„Der Weg ins Havelland führt durch Wälder, über Alleen und an Seen vorbei. Auf einem großen Feld zur Linken stehen Kraniche, rechts ziehen Wildgänse vorüber. In einem Dorf hat Juli Zeh ein altes Häuschen zu ihrem Büro umgebaut. Abgemacht war, dass wir für die genaue Adresse anrufen, wenn wir in der Nähe sind. Aber wir kriegen kein Netz. Klappt dann doch. Erst kommt der Hund um die Ecke, dann sie selbst.“
„Die Leute sind einfach extrem unzufrieden. Sie haben nicht das geringste Vertrauen in die herkömmlichen Parteien, weil es an allen Ecken und Enden an der simplen Grundversorgung fehlt: Bildung, Mobilität, Gesundheit, Pflege, bezahlbarer Wohnraum.“
Es ist legitim, eine andere Politik zu wollen
Das Verrückte ist aus Sicht derer, die bei der taz arbeiten – oder beim Spiegel, bei der SZ oder beim RND –, dass all jenen Menschen, die vom Anders- oder Nichtwähler zum AfD-Wähler geworden sind, trotzdem keine Hörner gewachsen sind. Diese Menschen sind in der Regel auch nicht „abgedriftet“ oder hängen, wie man sich im progressiven Juste Milieu gerne als Verschwörungstheorie erzählt, irgendwelchen Verschwörungstheorien an. Sie schlagen meist weder ihre Kinder, noch laufen sie heimlich in SS-Uniformen herum. Und sie müssen auch nicht, anders als Zeit-Chefredakteur Giovani di Lorenzo im Podcast von Paul Ronzheimer jüngst meinte, irgendwie „zurückgeholt“ werden. Es ist nämlich völlig legitim, eine fundamental andere Politik zu wollen – und dies in Form von Stimmen für eine Oppositionspartei zu artikulieren.
Vor allem aber sind auch AfD-Wähler Bürger dieses Landes. Sie gehen arbeiten, ziehen ihre Kinder groß, fliegen in den Urlaub, gehen in den Supermarkt, wohnen nebenan. Und weil dem so ist, ist es für Menschen, die sich nicht nur mit politisch Gleichgesinnten umgeben wollen – also anders als von der politmedialen Blase zumeist praktiziert –, nur normal, dass man sich im Sinne des friedlichen Zusammenlebens mit dem Nachbarn, der AfD wählt, genauso arrangieren muss wie mit dem, der die Grünen wählt oder andere verrückte Dinge tut. Das sagt sinngemäß auch Juli Zeh im taz-Interview. Daraus erwachsen dann wiederum Dialoge für die Ewigkeit, die auf diese Art und Weise nur entstehen können, wenn politmediale Erfindung auf bundesrepublikanische Praxis trifft:
taz: Ist es krass zu wissen, dass so viele Ihrer Nachbarn für die AfD stimmen?
Zeh: Was genau ist daran krass?
taz: Dass Sie umgeben sind von Leuten, die eine mindestens in Teilen verfassungsfeindliche Partei gut finden.
Zeh: Die Menschen hier finden vor allem die anderen Parteien schlecht. Ich glaube, wir haben momentan niemanden im Dorf, der mit seinen Meinungen außerhalb der Verfassung stünde.
Auch schön ist folgender, von mir leicht gekürzter Abschnitt, weil er eindrucksvoll zeigt, wie gewisse Weltbilder allein dadurch ins Wanken geraten können, dass sich jemand wie Juli Zeh mal die Mühe macht, ein bisschen zu differenzieren:
taz: Die AfD-Wähler hier im Dorf erwarten nichts mehr von der liberaldemokratischen Regierung, aber die Demokratie an sich finden sie gut?
Zeh: Ja, selbstverständlich. Das sind doch zwei vollkommen unterschiedliche Dinge. Die Leute, die AfD wählen, die wollen ja zum Teil sogar mehr Demokratie. Die wollen mehr Plebiszite, mehr Einfluss des Volkes. (...)
taz: Frau Zeh! Die wollen nicht mehr Demokratie, die tragen auf der Fiktion einer Volksmehrheit minderheiten- und migrationsfeindliche Positionen mit.
Zeh: Frau Lang-Lendorff und Herr Unfried! Demokratie ist nicht, wenn Menschen Dinge wählen, die man selbst gut und richtig findet!
Eine naturgemäße Provokation
Dieses taz-Interview
mit Juli Zeh ist wirklich ein lesenswertes Interview, weil es ganz
wunderbar verdeutlicht, dass die „Brandmauer“ eine politmediale
Erfindung ist, die für das Zusammenleben in der realen Welt nichts
taugt. Freilich aber ist dieses Interview auch eines, das schon des
unaufgeregten Tons von Juli Zeh wegen für Schnappatmung bei den üblichen
Verdächtigen sorgt. Denn wo die Wiederkehr des Faschismus droht, sind
Zehs Aussagen – die als Plädoyer für ein friedliches und respektvolles Miteinander gelesen werden dürfen – eine krasse Provokation.
„Wer jetzt noch fordert, doch mal mit Rechten zu reden, will einfach mit ihnen chillen“, ist zu lesen. Oder dass Juli Zeh „dumm und simpel“ argumentieren würde. Was insofern lustig ist, da es ja selbst dumm und simpel ist, anderen nur vorzuwerfen, dumm und simpel zu agieren. Der Post des Tages kommt aber von einem, der regelmäßig mit Äußerungen auffällt, die auf eine gewisse Behandlungsbedürftigkeit hindeuten könnten. Er schreibt: „Wenn die Gestapo in Juli Zehs Dorf einfällt, und nach ihr fragt, weil sie in einen Güterwagen verfrachtet werden soll, werden ihre Nachbarn, die zwar AfD wählen, aber selbst keine Rechtsextremisten sind, der Gestapo den Weg zu ihrem Haus weisen und einen guten Tag wünschen.“
Insofern
bleibt also alles wie immer in den unendlich dummen Weiten des
Internets – und bei jenen, die im Kopf für immer Kleinstädter bleiben
werden, weil sie gar nicht daran denken, über gewisse Grenzen
hinauszusehen. Und seien es auch nur die eigenen Stadtgrenzen.
Schließlich lauert dahinter eine ganz reale Welt, die zur eigenen, am
Reißbrett konstruierten Welt partout nicht passen will. Da wird die
Empörung dann zum Zauberspruch, von dem man hofft, dass er wirkt. Leider
wirkt er nicht. Und die Welt bleibt wie sie ist. Eine Frechheit ist
das!

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