15 Dezember 2025

The Pioneer - Merz: Rhetorik ohne Resultate. Friedrich Merz wäre in der freien Wirtschaft längst arbeitslos - aus sechs Gründen

Friedrich Merz wäre in der freien Wirtschaft längst arbeitslos - aus sechs Gründen
Business Class Edition

Merz: Rhetorik ohne Resultate
Gabor Steingart, 15.12.2025
Guten Morgen,
Friedrich Merz kann froh sein, dass er nicht mehr bei BlackRock arbeitet. Wer in der Wirtschaft vollmundig einen „Herbst der Reformen“ ankündigt, um anschließend dem Aufsichtsrat Stagnation zu melden – bei gleichzeitiger Expansion von Kosten und Krediten –, blickt in den Abgrund. Er löst kein Stirnrunzeln aus, sondern eine Ad-hoc-Mitteilung.
Im Wiederholungsfall folgt der Aufhebungsvertrag. Und plötzlich ist auch der Zugangscode zu Chefbüro und Firmenflieger deaktiviert. Bis heute gilt in Wirtschaftskreisen das Motto des legendären General-Electric-Chefs Jack Welch: „Hire slow, fire fast.“
Warum das in der Politik anders läuft, hat strukturelle Gründe, die Friedrich Merz nicht zu verantworten hat, auch wenn er heute davon profitiert. Hier die sechs wichtigsten Unterschiede.
#1 Politik belohnt Rhetorik, Wirtschaft Resultate
In der Politik hat Rhetorik Vorrang vor messbaren Ergebnissen. Anders ist nicht zu erklären, dass Angela Merkel 16 Jahre für Millionen Menschen schrumpfenden Wohlstand bei verlangsamtem Wachstum lieferte, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Ihr wirtschaftspolitisches Scheitern wurde nie karrierewirksam.
Auch Friedrich Merz versucht, seine inländischen Misserfolge durch die Erzählung vom Außenkanzler zu veredeln. Ausflüge nach Washington, nach Kiew und heute der Selenskyj-Besuch in Berlin sind willkommene Anlässe, von der mageren Bilanz auf der Reformbaustelle abzulenken. Merz am Samstag auf dem CSU-Parteitag:
"Wir werden eines Tages nicht danach gefragt, ob wir die Haltelinie in der deutschen Rentenversicherung ein Jahr weniger oder ein Jahr länger gehalten haben."
#2 Machtfragen überlagern Sachfragen
Wer als Vorstandsvorsitzender mehrere Quartale hintereinander seine Ziele verfehlt, Prognosen revidiert und seine Ankündigungen ständig neu „einordnet“, löst keine Debatte über Narrative aus – sondern leitet damit seinen Rückzug ein. Auf ihn wartet eine Abfindung, aber keine zweite Amtszeit.
Politische Führung dagegen rekrutiert strukturell ineffizient, sie stabilisiert und verlängert sich selbst dann, wenn ein Politiker funktional scheitert. Machtfragen überlagern Sachfragen. Wie das funktioniert, hat Friedrich Merz mit der erzwungenen Kanzlermehrheit zum Rentenpaket eben erst gezeigt. Die Dealstruktur: Substanzverlust gegen Machtgewinn.

#3 Die Macht der Netzwerke: Politik belohnt zuerst Loyalität, Wirtschaft zuerst Leistung

Die Kernkompetenz eines Vorstandsvorsitzenden wird in Kennziffern gemessen, und zwar in jenen, die der Aufsichtsrat vorgibt. Die sogenannten KPIs – die Key-Performance-Indicators – bilden die Grundlage des Arbeitsvertrages. Der ehemalige Adidas-Chef Kasper Rorsted erläuterte das Prinzip so: „Numbers don’t lie.“

In der Politik gibt es keine vergleichbaren Kennziffern, dafür aber reißfeste Netzwerke. Während die Netzwerke der Wirtschaft – die es auch gibt – in aller Regel außerhalb der Firma gespannt werden, zwischen CEO und Bankchef, Unternehmensberater und Minister, bastelt der Parteisoldat an den informellen Netzwerken in seiner Partei.

Bei den Kanalarbeitern der SPD organisierte sich der rechte Flügel der Bundestagsfraktion. Bei der Pizza-Connection (erster Treffpunkt war der Edel-Italiener Sassella in Bonn) versammelten sich Grüne und Christdemokraten, die an eine schwarz-grüne Koalition glauben. Mit dabei: Norbert Röttgen, Peter Altmaier, Cem Özdemir und Steffi Lemke.

Der Andenpakt wiederum, gegründet von zwölf Nachwuchspolitikern der Jungen Union während einer Bildungsreise der Konrad-Adenauer-Stiftung am 25. Juli 1979 auf einem Nachtflug über den Anden, war ein geheimes Karrierenetzwerk zur Machtübernahme in der Nach-Kohl-Ära. Und als das nicht klappte, bildete man ein Kartell gegen Merkel, die neue, starke Frau der CDU. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten Roland Koch, Christian Wulff, Günther Oettinger und Matthias Wissmann.

#4 Politik rekrutiert inzestuös, Wirtschaft global

Parteien schauen, das liegt in der Natur der Sache, bei der Neuaufstellung immer nur auf die eigene Mannschaft. Damit rekrutiert sich der Führungsnachwuchs einer jeden Partei aus dem denkbar kleinsten Talentpool.

In der Wirtschaft schauen die Aufsichtsräte nach innen und gleichzeitig auch zur Konkurrenz. Der aktuelle Adidas-Vorstandschef kommt vom Konkurrenten Puma. Der starke Mann der Bayer AG, CEO Bill Anderson, stammt aus Texas. Die Vorstandschefin von Merck heißt Belén Garijo und ist Spanierin.

#5 Ämtertausch statt Richtungswechsel

Durch fehlende Impulse von außen kommt es in der Politik meistens nur zum Ämtertausch, nicht zum Richtungswechsel. In der Wirtschaft dagegen, die sich im globalen Wettbewerb behaupten muss, ist die Disruption die Grundvoraussetzung zum Überleben.

Der technologische Wechsel von der Papierzeitung zur News-App, von der Schallplatte zum Streamingdienst, vom Softwarehaus zum Cloud-Anbieter, vom Verbrenner zum Elektroauto findet in der Politik keine Entsprechung. Die Rituale von Wahlkampfführung, Koalitionsverhandlung und Parlamentsdebatte sind seit über 100 Jahren nahezu unverändert.

#6 Das politische System ist von Hause aus träge und auf Status quo bedacht

Politisches Handeln ist, so analysierte es Hannah Arendt, im Wesentlichen symbolisch, kommunikativ, öffentlich. Es lebt vom Erscheinen, vom Sprechen, vom Deuten, schreibt sie in „Vita activa“.

Der amerikanische Präsident, Joe Biden, lieferte in seiner Spätphase dafür ein Lehrbeispiel. Er wirkte erfahren und integer. Aber funktional war seine Präsidentschaft in der Schlussphase durch extreme Kommunikationsdefizite und sichtbare physische Erschöpfung geprägt.

In der Wirtschaft wären die Folgen eindeutig gewesen: Nachfolgeplanung, Übergabe, Exit. In der Politik hingegen wurde monatelang diskutiert, ob es „respektvoll“ sei, diese Frage überhaupt zu stellen.

Fazit: CDU und SPD in Deutschland melden immer neue Tiefststände. Der Dax dagegen performt auf Rekordniveau. Beide Entwicklungen sollten zusammen gedacht werden. Womöglich muss unsere Wettbewerbsordnung gar nicht demokratischer, sondern die Demokratie nur wettbewerbsfähiger werden.

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