Es war ja schon länger schwer auszuhalten: Mit Thomas Haldenwang agierte ein Mann an der Spitze des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), der seine eigentliche Aufgabe – die Verteidigung der Demokratie – mit politischen Interessen und der eigenen Weltanschauung vermengte.
„Es geht auch um verbale und mentale Grenzverschiebungen. Wir müssen aufpassen, dass sich Denk- und Sprachmuster nicht in unsere Sprache einnisten“, sagte Haldenwang dann im Februar, als er als Sidekick nicht etwa von Recep Tayyip Erdoğan oder Xi Jinping, sondern von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bei einer Pressekonferenz auftreten durfte.
Das klang autoritär, das klang demokratiefeindlich, nach einem Angriff auf Presse- und Meinungsfreiheit. Nach Gesinnungspolizei.
Und es passte zum Wirken von Thomas Haldenwang, dessen Dienst ohne
Hilfe von ausländischen Partnerdiensten zwar selten rechtzeitig von
drohenden Terrorattentaten erfuhr, der aber beim „Kampf gegen rechts“
immer besonders aktiv war – und das simple Mandat, die Verfassung zu
schützen, eigenmächtig ausweitete.
Haldenwang, der keine Kamera scheute, machte aus seiner politischen Agenda in den vergangenen Monaten keinen Hehl. Dass er – wie WELT AM SONNTAG im Mai enthüllte – vorzeitig aus dem Amt scheiden würde, bewerteten seine vielen Kritiker als gute Nachricht für die Demokratie.
Direktkandidat für die CDU Wuppertal
Hinter vorgehaltener Hand waren zuletzt stets gesundheitliche Probleme als Grund für den Rückzug genannt worden. Der wackere Kämpfer für die Verfassung, am Ende seiner Kräfte – diese Erzählung sollte offensichtlich etabliert werden.
Bloß: Sie ist ein Märchen.
Vielmehr will Thomas Haldenwang, wie am Dienstag bekannt wurde, künftig
auch offiziell das machen, was er bislang nur nebenberuflich machte – nämlich Politik. Für den Wuppertaler Kreisverband der CDU tritt er bei der Bundestagswahl im Februar als Direktkandidat an.
Es ist ein unverschämter Schritt, der seinesgleichen sucht. Ein Geheimdienst-Chef, der – qua Amt – mit nachrichtendienstlichen Mitteln Erkenntnisse über politische Gegner sammelt – und nun gegen sie antritt. Welche AfD-Politiker haben die Verfassungsschützer aktuell im Visier? Was wissen sie über sie? Ist die Staatsanwaltschaft vielleicht schon dran? Was weiß das Bundesamt für Verfassungsschutz über Linke und Linksextreme? Gibt es Informationen zum BSW? Was weiß Haldenwang über Sahra Wagenknecht? Wer hat überhaupt Leichen im Keller? Was haben die jüngsten Telefonüberwachungen ergeben? Wer wird observiert? Die CDU könnte derartige Informationen im Wahlkampf gut gebrauchen.
Dass Haldenwang bei seiner Kandidatur nicht selbst diesen offensichtlichen Interessenkonflikt erkennt, ist nur schwer zu fassen. Dass er im Moment der Entscheidung, zu kandidieren, nicht wenigstens umgehend als BfV-Präsident zurücktritt, macht die Angelegenheit noch schlimmer.
Viele offene Fragen
Wann hat Haldenwang entschieden, zu kandidieren? Mit wem sprach er darüber und wann? Hat er im Rahmen dieser Gespräche Informationen, an die er durch seine Stellung als Geheimdienst-Chef gelangte, geteilt? Falls ja, welche? In der Causa gibt es viele offene Fragen, die nun dringend beantwortet werden müssen.
Und die CDU selbst? Hätte es da nicht
jemandem einleuchten müssen, dass eine Haldenwang-Kandidatur in
Anbetracht der Gesamtumstände eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit ist?
Dass diese Entscheidung das Vertrauen in die politische Kultur
erschüttert und der Demokratie einen gehörigen Schaden zufügt?
Offenbar nicht. Und so kennt die ganze Sache nur Verlierer – bis auf die
AfD natürlich, die Haldenwang stets vorwarf, eine persönliche Agenda zu
verfolgen und seine Kompetenzen zu überschreiten. Da, das kann man nun
nicht mehr leugnen, hatte sie wohl recht.
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