25 Dezember 2025

Deutschland hat die Organisation Hate Aid ausgezeichnet. Die US-Regierung zählt sie hingegen zum «globalen Zensur-Industrie-Komplex» (NZZ)

Deutschland hat die Organisation Hate Aid ausgezeichnet.
Die US-Regierung zählt sie hingegen zum «globalen Zensur-Industrie-Komplex» (NZZ)
Die Aktivistin Anna-Lena von Hodenberg erhielt in diesem Jahr das Bundesverdienstkreuz. Von der amerikanischen Regierung wurde sie zusammen mit ihrer Kollegin Josephine Ballon nun jedoch sanktioniert
Anna Schiller, Berlin, 24.12.20
Im Oktober dieses Jahres hatte Anna-Lena von Hodenberg noch gut lachen. Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier würdigte die Gründerin der Organisation Hate Aid für ihren Einsatz für die Meinungsfreiheit. Im Schloss Bellevue in Berlin verlieh das deutsche Staatsoberhaupt ihr das Bundesverdienstkreuz.
Hate Aid sei die erste bundesweite Beratungsstelle, an die sich Menschen bei digitaler Gewalt wenden könnten, sagte die «Tagesschau»-Moderatorin Susanne Daubner bei der Verleihung. Von Hodenberg habe eine «wahre Pionierleistung» erbracht und stärke die demokratischen Grundwerte online.

In den USA könnte der Blick auf von Hodenberg wohl kaum unterschiedlicher sein. Die amerikanische Regierung sieht in der deutschen Aktivistin eine Gefahr für die Meinungsfreiheit. Gegen sie, ihre Kollegin Josephine Ballon sowie gegen drei weitere Europäer verhängte die Regierung am Dienstag Einreisesperren. Der Außenminister Marco Rubio sprach von «Vertretern des globalen Zensur-Industrie-Komplexes».

Ein Interview kam bei der US-Regierung nicht gut an

Zur Begründung schrieb die Staatssekretärin im amerikanischen Außenministerium, Sarah B. Rogers, auf der Plattform X, Hate Aid sei gegründet worden, um konservativen Gruppen entgegenzutreten. Sie kreidete der Organisation an, dass sie als sogenannter Trusted Flagger fungiert – als staatlich zertifizierte Stelle, die Plattformen auf illegale Inhalte hinweisen soll. Rogers wirft von Hodenberg zudem vor, sie habe die Gefahr von rechtsextremer Desinformation vorgeschoben, um eine Verschärfung der europäischen Plattform-Regulierung voranzutreiben.
Auch die Co-Geschäftsführerin von Hate Aid, Josephine Ballon, ist von der Einreisesperre betroffen. Rogers verwies zur Erklärung auf ein Interview, das Ballon im Februar dieses Jahres dem amerikanischen Sender CBS gegeben hatte. «Die Meinungsfreiheit braucht Grenzen», sagte Ballon damals. Ohne Grenzen hätte eine sehr kleine Gruppe von Menschen unendliche Freiheit, zu sagen, was sie wolle, während alle anderen Angst hätten und eingeschüchtert seien.

Ballon und von Hodenberg sehen sich durch die Maßnahmen der amerikanischen Regierung nun selbst in ihrer Meinungsfreiheit eingeschränkt. Sie seien davon nicht überrascht, teilten sie der Deutschen Presse-Agentur mit. «Es ist ein Akt der Repression einer Regierung, die zunehmend Rechtsstaatlichkeit missachtet und versucht, ihre Kritiker mit aller Härte zum Schweigen zu bringen.»

Deutsche Regierung kritisiert Einreiseverbot

Auch die deutsche Regierung kritisierte das Vorgehen der amerikanischen Regierung. Aus Sicht der Justizministerin Stefanie Hubig leistet Hate Aid einen wichtigen Beitrag zum Schutz der Persönlichkeitsrechte im digitalen Raum. «Wer das als Zensur bezeichnet, stellt unser rechtsstaatliches System falsch dar», teilte die Sozialdemokratin mit. «Nach welchen Regeln wir in Deutschland und in Europa im digitalen Raum leben wollen, wird nicht in Washington entschieden.»

Der deutsche Außenminister Johann Wadephul nannte die Einreiseverbote nicht akzeptabel. Die anderen Auffassungen hinsichtlich der EU-Gesetzgebung wolle man jedoch grundsätzlich im transatlantischen Dialog klären, um die Partnerschaft zu stärken, schrieb der CDU-Politiker auf X.

Hate Aid wurde 2018 gegründet. Im vergangenen Jahr hat die Organisation laut ihrem Tätigkeitsbericht 1877 Personen unterstützt, davon seien 8 Prozent Personen des öffentlichen Lebens gewesen. Hate Aid finanzierte 143 Abmahnungen und 49 Zivilklagen. Zudem will die Organisation Hilfe bei der Stellung von 326 Strafanzeigen geleistet haben.
Hate Aid vertritt auch Politiker

In der Vergangenheit half Hate Aid etwa der Grünen-Politikerin Renate Künast bei einem Prozess gegen den amerikanischen Konzern Meta, zu dem die Plattformen Facebook und Instagram gehören. Künast ging gegen die Verbreitung eines Zitats vor, das ihr fälschlicherweise zugeschrieben wurde. In einem anderen Fall unterstützte Hate Aid jüdische Studenten bei einer Klage gegen die Plattform X, damals noch Twitter, weil diese antisemitische Kommentare trotz Hinweisen nicht gelöscht haben soll.

Neben der Unterstützung einzelner Personen betreibt Hate Aid Lobbyarbeit. Die Organisation ist politisch vernetzt. Im Beirat sitzen neben Künast etwa die frühere CDU-Bundestagsabgeordnete Nadine Schön, die frühere Justizministerin Brigitte Zypries von der SPD und der ehemalige Verfassungsrichter Udo di Fabio.

Von Hodenberg und Ballon sind außerdem im Lobbyregister des deutschen Parlaments registriert. Sie setzen sich dort laut den Angaben unter anderem für weitere Auskunftsansprüche der Nutzer von Plattformen ein und wollen erreichen, dass Richter Accounts sperren lassen dürfen. In einem Schreiben an die Bundestagsfraktionen warnten die Aktivistinnen im März unter anderem vor der «Diskreditierung der EU-Regulierung als Zensur durch Elon Musk».
Staatliche Förderung für Hate Aid

Hate Aid erhält staatliche Gelder. Laut Angaben der Organisation stammten 2024 rund 22 Prozent des Budgets aus öffentlichen Mitteln. In diesem Jahr flossen aus dem Etat des Justizministeriums 600 000 Euro an die Organisation. Im Rahmen des Projekts «Demokratie leben» erhielt sie zudem für eine Kooperation mit anderen NGO 424 823 Euro.

Die AfD kritisierte die staatliche Förderung von Hate Aid zuletzt. Das Geschäftsmodell sei so simpel wie lukrativ zugleich, sagte im September der AfD-Abgeordnete Mirco Hanker in einer Rede im Bundestag. Die Organisation unterstütze prominente Politiker bei ihren Prozessen gegen vermeintliche Hasskommentare und kassiere dafür auch noch Millionen vom Staat.

Auch der frühere deutsche Justizminister Marco Buschmann erwog bereits, Hate Aid die staatliche Unterstützung zu streichen. Der FDP-Politiker begründete dies 2023 mit Sparmaßnahmen. Nach öffentlicher Kritik wurde die Förderung jedoch fortgesetzt.

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