Der Vorteil aus
der Sicht jener, welche die Agenda bestimmen, liegt auf der Hand: Man
kann solche Begriffe immer wieder in die Diskussion einbringen, weil
sich politische Ideen und Konzepte immer wieder neu mit diesen Begriffen
aufladen lassen. Warum das Sinn macht, lässt sich bestens an der Arbeit
sogenannter NGOs ablesen, die häufig von Steuergeldern mindestens
mitfinanziert werden, weshalb sie im Wortsinn keine NGOs sind – und
häufig ebenfalls eng verwoben sind mit in der Regel Parteien links der
Mitte, da sie demselben Milieu entstammen. Deshalb findet
Familienministerin Lisa Paus (Grüne) ihr Demokratiefördergesetz auch so
wichtig, weil sie weiß, wer primär davon profitieren würde: die eigenen
Leute.
Würden solche NGOs konkrete Zielvorgaben formulieren, würden sie sich, wenn sie ihren Job gut machen, perspektivisch selbst abschaffen. Also müssen sie immer wieder neue Probleme identifizieren, die sich dann wiederum mit bestimmten Begriffen oder einer bestimmten Haltung, für die man stehen will, aufladen lassen. In der Folge werden Probleme wie Sexismus oder Rassismus nicht etwa gelöst, sondern die Problemfelder permanent verbreitert und die Problemfälle dadurch künstlich vermehrt. Kein Wunder, dass im Deutschland des Jahres 2024 ernsthaft diskutiert wird, ob ein Getränke namens „Lumumba“ rassistisch sei. Das ist eine direkte Folge der inflationären Verwendung des Rassismusbegriffs zugunsten konkreter finanzieller, struktureller und politischer Interessen.
Definitionshoheit über den Demokratiebegriff
Aber auch „Demokratie“ ist heute zu einem abstrakten Begriff geworden. Denn die Bedeutung hat sich, das zeigen die vielen Debatten zum Thema, stark gewandelt. Weg von dem leicht verständlichen Grundprinzip, dass Demokratie erstmal nur eine Staatsform meint, innerhalb derer sich Macht nicht von oben nach unten (wie in Autokratien), sondern von unten nach oben konstituiert, hin zu einem ideologisch aufgeladenen Schlagwort, das Demokratie nicht als Grundprinzip begreift, sondern als Bekenntnismasse. Und was konkret Teil dieser Bekenntnismasse sein muss, das wollen einzelne Parteien und sonstige Protagonisten des politischen Diskurses wiederum ex cathedra bestimmen.
Dass eine selbstgegebene Definitionshoheit über den Demokratiebegriff dem Demokratieprinzip teilweise widerspricht, ist für sich genommen schon unangenehm genug. Noch unangenehmer ist allerdings, dass obendrein noch versucht wird, weltanschauliche Überzeugungen, die den eigenen widersprechen, als undemokratisch oder gar als „Gefahr für die Demokratie“ zu framen – und sich selbst als demokratische Kräfte zu betiteln. Dabei wissen wir dank Jürgen Habermas doch längst vom „zwanglosen Zwang des besseren Arguments“ und dank Immanuel Kant, dass Aufklärung bedeutet, sich aus der „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ zu befreien. Mündige Bürger brauchen keine Belehrungen, was gerade noch demokratisch ist, was schon nicht mehr. Sie brauchen maximal gewisse Rahmenbedingungen, um das untereinander selbst auszuhandeln; wie das Grundgesetz.
Ihre Vorstellungen von Demokratie
Ludwig der XVI. soll einmal gesagt haben: „Der Staat, das bin ich.“ Was wir derzeit landauf, landab und insbesondere links der Mitte erleben, ist ein Selbstverständnis, das sich in Abwandlung dieses Zitates auf folgende Formel bringen lässt: „Die Demokratie, die bin ich.“ Und weil der Demokratiebegriff heute als Synonym für eine konkrete (zeitgeistige) Bekenntnismasse verwendet wird, wird die bestens belegte Entwicklung, dass das Vertrauen in staatliche Institutionen gesunken ist, gleichgesetzt mit einem Vertrauensverlust in die Demokratie an sich; also in das Prinzip, wonach die Macht vom Volk ausgeht. Wer von sich selbst glaubt, Demokrat zu sein, und anderen vorwirft, es nicht zu sein, kann gar nicht anders argumentieren.
Was in solchen
Argumentationsketten nicht oder, sagen wir, zu selten berücksichtigt
wird, ist, dass das Vertrauen in staatliche Institutionen nicht sinkt,
weil die Menschen per se das Vertrauen in die Demokratie verlieren
würden, sondern dass im Gegenteil das Vertrauen in die staatlichen
Institutionen sinkt, weil immer mehr Menschen der Meinung sind, dass
diese ihrem demokratischen Auftrag nicht oder nicht mehr ausreichend
gerecht werden. Das ist erstens ein entscheidender Unterschied. Und es
ist zweitens ein Arbeitsauftrag für staatliche Institutionen und
Parteien, sich selbst kritisch zu hinterfragen, ob ihre Vorstellungen
von Demokratie – und wie sie sich in der Praxis zu äußern habe – noch
ausreichend demokratisch sind.
Gleiches gilt für das sinkende Vertrauen in den Journalismus, der keine Absage an den Journalismus an sich ist, sondern eine Kritik an der Arbeitsweise vieler Journalisten. Und gleiches gilt auch für den Vertrauensverlust in die etablierten Parteien, der nichts mit den Parteien an sich zu tun hat, sondern mit den Personen, die in diesen Parteien seit Jahren den Ton angeben – und denen immer weniger zugetraut wird, die drängendsten Probleme unserer Zeit zu lösen. Will heißen: Wer solche Vertrauensverluste reparieren möchte, sollte bei sich selbst anfangen und nicht nur mit dem Finger auf all jene zeigen, die ihre Kritik in mal mehr, mal weniger höfliche Worte fassen. Und was gar nicht geht, ist, Bürger mit der geballten Staatsmacht einzuschüchtern, wenn diese aus der Reihe tanzen. Der Bürger ist der Souverän, nicht der Untertan.
Ohne Grundsatzfragen keine Demokratie
Warum das eine – der Vertrauensverlust in Parteien und staatliche Institutionen – nicht auch das andere bedeuten muss – dass das Vertrauen in die Richtigkeit und Wichtigkeit der Demokratie schwindet –, lässt sich anhand einer Studie der Körber-Stiftung vom August 2023 gut nachvollziehen. „Das Vertrauen der Bundesbürger in die Demokratie nimmt einer Umfrage zufolge rapide ab“, fasste damals die Deutsche Presse-Agentur die Ergebnisse der Studie zusammen. Im selben Artikel heißt es aber auch: „Rund 90 Prozent [der Befragten] erklärten dabei, dass ihnen ein Leben in Freiheit, Gleichheit vor dem Gesetz sowie das Recht auf freie Meinungsäußerung und freie und geheime Wahlen wichtig seien.“
Letzteres ist ein klares Bekenntnis zum Demokratieprinzip. Denn es macht nicht nur Sinn, zwischen dem Staat und der Demokratie zu unterscheiden. Es lohnt auch, zwischen wesentlichen Eigenschaften, die eine Demokratie braucht, und dem zu differenzieren, was sich als institutionalisierte Demokratie bezeichnen lässt. Freie Wahlen sind eine wesentliche Eigenschaft von Demokratien. Ohne freie Wahlen keine Demokratie. Ob diese Wahlen alle vier oder fünf Jahre stattfinden oder ob der Wahlzettel pink oder gelb ist, das ist Sache institutionalisierter Demokratie. Ein gelber Wahlzettel ist nicht weniger demokratisch als ein pinker. Und über die Frage, in welchem Turnus freie Wahlen abgehalten werden sollten, lässt sich zwar trefflich streiten. Für die Demokratie wesentlich ist aber nur, dass freie Wahlen stattfinden.
Damit das Vertrauen wieder steigt
Der
Vertrauensverlust in die staatlichen Institutionen und in die Parteien
wäre also ein hervorragender Anlass, den Status quo nicht nur mit Zähnen
und Klauen zu verteidigen, sondern sich ernsthaft die Frage zu stellen,
was ganz konkret zu tun wäre, damit das Vertrauen in sie wieder steigt.
Das reicht von der Frage, ob es eine radikale Rückbesinnung des Staates
auf seine originären Aufgaben braucht, über konkrete Überlegungen, wie
ein Wahlsystem aussehen könnte, durch das sich die Wähler wieder stärker repräsentiert fühlen,
bis hin zur Diskussion über den viel zitierten Kontrollverlust des
Staates, der sich etwa bei der illegalen Einwanderung zeigt. Denn ein
Staat kann sich nur selbst delegitimieren, indem er seine ihm
übertragenen Kernaufgaben nicht mehr erfüllt.
Warum wählen wir den Bundeskanzler eigentlich nicht direkt? Wäre es sinnvoll, die Dauer zu beschränken, für die Politiker in Parlamenten sitzen dürfen? Brauchen wir mehr direkte Demokratie? Sollten wirklich Personen in Parlamente einziehen, die nie direkt gewählt wurden, sondern nur über einen Listenplatz? Und ist unser Parteiensystem in seiner jetzigen Form ein wesentlicher Bestandteil der Demokratie – oder steht es einer lebendigen Demokratie eher im Weg? Mit all dem Geklüngel und den großen Hürden für neue Parteien, sich innerhalb des Parteiensystems zu etablieren. Muss die Fünf-Prozent-Hürde weg? Und warum schlägt sich die Wahlbeteiligung nicht auch im Parlament nieder? Man könnte – nur so eine Idee – Parlamentssitze auch einfach leerlassen, um die vielen Nicht-Wähler sichtbar zu machen.
Anlass für eine Inventur
Wer solche Fragen stellt, macht sich in den Augen selbsternannter Demokratieretter schnell verdächtig. Dabei gehört es zur Kernaufgabe mündiger Bürger, grundsätzliche Fragen zu stellen. Denn ohne grundsätzliche Fragen hätte es beispielsweise die Aufklärung nie gegeben und wir hätten immer noch eine Ständegesellschaft. Ohne grundsätzliche Fragen hätten wir auch kein Grundgesetz und damit nichts, worauf sich unsere Demokratie gründen könnte. Kurzum: Ohne den Mut, auch grundsätzliche Fragen zu stellen, hätte es die Demokratie nie gegeben und wir würden bis heute wohl in einer Welt leben, in der nur das Recht des Stärkeren gilt; der Monarchen und der Kirche.
Auch ich will die Demokratie nicht „abschaffen“,
wie es reflexartig gerne heißt, wenn es Menschen wagen, sich zur
Abwechslung grundlegenden Gedanken über Prinzip und Funktionsweise unseres Systems
zu machen, statt nur an Symptomen herumoperieren zu wollen. Aber zur
Wahrheit gehört eben auch, dass es anlässlich des Vertrauensverlustes in
staatliche Institutionen und die Parteien nicht schaden kann, eine
Inventur der institutionalisierten Demokratie zu machen – was vieles
wäre, aber nicht undemokratisch. Denn „Demokratie“ meint zuvorderst eine
Regierungsform, in der die Macht vom Volk ausgeht – und keine
Bekenntnismasse, die irgendeinen Zeitgeist transportiert oder den Status
quo verteidigt.
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