18 Dezember 2024

Der andere Blick - Bürgergeld abschaffen und endlich illegale Migration stoppen? Mit SPD und Grünen bleiben die Ziele der Union pure Illusion (NZZ)

Der andere Blick
Bürgergeld abschaffen und endlich illegale Migration stoppen? Mit SPD und Grünen bleiben die Ziele der Union pure Illusion (NZZ)
Von Beatrice Achterberg, 17.12.2024, 3 Min
CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz strebt einen überfälligen Politikwechsel an. Doch mit linken Koalitionspartnern wird das nicht gehen. Es ist Zeit, umzudenken.
Wahlprogramme sind Wunschzettel. Hier dürfen sich die Parteien einmal richtig austoben. Zurückhaltung wäre fehl am Platz, denn Wähler müssen eine Vorstellung davon haben, was die Partei maximal erreichen möchte, wenn sie könnte.
In dieser Woche haben CDU/CSU, Grüne und SPD genau das getan und ihre politischen Blütenträume für Deutschland präsentiert. Bei den Konservativen ist gar von einem «Politikwechsel» die Rede. Da die Union gute Chancen hat, den nächsten Kanzler zu stellen, kommt ihrem Wunschzettel eine besondere Bedeutung zu.
Und diese Wunschliste, das sogenannte Regierungsprogramm, klingt über weite Strecken vernünftig. Beim drängenden Thema Wirtschaft lässt der CDU-Vorsitzende seine Kompetenz einfliessen und setzt auf eine Senkung der Steuerbelastungen für Unternehmen, steuerfreie Überstunden und die seit Jahren gebotene Abschaffung des Solidaritätszuschlags.
Die irreguläre Migration soll mithilfe von Zurückweisungen an den deutschen Binnengrenzen gestoppt werden. Für Asylmigranten soll es das Minimum an Unterstützung in Form von Sachleistungen geben: «Brot, Bett, Seife», eine alte AfD-Forderung. Die ideologisch aufgeladenen Projekte des gescheiterten Regierungsbündnisses Bürgergeld, Selbstbestimmungsgesetz und Heizungsgesetz sollen rückgängig gemacht werden.
Von den bleiernen Merkel-Jahren haben sich die Christlichdemokraten damit endlich gelöst. Das dürfte sowohl an der neu aufgestellten Spitze der CDU liegen, die Friedrich Merz berät, als auch an einem vor Kraft strotzenden Markus Söder, der andernfalls selbst als Kanzlerkandidat bereitgestanden hätte.

Doch es gibt ein Problem: Der Kanzlerkandidat Merz steuert auf einen Eisberg zu, den er beharrlich zu ignorieren scheint. Dieser Eisberg besteht aus Grünen und SPD.

Wahlprogramm mit Habeck unvorstellbar

Wegen der «Brandmauer» zur AfD und einer schwächelnden FDP sieht die Union nur zwei realistische Koalitionspartner für sich: die Sozialdemokraten und die Grünen. Die beiden artverwandten Parteien stellen bis zu den Neuwahlen im Februar die Minderheitsregierung in Deutschland. Mit ihnen als Regierungspartnern bleibt das Wahlprogramm der Union Wunschdenken.

Während die gerupften Sozialdemokraten nach Scholz’ gescheiterter Regierung möglicherweise an der einen oder der anderen Stelle zur Zusammenarbeit fähig wären, werden die Grünen und ihr Kanzlerkandidat Robert Habeck die zentralen Vorhaben von CDU/CSU in Sachen Wirtschaft, Migration, Klimaschutz, Energie- und Gesellschaftspolitik keinesfalls mittragen.

Eine Rückkehr zur Kernenergie? Spürbare Steuersenkungen? Eine Kehrtwende in der Asylpolitik? Die Abschaffung des Selbstbestimmungs- und des Gebäudeenergiegesetzes? Das glaubt Merz vermutlich nicht einmal selbst. Kein einziges dieser Versprechen wird er mit den Grünen umsetzen können. Schon dass drei Atommeiler für ein paar Monate länger am Netz blieben, hat die Partei an den Rand eines Nervenzusammenbruchs gebracht.

Dabei zeigt ein freundlich lächelnder Rivale aus dem Süden, wie es anders ginge: Der bayrische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder drohte bereits, das Gewicht der kleinen Schwesterpartei bei den möglichen Koalitionsbildungen in die Waagschale zu werfen, um eine etwaige schwarz-grüne Koalition mit einem Veto zu verhindern. Merz hingegen betont auf Nachfrage stets, dass die «demokratischen Parteien der politischen Mitte miteinander kooperationsfähig bleiben müssen».

Merz muss den Eisberg umsteuern

Auch im politisch zerklüfteten Thüringen zeigen sich die Christlichdemokraten opportunistisch – und nehmen den Verrat an ihren Parteiidealen billigend in Kauf. Der Spitzenkandidat Mario Voigt liess sich mit Stimmen der Linkspartei ins Amt wählen und koaliert zudem mit dem Putin-beseelten und Nato-skeptischen Bündnis Sahra Wagenknecht, um die Brandmauer zur AfD aufrechterhalten zu können. Eine Brandmauer, hinter der sich die Rechten radikalisieren und linke Parteien dauerhaft mitregieren.

Ideologen innerhalb einer Regierung sind um ein Vielfaches gefährlicher als solche ausserhalb. Merz sollte sich daher genau überlegen, wie er den rot-grünen Eisberg umsteuern kann. Dabei sollte er offen für unbequeme Lösungen sein, auch um die linken Partner wieder auf den Boden der Tatsachen zu holen.

Wie wäre es etwa mit einer Minderheitsregierung, die Mehrheiten stets neu austariert? Diese Form des Regierens widerspricht dem Selbstverständnis der Union diametral, und sie wäre mit Risiken verbunden. Doch dieses Wagnis könnte sich lohnen. Denn damit liessen sich wichtige Wahlversprechen umsetzen.

Mindestens könnte Merz laut darüber nachdenken. Das würde seine Verhandlungsposition stärken. Grüne und Sozialdemokraten wüssten dann: Sie müssen ihm mehr bieten als eine Fortsetzung ihrer bisherigen Politik.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen