01 Dezember 2025

Vorwurf Rechtsterrorismus Warum der „Reichsbürger“-Prozess zur Farce wird (WELT+)

Die Altmeisterin des Gerichtsjournalismus Gisela Friedrichsen klagt an, das mehrere alte Leute, die niemandem etwas getan haben, ohne konkrete Vorwürfe seit 3 Jahren im Gefängnis sitzen.
Vorwurf Rechtsterrorismus
Warum der „Reichsbürger“-Prozess zur Farce wird (WELT+)
Von Gisela Friedrichsen, 01.12.2025, 7 Min
Erst ist die Aufregung groß. Doch inzwischen verlesen die Richter im Frankfurter „Reichsbürger“-Prozess vor allem unergiebige Telefonmitschnitte und Chats. Konkrete Hinweise auf Terrorgefahr durch Prinz Reuß und Co.? Fehlanzeige.
Hätten sie bloß eine konkrete Tat begangen! Eine Fensterscheibe eingeworfen oder sich einer Körperverletzung schuldig gemacht, irgendetwas, was für andere Personen einen Schaden bedeutet hätte, den man messen kann. Man hätte etwas in Händen. Es würde einleuchten, dass sich die mutmaßlichen Täter unter Umständen vor Gericht zu verantworten und mit einer Strafe zu rechnen hätten.
Vor dem Oberlandesgericht Frankfurt aber stehen neun Angeklagte, die jetzt das vierte Weihnachten in Untersuchungshaft verbringen müssen. Nach Auffassung des Generalbundesanwalts sind sie gefährliche „Reichsbürger“ oder deren Unterstützer, die eine terroristische Vereinigung gebildet haben, um den Bundestag zu stürmen und einen Umsturz herbeizuführen. Tatsächlich sind sie nirgendwo bewaffnet eingedrungen, schon gar nicht in den Bundestag. Sie haben niemanden verletzt, keine Geiseln genommen oder gar getötet.
Man verhandelt nicht über Konkretes, sondern darüber, was theoretisch hätte sein können (juristisch ein „abstraktes Gefährdungsdelikt“) und deswegen bereits strafbar ist. Obwohl: Ob hier auch nur abstrakt etwas hätte passieren können, ist fraglich. Und ob die verwirrten älteren Herrschaften etwas Gefährliches beabsichtigt haben, auch.
Unstrittig gibt es jene „Allianz“ aus Supermächten mit Echsenmenschen und derlei Zauber nicht, auf die in den Monaten zwischen Herbst 2021 und Frühjahr 2022 einige der Angeklagten offenbar vertrauten in der Hoffnung, diese Mächte würden bald weltweit Regierungen „abschalten“, darunter auch die deutsche. Dann wäre es vorbei gewesen etwa mit jenen unterirdischen Anlagen, in denen angeblich Kinder von pädophilen Politikern missbraucht, ja getötet werden. Vorbei auch mit Einschränkungen der Grund- und Freiheitsrechte wegen Corona, vorbei mit Impfpflicht und Falschmeldungen in den Medien. Eine Militärregierung mit einer Million Soldaten sollte das Kommando übernehmen, bis ein neues Deutschland gleichsam aus der Asche emporstiege, und so fort.
Dieses Szenario ist keine Erfindung der „Reichsbürger“, sondern stammt aus US-Verschwörungsmythen à la QAnon, für die sich auf zwielichtigen Internet-Kanälen ein erschreckend zahlreiches Publikum interessiert. Wer so etwas glaubt, ist selbst schuld.
Die Inhalte dieser „Narrative“ sind so bizarr, dass sich die Frage aufdrängt, was etwa Heinrich XIII. Prinz Reuß, ein gebildeter Mann von heute fast 74 Jahren, dazu brachte, so etwas für bare Münze zu nehmen. Keiner hat diese unterirdischen Anlagen je gefunden oder sie gar betreten. Es gibt nur ein Mädchen „Nathalie“ aus der Schweiz, das von seiner Mutter den Medien als Opfer präsentiert wurde zum Beweis für Satanisches im Untergrund. Lag es an Corona, dass manche Leute Realität und Fantasie damals nicht mehr auseinanderhielten?
„Kein normaler Militär würde so was tun!“
Wochen-, ja monatelang verlasen die Frankfurter Richter unergiebige Telefonmitschnitte, Chats und Kurznachrichten, um zu prüfen, ob sich darunter nicht doch etwas Terroristisches finde. Ein wenig mehr wurde die Szenerie erhellt durch die Aussage eines Zeugen, der zu den schon Verurteilten aus jenem Koblenzer Prozess zählt, in dem es um die Entführung des damaligen Gesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD) ging. Der Mann hatte offenbar von einem Mitangeklagten gehört, ein gewisser „Peter“ – vermutlich der Angeklagte Peter Wörner – habe mal von einem Reichstagssturm geredet.

„Wir haben uns kaputt gelacht! Es wurde so viel geschwätzt, alles nur Fantasterei. Ständig wurden neue Termine genannt für das Eingreifen dieser Allianz. Erst im Dezember, dann Mitte Januar, Februar, März, April. Das war für mich Anlass zu sagen: alles Quatsch. Es gab in meinen Augen gar keine Handlungsbereitschaft! Das war wohl ein Ventil, um mit einer beunruhigenden Situation umzugehen. Der eine zieht sich zurück, der andere schafft sich eine Traumwelt.“

Zu ihnen gehört der Angeklagte Oberst a.D. Max Eder, 66, ein schmaler, kleingewachsener Soldat durch und durch, der im Kosovo und in Afghanistan gekämpft hat und jahrelang im Nato-Hauptquartier in Brüssel diente. Ihm unterstellt der Generalbundesanwalt, einen Sturm auf den Reichstag nicht nur im Sinn gehabt zu haben, sondern dafür auch die Fähigkeit zu besitzen.
Eder weist dies vehement von sich: „Das wäre ein Kamikaze-Unternehmen gewesen, ein völlig unmögliches Unterfangen! Wie sollen ein paar ehemalige Soldaten dieses 13.800 Quadratmeter große Gebäude einnehmen? Kein normaler Militär würde so etwas tun!“

Er behauptet, etwas anderes vorgehabt zu haben, etwas in seinen Augen völlig Legales. Sein Ziel waren laut seiner Aussage allein die angeblichen unterirdischen Anlagen im Drei-Länder-Eck bei Basel, aus denen er Kinder befreien wollte und pädophile Straftäter auf frischer Tat ertappen.

Von der Existenz solcher Tatorte ist er nach wie vor überzeugt, ja besessen. Vor Gericht redet er seine Zuhörer schwindelig, wie er strategisch vorgegangen wäre und Mitstreiter („Generale, denen unschön mitgespielt worden war“) hätte rekrutieren wollen. In Eders Fantasiewelt gipfelt sein ganzes Trachten offenbar in der Vorstellung, endlich wieder „einen Stab“ bilden zu können. Wie früher, als er noch Rang und Namen hatte. „In Zusammenarbeit mit Schweizer Behörden natürlich“, beeilt er sich hinzuzufügen.

„Allein macht das keinen Sinn, ebenso wie ein Sturm auf den Reichstag“, beteuert er. „Wenn es zur Bildung eines Stabes gekommen wäre, hätten die Leute, die ich eingeplant hätte, gewusst, was zu tun ist. Wir Soldaten sind eigenständig“, erklärt er dem Vorsitzenden auf dessen Frage nach Bewaffnung. „Jeder wäre mit seiner eigenen Bundeswehr-Ausrüstung gekommen.“ Was ein ehemaliger Soldat halt so zu Hause hat.

Je länger Eder redet, desto brenzliger wird es für ihn. Sein Verteidiger versucht zu bremsen. Eder hört nicht auf ihn. Also fährt der Vorsitzende fort zu fragen: „Ich verstehe nicht, Herr Eder, wieso man sich bei der Allianz angesichts einer derart komplexen Operation wie der Befreiung von Kindern ausgerechnet an einen Privatmann wendet?“ Eder war damals bereits aus der Bundeswehr ausgeschieden. Er windet sich, stellt sich als eine Person dar, die im Ruf stand, verrückte Dinge zu tun und sich auch mal über Vorschriften hinwegzusetzen. So jemanden habe man gebraucht.

Wer wandte sich an Eder? Wer beauftragte ihn? War es denn nicht Absicht der übermächtigen „Allianz“, selbst gegen das pädophile Treiben vorzugehen? Wozu dann noch ein „Stab“ unter Eders Führung? Wozu seine Pläne zum Auffinden der Anlagen, wenn es einen Mitangeklagten gibt, der behauptet, dort unten schon gekämpft zu haben? „Ich hätte vielleicht skeptischer sein müssen“, sagt Eder kleinlaut. Er sei wohl betrogen worden. Oder ging es doch um den Reichstagssturm?

Offensichtlich ist Eder genauso wie die gutherzige Johanna F. oder ein wohlhabender Unternehmer sowie andere Gutgläubige, die auf der Anklagebank landeten, um ihr Erspartes gebracht worden. Sie haben sechsstellige Beträge gespendet für die Rettung der Kinder. Auch Prinz Reuß will dafür 50.000 Euro gegeben haben. Eder selbst hat sich nach eigenen Angaben hoch verschuldet und sein Haus verkauft, um die Befreiungsoperation bei Basel zu finanzieren. Wohin floss das Geld? Wer hat den Schwindel inszeniert?

Fast verzweifelt, als fürchte er, nicht ernst genommen zu werden, versichert Eder dem Senat, in bestem Glauben gehandelt zu haben: „Ich habe doch keine Straftat geplant! Ich habe mich an Ämter und höchste Stellen gewandt mit der Bitte, den Missbrauch abzustellen! Kinder befreien zu wollen, ist doch keine Straftat!“ Es ist auch nicht strafbar, falschen Propheten hinterherzulaufen.

Fazit nach rund 100 Sitzungstagen: Angeklagt sind Personen, die sich einen Bären haben aufbinden lassen. Oder die ihren Opfern einen Bären aufgebunden haben. Dass sie gemeinsam fest entschlossen gewesen seien, blutigen Terror zu verbreiten, dafür fehlt es weiterhin an Beweisen. Zeugen bestätigten die Terror-These der Anklage nicht, abgesehen vielleicht von einem notorischen Knast-Denunzianten, dessen Angaben so glaubhaft sind wie Wahlversprechen von Politikern. Oder finden sich in den Akten, die im Selbstleseverfahren von der Verteidigung zur Kenntnis genommen werden sollen und von denen die Öffentlichkeit nichts erfährt, mehr Belege für Terror?

Es geht äußerst schleppend voran. Dieses von einer Justizsprecherin als „größter Terrorprozess der Nachkriegszeit“ angekündigte Verfahren scheint langsam zu erodieren. Immer öfter fallen Termine aus, Richter erkranken, zwei Angeklagte sind verstorben.

Doch unerbittlich bleibt es bei U-Haft. Einer der Reuss-Verteidiger moniert immer wieder, der Senat berücksichtige viel zu wenig die Nichtexistenz der „Allianz“ und der unterirdischen Tatorte; nicht mal abstrakt hätte es zu Terrorakten kommen können. Ein Anwalt spricht von der „Ruine einer Anklage“. Doch noch gibt es keine abschließende Antwort auf die Frage, ob das Verfahren nicht eher auf einem Riesenschwindel beruht, denn auf konkreten Terrortaten.

Dieser Text ist aus der WELT AM SONNTAG.

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