03 Dezember 2025

The Pioneer - Kanzler Merz: Ein Irrtum

SPD hat das Sagen
Business Class Edition
Kanzler Merz: Ein Irrtum
Gabor Steingart, 02.12.2025
Guten Morgen,

man wünschte, der folgende Satz wäre eine Polemik: Die Regierung des Friedrich Merz ist die wirtschaftsfeindlichste in der Geschichte der Bundesrepublik. Der Befund ist insofern bemerkenswert, als schon die Regierungen davor vieles getan haben, um die Unternehmer zu entmutigen und den Prozess der Deindustrialisierung zu beschleunigen.
Angela Merkel ließ – obwohl sie um die Erosionsprozesse wusste – sich in 16 Jahren auf der Reformbaustelle nicht blicken. Olaf Scholz halluzinierte vom „grünen Wirtschaftswunder“. Sein zuständiger Minister verkaufte Ahnungslosigkeit als Kreativität.
Das Publikum dachte, nach Robert Habeck kann es schlimmer nicht werden. Aber die Regierung aus CDU, CSU und SPD setzte im Faktischen wie in der Tonalität die Maßstäbe weiter nach unten. Habeck war wenigstens charmant. Das kann man über die SPD-Chefin und Arbeitsministerin im Team Merz nicht sagen, die im Jargon der Bahnhofskneipe („Bullshit“) über Finanzierungsschwierigkeiten im Sozialstaat spricht und die Arbeitgeber auf dem Juso-Kongress unisono als Gegner bezeichnet, die es zu bekämpfen gilt.

"Für mich war dieser Arbeitgebertag ein Schlüsselerlebnis, weil da besonders deutlich wurde, gegen wen wir gemeinsam kämpfen müssen."

Friedrich Merz lässt die Dinge treiben. Er bleibt auch dann der Sprengmeister der Wohlstandsgesellschaft, wenn das nicht seine Absicht war und viele der Dynamitstangen aus den Munitionsfabriken der SPD stammen. Aber er ist der Mann am Sprengkasten: Schuldenhöhe, Regulierungstiefe und Sozialstaatsexpansion. Nichts geschieht ohne sein Zutun. Viele Menschen können sich auf ihre Machtlosigkeit herausreden, ein Bundeskanzler nicht. Hier der Befund im Einzelnen:
#1 Die neue Regierung tritt der Wirtschaft feindselig entgegen
Für Teile der Bundesregierung sind die Unternehmer nicht wertvoll, sondern verdächtig. Was die Arbeits- und Sozialministerin auf dem Juso-Kongress sagte, war kein Ausrutscher. Sie meint, was sie sagt.

Die Tatsache, dass Friedrich Merz nicht die Kraft fand, ihr öffentlich zu widersprechen, offenbart die Machtverhältnisse innerhalb der Regierung. De facto hat die SPD das Sagen. Sie stellt sieben von 16 Ministern. Ihr unterstehen knapp 60 Prozent des Bundesbudgets. Merz wirkt wie ein abhängig Beschäftigter der Sozialdemokratie.
#2 Mit Schulden wird Stagnation finanziert

Ökonomen wissen: Staatliche Neuverschuldung muss nicht per se etwas Verwerfliches sein. In einer Rezession kann sie stimulierend wirken. Entscheidend ist, wofür die Kredite eingesetzt werden. Wer investiert, schafft Wert. Wer konsumiert, produziert Kosten. Die neue Regierung entschied sich – mit bemerkenswerter Konsequenz – für Letzteres.

Die Neuverschuldung erreicht historische Höhen, um Stabilisierungsmaßnahmen zu finanzieren für Systeme, die unhaltbar geworden sind. Mit steigendem Staatsverbrauch versucht die Regierung, die rückläufige Investitionsneigung der Privatwirtschaft unsichtbar zu machen. Oder anders formuliert: Die wirtschaftliche Stagnation unseres Landes ist die beste Stagnation, die man für Geld kaufen kann.

#3 Regierung erhöht das Regulierungsniveau, nicht die Wettbewerbsfähigkeit

Das Tariftreuegesetz ist das Sinnbild einer politisch gewollten Bürokratisierung des Wirtschaftslebens. Eine gut gemeinte Idee – fairere Löhne, mehr Schutz vor Lohndumping – wird zur bürokratischen Mehrbelastung, die insbesondere kleinen und mittleren Betrieben zu schaffen macht.
Wer öffentliche Aufträge will, verliert durch das Tariftreuegesetz das Recht auf die im Grundgesetz garantierte Koalitionsfreiheit, also das Recht, sich einem Tarifverbund anzuschließen oder es sein zu lassen. Wer einen öffentlichen Auftrag will, muss künftig Tariflohn zahlen und zusätzliche Dokumentationspflichten übernehmen. Die Idee: Über die öffentliche Auftragsvergabe greift der Staat in die Lohn- und Kostenstruktur der Firmen ein. Ein Triumph für IG Metall und Co.
#4 Wachstumsbooster für den Sozialstaat – Rechnung folgt später
Während die Wirtschaft in Deutschland das Vor-Covid-Niveau noch immer nicht erreicht hat, stößt der deutsche Sozialstaat in neue Sphären vor. Seit 2012 ist das Budget des Arbeits- und Sozialministeriums um mehr als 50 Prozent auf 190 Milliarden gewachsen und bindet damit knapp 38 Prozent des gesamten Bundeshaushalts.
Damit ist der Sozialstaat das schnellstwachsende Aggregat in Deutschland.Laut einer Projektion des Forschungsinstituts „Dezernat Zukunft“ wird im Jahr 2030 das Sozialbudget (durch die darin enthaltenen Rechtsansprüche auf Leistungen) über 80 Prozent aller Steuereinnahmen benötigen. Der versteinerte Haushalt – wie ihn der Bundesrechnungshof nennt – nimmt den Politikern künftiger Generationen jeden Handlungsspielraum. Merz und Bas – die in dieser Woche gemeinsam ein kostspieliges Rentenpaket durch den Bundestag bringen wollen – hätten sich in der Versteinerung verewigt.
#5 Boom im Export – von Arbeitsplätzen
Die Unterkühlung der deutschen Wirtschaft ist nicht nur in Stimmungsbarometern abzulesen, sondern am Stellenabbau. Wie Zahlen der Unternehmensberatung EY zeigen, lag die Zahl der Beschäftigten in der Industrie zum 30. September um 120.000 Stellen niedriger als im Vorjahr. Verglichen mit dem Vor-Covid-Jahr 2019 sank die Zahl der Beschäftigten um 271.700. Das heißt: Fast jeder 20. Industriejob wurde seither gestrichen.
Auto-Nation im Abstieg: Seit 2019 sank die Zahl der Stellen in der deutschen Schlüsselindustrie um knapp 112.000 (minus 13 Prozent). Das heißt: In den vergangenen sechs Jahren ging fast jeder siebte Job in der deutschen Autoindustrie verloren. Die inländische Wertschöpfung schrumpft zugunsten der ausländischen Wertschöpfung: Mittlerweile erwirtschaften die Dax-Konzerne vier von fünf Euro im Ausland.
Fazit: Seine Gegner hat Merz bestätigt, seine Freunde enttäuscht. Andersherum wäre es der Demokratie bekömmlicher. Die Kunst besteht nun darin, die Enttäuschung nicht zur Entmutigung zu steigern. Oder um es mit Friedrich Nietzsche zu sagen: „Wenn du zu lange in den Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.

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