Business Class Edition
Pöbelparlament: Warlords beschädigen Demokratie
Guten Morgen,
der Philosoph Friedrich Nietzsche war gestern im Bundestag dabei, zumindest geistig: "Wer mit sich unzufrieden ist, ist fortwährend bereit, sich dafür zu rächen."
So geriet das Stellen der Vertrauensfrage
zu einem Rachefeldzug aller gegen alle. Die Ampelparteien waren
unzufrieden, weil von drei Regierungsjahren im Geschichtsbuch nur die
Implosion der Regierung bleibt.
Der CDU-Fürst war ungnädig, weil er von diesem destruktiven Spektakel nur mäßig profitiert. Er gewinnt, aber siegt nicht.
Und die AfD spürt, dass ihre Leuchtmunition zwar das Publikum blendet, aber die anderen Parteien nicht trifft.
Und die AfD spürt, dass ihre Leuchtmunition zwar das Publikum blendet, aber die anderen Parteien nicht trifft.
Der Appell der Publizistin Carolin Emcke an die
Politik, sie möge sich besinnen auf „rationale Standards aus Gründen und
Argumenten“, verhallte gestern im Bundestag ungehört. Man war nicht
argumentativ, sondern aggressiv gestimmt. Die prominentesten Politiker
des Landes sprachen sich gegenseitig das Misstrauen aus.
Olaf Scholz attestierte Christian Lindner fehlende „sittliche Reife“ und
sah eine „wochenlange Sabotage der eigenen Regierung durch die Freien
Demokraten“ am Werke. Das wiederum fand Oppositionsführer Friedrich Merz „nicht nur respektlos, sondern eine blanke Unverschämtheit“. Und: "Sie blamieren Deutschland, es ist zum Fremdschämen, wie Sie sich in der europäischen Politik bewegen."
Da mochte der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt nicht abseits stehen: SPD,
FDP und Grüne seien als selbsternannte „Respektloskoalition“ gestartet,
aber „als Restekoalition stehen Sie heute vorm Scherbenhaufen Ihrer
Politik. Gehen Sie mit Gott, aber gehen Sie“.
Lindner, der dieser Koalition drei Jahre lang angehört hatte, wollte
es jetzt nicht gewesen sein. „Der Prinz Karneval“, sagte er über seinen
Ex-Chef, Kanzler Scholz, „der kann am Rosenmontag Kamelle verteilen, um
populär zu werden, aber die Bundesrepublik Deutschland darf so nicht
regiert werden“.
Sahra Wagenknecht nannte Habeck einen „Pleitenminister“, Alice Weidel hatte ihr Pulver schon auf dem AfD-Parteitag verschossen: "Haut endlich ab!"Nun ist der Umgang mit fremden Menschen auch im Alltag von Normalsterblichen oft nicht von Nächstenliebe geprägt, sondern durch „Indifferenz und Minimalsympathie“ gekennzeichnet, wie es der Soziologe Rudolf Stichweh formuliert. Aber selbst davon ist die Führungsriege im politischen Betrieb weit entfernt.
So kann der Parteienstaat keine Legitimität erzeugen. Der
geistige Gehalt des im Bundestag Gesagten ist oft nicht nahrhaft. Die
Gesten wirken geschauspielert. Die Sprache stößt ab. Der Befund selbst –
wirtschaftliche Stagnation bei relativem Abstieg der Bundesrepublik
gegenüber ihren wichtigsten Konkurrenten – wird verschüttet unter einem
Bombardement böser Worte.
Das Deutschland der Gegenwart hat eine unverträgliche
Spezies von Berufspolitikern hervorgebracht, die nur übereinander, aber
nicht miteinander lachen kann. Man will Probleme nicht lösen, sondern
zuspitzen. Man hat das Gefühl, niemand will das bessere Deutschland
bauen, alle nur die Glut des Scheiterns nutzen, um darauf ihr Süppchen
zu kochen.
Die Politiker benehmen sich nicht mehr wie Staatsmänner, sondern
wie Warlords. Alle ihre Programme und Papierchen dienen nicht der
Vorbereitung von Regierungshandeln, sondern als Munition für die
Streubomben der gegenseitigen Diffamierung. Diese Kriegsherren wollen
nicht den Frieden, sondern den kulturellen Bürgerkrieg.
Die Ampel-Regierung sei zerbrochen, war gelegentlich zu
lesen. Aber das stimmt ja nicht. Da brach auseinander, was nie
verschweißt war. Diese Regierung war keine Regierung im klassischen
Sinne des Wortes, sondern der Burgfrieden dreier Kampfverbände, die vom
ersten Tag an jede Gelegenheit nutzten, um über das andere Lager
herzufallen.
Doch diese Denkungsart, Politik als Vorbereitung auf den Bürgerkrieg zu verstehen, zahlt sich für niemanden aus. Hans Magnus Enzensberger schreibt in „Versuche über den Unfrieden“:
"Der Krieg, einst das simpelste Mittel der Bereicherung, ist zum Verlustgeschäft geworden."
Diese Diagnose trifft auf den geistigen Bürgerkrieg in gleicher Weise zu.
Parteien, die noch immer glauben, das rhetorische Bombardieren der
feindlichen Stellungen würde für sie zum Sieg führen, irren sich. Es
gibt auf dem Schlachtfeld der Verbalinjurien und Pöbelattacken keine
Geländegewinne für niemanden – und für einen amtierenden Kanzler schon
gar nicht.
Die Deutschen, das hat Scholz nie begriffen, wollen
ihren Regierungschef als demokratischen König sehen und nicht als
Anführer einer marodierenden Bande, die mit brennenden Fackeln durch den
Bundestag zieht.
Fazit: Mit dieser Art Kulturkampf, der sich als
Wahlkampf tarnt, können die Beteiligten weder dem Land noch sich selbst
einen Dienst erweisen. So war denn der Tag der Vertrauensfrage ein Tag
der vorsätzlichen Selbstverletzung. Oder wie Enzensberger einst schrieb:
"Was hier wie dort auffällt, ist die Unfähigkeit, zwischen Zerstörung und Selbstzerstörung zu unterscheiden."
"Was hier wie dort auffällt, ist die Unfähigkeit, zwischen Zerstörung und Selbstzerstörung zu unterscheiden."
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