20 November 2024

Merz braucht den Mut, die Böhmermanns dieser Erde zu ignorieren (WELT+)

Merz braucht den Mut, die Böhmermanns dieser Erde zu ignorieren (WELT+)
Von Harald Martenstein, Freier Kolumnist und Autor, 19.11.2024, 4 Min.
In Deutschland lässt sich beobachten, wohin offenste Grenzen und radikalste Klimapolitik führen. Ein Unions-Kanzler Merz ist wohl die allerletzte Chance des alten Parteienspektrums für eine Kurskorrektur. Er muss sich dafür wappnen, von links für jede noch so vernünftige Maßnahme diabolisiert zu werden.
Laut einer Umfrage wünschen sich in Deutschland 77 Prozent der Bevölkerung eine „grundsätzlich andere Migrationspolitik“. 42 Prozent sind „unzufrieden mit der Demokratie“, dies nicht grundsätzlich, wohl aber damit, „wie sie in Deutschland funktioniert“. Die Zahl dieser Unzufriedenen hat sich in nur zwei Jahren um 16 Prozent erhöht. Ein rechtsextremes Weltbild aber haben laut der gleichen Studie nur etwa 4,5 Prozent.
Ist der Wunsch nach einer anderen Migrationspolitik illegitim? Wer das behauptet, müsste erklären können, wieso Dänemark mit seinen besser geschützten Grenzen eine Nazidiktatur ist. Viel Glück beim Versuch!
Wenn in einer repräsentativen Demokratie die Regierenden den legitimen Willen einer großen Mehrheit der Bevölkerung ignorieren, dann wenden die Leute sich ab. Erst einige. Dann viele. Dann die Mehrheit. Zum Schluss fast alle. Wundert das jemanden?
Da helfen dann auch keine Meldestellen für abfällige Äußerungen mehr, eine der wenigen Errungenschaften unserer Regierung, die offenbar funktionieren. Da nützt auch nichts mehr, wenn jemand, der den auf sympathische Weise erfolglosen Wirtschaftsminister im Netz als „Schwachkopf“ bezeichnet, der „Volksverhetzung“ beschuldigt, seine Wohnung durchsucht und sein Computer gefilzt wird. Das Volk braucht keine „Verhetzer“, um auf die Idee zu kommen, dass es nicht durchweg von Genies regiert wird.
Die Lage in diesem Land war seit 1949 nie so dramatisch. Politische Fehlentscheidungen zerstören seine industrielle Basis. Seine Infrastruktur, um die wir mal beneidet wurden, wird allmählich zur Lachnummer. Seine Schulen und sein Bildungsniveau befinden sich im freien Fall, was auch mit der Überforderung durch Massenmigration zu tun hat.

Die Straßen, die U-Bahnen und die Parks sind vielerorts nicht mehr sicher. Und in Deutschland wird auch wieder Jagd auf Juden gemacht, an den Unis und auf Fußballplätzen. Den Tätern passiert nicht viel. Man könnte ewig weitermachen mit dieser Aufzählung.

Das ist die Lage. Das alles haben wir in den letzten Jahren geschenkt bekommen.

Worte statt Taten – die Spezialität des Olaf Scholz

Es wäre ungerecht, die Schuld an dieser multiplen Krise einer einzigen Partei oder Person zuzuweisen. Vieles hing mit Einstellungen zusammen, etwa der Idee, Deutschland sei in jeder Hinsicht unbegrenzt belastbar, ein Größenwahn, der sich, wie früher schon, zum Weltmachtstreben steigerte. Diesmal griff Deutschland nach der moralischen Weltmacht, angepeilt wurden grünerseits die radikalste Klimapolitik und die offensten Grenzen des Universums.

Eine fatale Rolle spielten aber auch Führungskräfte, die vor allem an ihrer Wiederwahl Interesse zeigten und zu wenig Interesse an der ferneren Zukunft ihres Landes. So erklärt sich das Infrastrukturdesaster bei gleichzeitigem Ausbau des Sozialstaats. Freibier für alle! Aber das lässt sich ohne konkurrenzfähige Infrastruktur unmöglich finanzieren.

Damit sind wir bei Olaf Scholz. Als dessen Spezialität werden den Deutschen markige Worte in Erinnerung bleiben, denen keine nennenswerten Taten folgten – die berühmte „Zeitenwende“ bei der Bundeswehr etwa oder die ähnlich berühmte Forderung „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben“.

Ein echter Scholz war auch der Satz „Blinden Israel-Hass werden wir niemals hinnehmen“, nicht zu vergessen sein Versprechen, die Neuberechnung der Grundsteuer würde nicht zur Erhöhung derselben führen („Ich versichere es Ihnen“). In Berlin stieg die Steuer bei einigen Immobilienbesitzern um mehr als 500 Prozent.

Scholz hat in manchem Angela Merkel kopiert, aber eines wird er bestimmt nicht kopieren. Nämlich deren Wahlslogan „Sie kennen mich“. Das wäre kontraproduktiv.

Friedrich Merz, im Moment der wahrscheinlich nächste Kanzler, ist womöglich die letzte Chance, die das alte Parteienspektrum bekommt. Wenn sich nichts ändert, dürfte Deutschland den populistischen Weg gehen, auf dem die USA und große Teile Europas bereits unterwegs sind.

Um die Migrationskrise zu lösen und die Wirtschaft wieder zu entfesseln (um nur zwei Baustellen zu erwähnen) braucht er allerdings den Helmut-Kohl-Mut, einige deutsche Medien und die Böhmermanns dieser Erde weitgehend zu ignorieren.

Natürlich wird es gegen ihn, falls er nicht pariert, eine Schlammschlacht geben. Vor allem wird man versuchen, jede noch so vernünftige Maßnahme zu diabolisieren, falls ihr die AfD ebenfalls zustimmt. Sogar die Abschaffung der Sommerzeit wäre, falls die AfD zustimmt, angeblich ein Schritt in Richtung Faschismus.

Aber Wolf Biermann hatte ja recht: Wer sich nicht in Gefahr begibt, der kommt drin um.

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