Der Liberalismus wäre der Ausweg. Doch der Freisinn steht unter Verdacht, nicht nur 1848, sondern heute wieder. Ungeschoren bleibt der Verursacher der Misere: Robert Habeck.
VON FRANK A. MEYER am 17. Dezember 2024 5 min
Heizungsgesetz, Atomkraftausstieg, Subventionswirtschaft, Stromchaos, Verbrennerverbot, Klimafetischismus: Ein schönes neues grünes Deutschland als erster Schritt zum schönen neuen grünen Europa, zur schönen neuen grünen Welt – was will man mehr? Drei Jahre lang stand Robert Habeck für die grüne Revolution und deren Garnitur durch soziale Wohltaten: unbeirrt von Zahlen und Daten, die Disruption signalisierten – bis hin zur Havarie der deutschen Automobilbranche, dem Menetekel einer wankenden Ökonomie.
Musste der Wirtschaftsminister als politisch Verantwortlicher das Feld räumen, wie es in Demokratien üblich ist? Nein, abgeräumt wurden die beiden Vorsitzenden der Grünen – wie hießen die noch gleich? In der Regierung machte sich der Finanzminister daran, alternative Wege aus der Misere aufzuzeigen: ein liberales Programm ganz nach dem Geschmack des liberalen Verfassers – Christian Lindners Wendeprogramm gegen widrigste Zeitläufte.
In der deutschen Politik keinen Platz
Wurde dem FDP-Vorsitzenden der Dank der Regierung zuteil, Zuspruch gar, wie ihn seine Reformvorschläge durch zahlreiche Wirtschaftsfachleute erfahren durften? Der Kanzler entließ den Retter aus der Not, weil zu aufsässig, weil zu insistent – weil weder rot noch grün. Weil freisinnig! Der Begriff aus dem Vormärz bringt auf den Punkt, was das Scheitern der Ampelregierung aktuell erneut belegt: Liberalismus hat in der deutschen Politik keinen Platz.
Die Westbindung wurde der ersten funktionierenden Demokratie auf deutschem Boden 1949 von den Westalliierten verordnet – im modernsten Grundgesetz der westlichen Welt festgelegt, von Konrad Adenauer mit politischem Geist erfüllt, durch das Wirtschaftswunder begünstigt. Doch die deutsche Seele hat sich nie mit den Voraussetzungen des eigenen Welterfolgs abgefunden, geschweige denn angefreundet: mit dem anarchisch-kreativen Kapitalismus – dem Wirtschaften als System von Versuch und Irrtum, dem Markt als Maschinenraum von Demokratie und Rechtsstaat.

Die Regierung erträgt keinen Freisinn

Was 1848 gescheitert ist, scheitert 2024 aufs Neue: Die Regierung erträgt keinen Freisinn – und entspricht damit, ob Feind, ob Freund, ganz dem Geist der Gesellschaft ihrer Nation. Die Antithese zum Liberalismus war einst die Monarchie, später der Kommunismus – zunächst die miefige Obrigkeit von Gottes Gnaden, dann die säkulare Revolutionsreligion zum Kujonieren der Bürger.

Heute ist der Antiliberalismus grün geimpft – und erfüllt denselben Zweck. Klimakatastrophe und Weltuntergang sind die Begriffe zur Disziplinierung des Volkes, inklusive detaillierter Anleitung zum frommen Leben, vom fleischlos gefüllten Kühlschrank bis zum Umstieg vom Auto aufs Lastenfahrrad. Politikentwürfe sind nicht mehr richtig oder falsch, also auch nicht mehr falsifizierbar.

Politik ist gut oder böse – Glauben oder Sünde. Eine neue Herrschaftsklasse hat sich der politischen Kultur bemächtigt. Sie erfasst inzwischen nicht nur grüne Kreise, sondern auch linke, bis tief hinein in die SPD. Über Generationen hinweg war die sozialdemokratische Partei die Freiheitspartei Deutschlands. Heute kommt sie ohne Genossen aus, wie sie einst die Sehnsüchte der arbeitenden Klasse verkörperten – vom Schlosser über die Schneiderin bis zum Tischlermeister, von der Pflegerin über den IT-Spezialisten bis zur Elektrotechnikerin.

Der linksgrüne Staat versorgt seine Rich Kids

Linksgrün ist arbeiterfrei. Dafür voll von Akademikern, deren zahllos neu installierte Lehrstühle der standesgemäßen Versorgung einer elitären Jugendkaste dienen, ebenso wie die täglich neu erfundenen und gouvernemental geförderten NGOs sowie wuchernde Stellen an der Spitze von Verwaltung, Politik und Medien. Der linksgrüne Staat versorgt seine Rich Kids. Was hat da – was hätte da – der Freisinn zu suchen, dieses fremdeste Fremdwort der deutschen Politik?

Sogar die Revolte gegen das Diktat von denen da oben kommt ohne die befreiende Kraft des Liberalismus aus. Die Unzufriedenen wehren sich, indem sie der äußeren Rechten ihre Stimme geben, möge sie nun AfD oder BSW heißen. Wobei das Bündnis Sahra Wagenknecht klassisch deutsche Rollen bedient: amerikafeindlich, russlandfreundlich, national, sozialistisch und Führerin – postmodern aufgedonnert durch Chanel-Look und Talkshow-Eloquenz.

Alles, nur nicht Freisinn! Dabei gäbe es ein Beispiel für das gesellschaftliche Gelingen des Liberalismus, und zwar gleich nebenan – in der Schweiz. Freisinn ist Schweizer Geist, wie sogar der links-sozialdemokratische Schriftsteller Peter Bichsel bekennt: „Wir sind alle Freisinnige.“ Nicht durch Zufall ist das Alpenland eine Weltspitzennation: in Wirtschaft und Forschung – und Demokratie. Christian Lindner ist Schweizer, mitsamt seiner Partei.

Die liberale Konkurrenz

Deshalb hatte er auch die deutsche Regierung zu verlassen – die von einem Sozialdemokraten geführt wird, was eigentlich bedeuten müsste, dass dieser sich den Liberalen näher fühlt als den Grünen. Mit der liberalen Konkurrenz verband die Genossen einst die Überzeugung, dass Bürgerlichkeit links und rechts der Mitte den wirtschaftlichen und sozialen Erfolg der Gesellschaft garantiert. Ja, die Sozialdemokraten haben aus dem Arbeiter den Bürger gemacht: mit Weste und Krawatte beim 1.-Mai-Umzug. Und heute? Heute bleibt dem Bürger der Freisinn.

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