20 Dezember 2024

Der andere Blick - Deutsche Politiker zeigen immer mehr Bürger wegen Beleidigung an. Damit schützen sie die Demokratie nicht – sie schaden ihr (NZZ)

Deutsche Politiker zeigen immer mehr Bürger wegen Beleidigung an. Damit schützen sie die Demokratie nicht – sie schaden ihr
Deutschland muss den Straftatbestand der Politikerbeleidigung so schnell wie möglich abschaffen. Der Übereifer in der Strafverfolgung lässt bei vielen Bürgern das Vertrauen in den Staat und seine Organe schwinden.
Von Oliver Maksan, 19.12.2024, 3 Min
Der Schaden, den die durch deutsche Politiker verursachte Anzeigeninflation seit ihrem Bekanntwerden in den vergangenen Monaten ausgelöst hat, ist schon jetzt enorm – für die anzeigenden Politiker, für die Demokratie, die man zu schützen vorgibt, aber auch für den liberalen Rechtsstaat. Von dem damit verbundenen einschüchternden Effekt auf die Meinungsfreiheit ganz zu schweigen.
In Deutschlands sozialen Netzwerken genügt es mittlerweile, das Wort «Schwachkopf» ohne Kontext fallen zu lassen. Man kann sicher sein, dass verstanden wird, wer gemeint ist. Dafür hat eine Strafanzeige des grünen Kanzlerkandidaten Robert Habeck gegen einen Bürger gesorgt, der ihn so genannt hatte. Selbst Habeck sprach im Nachhinein von einem Grenzfall.
Jetzt sorgen neue Fälle linker Politiker für Empörung. Obrigkeitsstaatlicher Geist hat in Deutschland offensichtlich irgendwann die politische Seite gewechselt. Die grüne Aussenministerin Annalena Baerbock soll einen erfolgreichen Strafantrag gegen einen Rentner gestellt haben. Der hatte geschrieben, dass Baerbock «beim Trampolinspringen zu oft an die Zimmerdecke geknallt» sei. Deutschlands Chefdiplomatin betrieb selbiges zu ihrer Jugendzeit auf Leistungssportniveau. 800 Euro musste der Rentner als Strafe entrichten.
Ein Mann muss ins Gefängnis
Noch krassere Folgen hat eine Anzeige von Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig. Ein Mann muss jetzt offenbar eine sogenannte Ersatzfreiheitsstrafe antreten, weil er die Geldstrafe von 3000 Euro nicht bezahlen kann oder will, die ein Gericht verhängt hat. Die Rede ist von dreissig Tagen Gefängnis.

Der Mann hatte die Sozialdemokratin als «Märchenerzählerin» bezeichnet, die den Menschen «dummes Zeug» verkaufe und auf «den Bau» zum Arbeiten gehöre. Die kurz nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine verfasste Mail endete mit einem Hinweis auf die Russland-Nähe der Politikerin: «Wollen Sie wirklich, wie ich gehört habe, die Mordaktion von den bepissten Leuten in Moskau un­terstützen.» Nach allem, was bekannt ist, genügte dies einem Gericht, gegen den Mann einen Strafbefehl zu erlassen.

Anzeigenfreudige Politiker bewegen sich auf rechtlich sicherem Boden, seit die grosse Koalition unter Angela Merkel 2021 den sogenannten Ehrschutz für Politiker im deutschen Strafrecht gesondert fasste.

Was dazu gedacht war, Politiker und damit das Funktionieren der deutschen Demokratie besser zu schützen nach dem rechtsextremistisch motivierten Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke 2019, hat sich längst ins Gegenteil verkehrt. Dem Respekt vor der politischen Klasse dürfte in der letzten Zeit kaum etwas mehr geschadet haben als diese bundesrepublikanische Variante der überwunden geglaubten Majestätsbeleidigung. In einer Demokratie ist Zwei-Klassen-Justiz immer eine schlechte Idee.

Diese droht aber mittlerweile auch den Rechtsstaat selbst zu beschädigen. Nicht nur, dass die ohnehin überlastete Justiz zusätzlich beladen wird. Der Übereifer in der Strafverfolgung lässt auch bei vielen Bürgern das Vertrauen in den Staat und seine Organe schwinden. Wo es nicht spezialisierte Agenturen sind, deren Geschäftsmodell das Scannen des Netzes ist, fragen die Ermittlungsbehörden schliesslich oft selbst an, ob die angeblich beleidigten Politiker Strafantrag stellen wollen.

Die AfD schlägt Kapital aus den Vorfällen

In zu vielen offenkundigen Grenzfällen entscheiden die Gerichte dann im Zweifel offenbar lieber gegen den Angeklagten, als sich nachsagen lassen zu müssen, sie unterschätzten die der Demokratie angeblich drohende Gefahr durch Politikerbeleidigung.

Die AfD hat erkannt, dass sich aus dem politisierten Recht politisches Kapital schlagen lässt. So machte die Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch sich jetzt die Aussage des Mannes, der Baerbock beleidigt hatte, zu eigen. Wo der Rentner noch «böse Zungen» behaupten liess, was er behauptete, sprach von Storch in der ersten Person.

Die AfD-Politikerin will dadurch nach eigenem Bekunden – «Traut euch!» – herausfinden, ob deswegen nur Rentner strafrechtlich verfolgt werden oder nicht auch Abgeordnete, die dann «ein dickes mediales Fass» aufmachten. Keine Frage, eine solche provokante Aktion kann man mit guten Gründen kritisieren. Sie ist aber die direkte Folge des immer mehr Flurschäden verursachenden Zusammenspiels von dauerbeleidigten Politikern und einer aktionistischen Justiz. Höchste Zeit, diese Farce durch eine Gesetzesänderung zu beenden.

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