Der Meinungsbeitrag von Elon Musk zur AfD in der WELT AM SONNTAG sei „gefährlich und beschämend“, so SPD-Generalsekretär Matthias Miersch. Der Urheber des Zitats stellt unserem Land damit selbst ein ziemlich armseliges Zeugnis aus.
Über Elon Musks Text und seine Glorifizierung der AfD als „letzter Funken Hoffnung für Deutschland“ würden wir doch nur lachen, wenn nicht so viele Menschen seine Analyse teilen würden. Die Durchschlagskraft verleiht Musks Intervention nicht nur seine Nähe zu Donald Trump oder der Status als reichster Mensch der Welt. Sie entsteht vor allem aus der anhaltenden Rezession in Deutschland und der Abwesenheit politischer Führung.
Gefährlich für unser Land war es, dass Bundeskanzler
Scholz noch im Herbst 2023 die Warnungen der Wirtschaft vor einem
anhaltenden Niedergang als Gejammer abtat und von einem bevorstehenden Wirtschaftswunder fabulierte.
Und am Ende des Jahres der tödlichen Angriffe von Mannheim, Solingen
und Magdeburg sind die Fragen einer überwältigenden Mehrheit der
Menschen im Land an die Migrations- und Sicherheitspolitik der letzten
zehn Jahre so virulent, dass einer wie Musk mit boshafter Leidenschaft
in dieser Wunde wühlen kann.
Die Lage hat aber nicht Musk geschaffen, sondern eine Politik, die Probleme viel zu lange geleugnet und den Aufstieg der AfD dadurch erst ermöglicht hat. Hitler wäre ohne die Weltwirtschaftskrise und sechs Millionen Arbeitslose nicht an die Macht gekommen. Wer die Demokratie verteidigen will, tut also gut daran, ihre ökonomische Basis zu sichern. „Die Wirtschaft ist nicht alles, aber ohne die Wirtschaft ist alles nichts“, pflegte der frühere Ministerpräsident Erwin Teufel im Landtag häufig zu sagen. Oder mit Bill Clinton gesprochen: „It’s the economy, stupid.“ Die eigentliche Gefahr für unser Land ist ein dauerhafter ökonomischer Abstieg mit den daraus folgenden Verteilungskämpfen.
Und mit dem Schämen ist es so eine Sache. Elon Musk braucht die WELT AM SONNTAG wirklich nicht, um seine Thesen in die Welt zu bringen. Er hat 205 Millionen Follower auf X und damit auch in Deutschland mehr Leser als die WELT AM SONNTAG. Die Kritik daran, dass eine deutsche Zeitung einem der reichweitenstärksten Meinungsmacher der Welt „eine Plattform“ geboten habe, ist fast schon putzig angesichts der Größenverhältnisse. Sie lässt sich nur begreifen, wenn man der Zeitung eine Rolle zuspricht, die sie in der neuen Welt nicht mehr haben kann, nämlich die Funktion als Gatekeeper der öffentlichen Debatte.
Die Gegner von Musk spielen sein Spiel perfekt mit
Was nicht gedruckt wurde, gab es noch zu Zeiten von Gerhard Schröder praktisch nicht. Journalisten konnten früher entscheiden, was zulässige und relevante Argumente in der Debatte sind. Die Kritik an der Entscheidung der WELT AM SONNTAG, den Beitrag zu drucken, ist daher von gestern. Musks Thesen waren längst in der Welt, und heute braucht Elon Musk die Zeitung für nichts – außer für die Aufregung, die daraus entsteht, dass er dort publiziert.
Und wie relevant seine Thesen sind, zeigt das Sprichwort der bellenden Hunde nach einem Treffer. Die Gegner von Musk spielen sein Spiel perfekt mit. So ist es leider fast immer, wenn moralische Empörung den Verstand vernebelt und Menschen anderer Meinung mit der Aufforderung „Schämt euch!“ in die bevorzugt rechte Ecke gestellt werden. Der öffentliche Diskurs wird nicht nur durch Trumps und Musks skrupellose Methoden deformiert, sondern auch von ihren stets empörten Gegnern, die lieber dem Jakobinismus frönen, als sich der Mühe zu unterziehen, mit dem sanften Zwang des Arguments zu überzeugen.
Für
gewöhnlich ebben derartige Erregungswellen bald ab. Meistens folgt
dann: nichts. Es wäre gut, wenn es diesmal anders abliefe. Warum Musk mit der Wahlempfehlung für die AfD auch wirtschaftlich falsch liegt, ist gut zu begründen und vom neuen WELT-Chefredakteur Jan Philipp Burgard in seiner Antwort auf Musk schon präventiv dargelegt.
Viel schwieriger wird es, glaubhaft zu erklären, wie die Hoffnung für den Standort Deutschland aussehen soll. Die Strukturprobleme von verschlafener Digitalisierung, fehlgesteuerter Migration, überbordender Bürokratie, ausufernder Sozialgesetzgebung, Überalterung der Gesellschaft, Anspruchsdenken und abschlaffender Leistungsbereitschaft sind so massiv, dass es eines Kraftaktes der Parteien der Mitte bedürfte, um sie in den Griff zu bekommen.
So wie Gerhard Schröder das Land mit der Agenda 2010 durch Zumutungen wieder auf die Erfolgsspur brachte, bräuchte es heute einen Kanzler, der eine Agenda 2030 formuliert und durchsetzt. Die Rolle kann wohl nur Friedrich Merz zukommen. Die Frage ist, ob er sie auch annimmt.
Elon Musks Intervention als unerbetene Einmischung fremder Mächte abzutun ist vermutlich nicht ausreichend. Immerhin ist Musk mit seinem Tesla-Werk in Brandenburg auch einer der größten Investoren in Deutschland in den letzten Jahren gewesen. Wenn ein Unternehmer dieses Kalibers die Schwächen des Standorts schonungslos benennt, sollte man besser damit beginnen, diese zu beheben, als den Überbringer der Botschaft, in diesem Fall also die WELT AM SONNTAG, zu steinigen.
Boris Palmer ist Oberbürgermeister von Tübingen (parteilos). Bis Mai 2023 war er Mitglied der Grünen.
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