13 Dezember 2024

Die Geduld der europäischen Nachbarn mit Deutschlands Energiepolitik ist am Ende. Das Land isoliert sich selbst (NZZ)

Die Geduld der europäischen Nachbarn mit Deutschlands Energiepolitik ist am Ende. Das Land isoliert sich selbst (NZZ)
Die deutsche Regierung hat alle Warnungen in den Wind geschlagen und setzt allein auf die Kraft von Wind und Sonne. Nun sorgt eine Dunkelflaute für Verwerfungen auf dem europäischen Strommarkt. Selbst Partnerländer haben genug.
von Morten Freidel, 13.12.2924, 4 Min.
Der deutsche Weg zur Klimaneutralität war von Beginn an ein steiler, ungesicherter Bergpfad. Das wusste jeder, der sich damit nur ein wenig auseinandergesetzt hat. Deutschland schaltet als einziger mächtiger Industriestaat der Erde alle Atommeiler ab, und will doch fünf Jahre vor der Europäischen Union klimaneutral werden. Man verzichtet auf die Sauerstoffmaske, will den Berggipfel aber als erster erreichen. Dafür gibt es ein Wort: Hybris.
Nicht einmal eine Energiekrise von historischen Ausmassen konnte das Land davon abbringen. Die deutsche Regierung und insbesondere die Grünen hielten stoisch an ihrem Plan fest, der Atomausstieg musste kommen, die Klimaziele blieben bestehen. Wer all das kritisierte, dem hielt man immer wieder folgendes Argument entgegen: Man könne sich doch im Zweifel bei den anderen Gipfelstürmern unterhaken. Sollte es einmal eng werden mit dem Strom, bekommt Deutschland eben welchen aus Dänemark oder Frankreich, und alles wird gut. Deutschland, das war die Botschaft, kann auf seine Nachbarn zählen.
Nun zeigt sich, wie naiv diese Vorstellung war. In den vergangenen Tagen erlebte Deutschland eine besonders lange Reihe an dunklen, windstillen Tagen, eine sogenannte Dunkelflaute. Die Produktion der erneuerbaren Energien brach ein. Kraftwerke, die einspringen können, gibt es aber immer weniger. Die Atommeiler sind abgeschaltet, und allein in diesem Jahr hat Deutschland 15 Kohlekraftwerke endgültig vom Netz genommen.
Die Geduld mit der deutschen Energiepolitik ist am Ende

So schnellte der Strompreis auf dem Spotmarkt kurzzeitig in astronomische Höhen. Das ist wenig überraschend. Der Preis bildet die Knappheit im Land ab, man könnte auch sagen: den Mangel. Und hier kommen die europäischen Partner ins Spiel, insbesondere Norwegen und Schweden. In den südlichen Teilen beider Länder stieg der Preis für Strom nämlich ebenfalls enorm, weil von dort Energie nach Kontinentaleuropa floss. Für die Verbraucher im Land stand also weniger Strom zur Verfügung.

In beiden Ländern war die Geduld mit der deutschen Energiepolitik schliesslich am Ende. Der norwegische Energieminister sprach ohne Umschweife von einer «beschissenen Situation». Sein Koalitionspartner, die Zentrumspartei, will die Verbindungen nach Deutschland und Grossbritannien auf den Prüfstand stellen. Die schwedische Energieministerin sagte in einem Interview gar, sie sei «wütend» auf Deutschland wegen des Atomausstiegs.

Nun gibt es auch hausgemachte Gründe für die hohen Strompreise in Schweden und Norwegen, vor allem schwach ausgebaute Netze in die nördlichen Landesteile. Aber wenn deutsche Politiker glauben sollten, dass die europäischen Nachbarn dem Land bei seiner entrückten Energiepolitik nur allzu gern aushelfen, dann irren sie sich gewaltig. Die anderen Länder brauchen ihre Sauerstoffmasken selbst. Niemand kann Deutschland zur Hilfe eilen, wenn es strauchelt.

Auch die Bereitschaft dazu wird sich in engen Grenzen halten. Dafür haben sich die Politiker in Deutschland zu egoistisch verhalten. Sie haben die Nordstream-Pipelines gegen alle Bedenken östlicher Partnerländer gebaut, sie haben gelacht, als Trump vor der russischen Energieabhängigkeit warnte, sie haben den Atomausstieg gegen alle Warnungen durchgedrückt. Das sollte all jenen Ländern eine Warnung sein, die ebenfalls darauf vertrauen wollen, dass sie sich im Ausland schon mit überschüssiger Energie versorgen können.

Nur ein dürres Bekenntnis zur Kernenergie

Es ist nicht ohne Ironie: Ausgerechnet die Grünen, die sonst bei jeder Gelegenheit die europäische Solidarität beschwören, treten sie an dieser Stelle mit Füssen. Ihre Energiepolitik treibt selbst in den Nachbarländern die Preise. Eigentlich müsste sich die Partei über alle Reaktoren jenseits der Landesgrenzen freuen. Stattdessen tut sie alles, um sie zu bekämpfen.

Wer nun auf die nächste Regierung hofft, könnte enttäuscht werden. Es ist zweifelhaft, ob die Christlichdemokraten den Mut zur Umkehr wirklich aufbringen, zu widersprüchlich sind die Signale aus der Partei. Ihre im November vorgestellte Energie-Agenda ist ein kraftloses Papier, das allenfalls ein dürres Bekenntnis zur Kernenergie enthält. Die Partei will «prüfen», ob es sich lohnt, die zuletzt abgeschalteten Atommeiler wieder ans Netz zu holen. Von einem Wiedereinstieg ist nirgendwo Rede.

Mit anderen Worten: Die Sache ist abgeräumt, bevor es überhaupt zu Koalitionsverhandlungen kommt. Wenn das CDU pur ist, dann ist es ziemlich schal.

Dabei steht eine Menge auf dem Spiel. Die deutsche Industrie darbt. Das Land ist Schlusslicht beim Wirtschaftswachstum. Dafür ist nicht allein die teure Energie verantwortlich, aber auch. Wenn die künftige Regierung an dieser Stelle nicht kraftvoll gegensteuert, droht ein Industriesterben. Und wenn Betriebe erst einmal abwandern, dann kommen sie wohl kaum zurück.

Das allein sollte Grund genug sein für eine neue Energiepolitik. Aber mittlerweile geht es um mehr als nur den deutschen Standort. Es geht um den Ruf des Landes in Europa.

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