16 Dezember 2025

Der andere Blick - Antisemitischer Terror: Gesten der Betroffenheit reichen nicht aus (NZZ)

Der andere Blick
Antisemitischer Terror:
Gesten der Betroffenheit reichen nicht aus (NZZ)

Auch in Deutschland fordern Antisemiten eine «Globalisierung der Intifada». Die terroristischen Morde an Juden in Sydney zeigen, dass dieser Aufruf Wirkung hat. Deutschland tut nicht genug.
Sebastian Lange, Berlin, 15.12.2025, 3 Min
Es geschieht an allen Enden der Welt, in Amerika, Europa, im Nahen Osten – und in Australien, wo gestern 16 Menschen bei einem antisemitischen Mordanschlag starben. Überall werden Juden angefeindet, angegriffen und ermordet.
Es ist gut, dass der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz sich nach den antisemitischen Morden in Sydney schnell zu Wort gemeldet hat: «Dies ist ein Angriff auf unsere gemeinsamen Werte», sagte er auf dem Portal X, «diesem Antisemitismus müssen wir Einhalt gebieten.» Recht hat der Bundeskanzler, auch wenn unklar bleibt, welche Werte er genau meint. Immerhin, das muss man Merz zugestehen, bezieht er beim Thema Antisemitismus Position.
Allerdings wirken die Statements deutscher Politiker nach solchen Terrorakten ziemlich hilflos. Denn schon lange macht sich das Gefühl breit, dass sie mit ihren Worten das Land nicht hinter sich einen können. Zu deutlich ist zu spüren, dass in Deutschland wieder eine krude Mischung aus neuem und altem Antisemitismus vor sich hin gärt.
Sie sagen «Zionisten» und meinen Juden
Paradoxerweise gilt das besonders seit dem 7. Oktober 2023, dem Tag des grössten Massakers an Juden seit dem Holocaust. Wer im seitdem wieder offen aufflammenden Judenhass eine verquere Reaktion auf die harte Kriegsführung Israels in Gaza sieht, der sei an die Freudenbekundungen am 7. Oktober in Berlin-Neukölln und andernorts erinnert und die bald nach Kriegsbeginn einsetzenden Demonstrationen gegen einen angeblichen Genozid in Gaza. Der Protest richtet sich vordergründig gegen den Staat Israel, meint aber eigentlich Juden, teilweise kaum kaschiert durch die Chiffre «Zionisten».
Es bilden sich eigenartige lose Bündnisse zwischen Linken, Studenten, Migranten aus islamischen Ländern und Rechtsradikalen, die gemeinsam wieder ein antisemitisches Klima in Deutschland schaffen. «Wir sitzen auf gepackten Koffern», sagen manche Juden in Deutschland inzwischen. Das Ziel einer Ausreise wäre häufig Israel – der Staat, dem die grössere Fähigkeit zugesprochen wird, Juden zu schützen. Für Deutschland, das Land des Holocaust, ist das ein Armutszeugnis.
Staat, Politik und Zivilgesellschaft tun hierzulande viel zu wenig gegen Antisemitismus. Wie kann es sonst sein, dass Juden sich auf der Strasse in Grossstädten kaum noch trauen, die Kippa oder einen Davidstern zu tragen?

Wie kann es sein, dass bei studentischen Veranstaltungen an deutschen Universitäten die «globale Intifada» ausgerufen und die Hamas als Widerstandsbewegung verklärt wird? Es ist befremdlich, zu sehen, dass es bei Solid, der Jugendorganisation der Linkspartei, starke Kräfte gibt, die ihre Partei «von Zionisten säubern» wollen und den israelfreundlichen Linken-Politiker Bodo Ramelow als «Verräterschwein» bezeichnen.

Antisemitisches Umfeld in Moscheen

Wie kann es sein, dass der deutsche Staat bei der Ausbildung von Imamen zugleich immer noch mit der türkischen Religionsbehörde kooperiert, deren Präsident an Tagungen teilnimmt, auf denen zum bewaffneten Kampf gegen Israel aufgerufen wird? Auch im Umfeld deutscher Moscheen existiert ein Milieu, das eine kämpferische Haltung gegenüber Juden, aber auch gegenüber Christen hat.

Und nicht zuletzt: Wie kann es sein, dass die AfD-Führung sich weiterhin nicht von Kräften in ihrer Partei distanziert, die regelmässig mit Verharmlosungen des Nationalsozialismus spielen?

Die Morde an Bondi Beach in Sydney geschahen während des jüdischen Lichterfests Hanukka. Wer, wenn nicht die Deutschen, sollten sich verpflichtet fühlen, dafür zu sorgen, dass die Lichter dieses Fests nicht erlöschen?


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