«Dann, lieber Christian, möchte ich nicht mehr, dass Du meinem Kabinett
angehörst», bekommt er von Scholz noch zu hören. Dann folgen ein paar
Sekunden des Schweigens und die Verabschiedung. Als Scholz kurze Zeit
später vor die Presse tritt, ist für ihn der Fall klar: Schuld am
Scheitern der Koalition trägt allein Lindner.
Mit kaum verhohlener Verachtung hält der Kanzler seinem bisherigen
Finanzminister mangelnde Kompromissbereitschaft vor. Wer in eine
Regierung eintrete, müsse seriös und verantwortungsvoll handeln. Lindner
hingegen gehe es einzig um die eigene Klientel und um das Überleben der
eigenen Partei. «Zu oft hat er kleinkariert parteipolitisch taktiert.
Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen», wirft er dem geschassten
Finanzminister hinterher.
Am Donnerstagvormittag schlägt Lindner zurück. Der FDP-Chef beschuldigte
den Kanzler seinerseits einer «Entlassungsinszenierung». Nicht die
Ukraine-Hilfe sei der wahre Grund gewesen, sondern der Wunsch der SPD,
durch neue Schulden in Höhe von 15 Milliarden Euro den quälenden
Koalitionsstreit zu beenden. «Mit einem so fahrlässigen Umgang mit dem
Grundgesetz hätte ich meinen Amtseid verletzt. Das wusste der noch
amtierende Bundeskanzler», konterte er.
Verfassungsrechtliche Zweifel am Scholz-Plan
Tatsächlich
steht Scholz’ Massnahmenpaket rechtlich auf wackeligen Beinen. «Ein
grosser Gemischtwarenladen» – so charakterisiert der Verfassungsrechtler
Hanno Kube von der Universität Heidelberg das «Ampel»-Paket. Von
Netzentgeltsubventionen in Milliardenhöhe über Steuergeschenke an die
Wirtschaft bis hin zu weiteren Ukraine-Hilfen reiche die Palette.
Dabei stellt der Experte vor allem die von der Bundesregierung bemühte «Notlage» als Begründung für neue Kredite infrage. «Einen exogenen Schock sehe ich gegenwärtig nicht», erklärt Kube im Gespräch mit der NZZ. Die Voraussetzungen für eine Notlagen-Kreditaufnahme seien damit nicht erfüllt.
Seine Begründung: Sowohl der Mittelbedarf für Bundeswehr und Ukraine-Hilfe als auch die Notwendigkeit wirtschaftlicher Impulse seien «seit Jahren bekannt». Der Jurist kommt zu folgendem Schluss: «Nur weil jetzt das Geld für eine weitere Ausdehnung der Staatstätigkeit nicht ausreicht, kann kein Notlagenbeschluss gefasst werden.»
Ökonom warnt vor Subventionsfalle
Der Ökonom Stefan Kooths zweifelt zudem an der Sinnhaftigkeit der wirtschaftlichen Massnahmen. Statt die Ursachen der Energiekrise anzupacken, habe Scholz mit seinen Milliardensubventionen nur die Symptome verschleiert. Mit ermässigten Netzentgelten und ausgeweiteter Strompreiskompensation werde ein «dauerhafter Subventionstatbestand» geschaffen. «Der Standort wird in Summe nicht gestärkt, da die erforderlichen Mittel an anderer Stelle fehlen», mahnt Kooths.
Die
Bundesregierung verkenne zudem die wahren Kostentreiber komplett. Die
hohen Netzentgelte seien direktes Ergebnis einer Politik, die auf eine
Stromversorgung hauptsächlich durch schwankungsanfällige Erneuerbare
setze. Die Koalitionshoffnung auf sinkende Energiekosten durch die
Öko-Wende entlarvt Kooths als Illusion: Dies gelte «nur für die
variablen Erzeugungskosten, nicht für die systemischen Kosten».
Das Ende der Ampelkoalition
Was bleibt? Die gleiche kreative Haushaltspolitik, die das konfliktbeladene Bündnis aus Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen erst möglich machte, führt nun zu seinem Zerbrechen. Schon der Nachtragshaushalt über 60 Milliarden Euro zu Beginn der Legislaturperiode hatte das Bundesverfassungsgericht auf den Plan gerufen.
Dass ausgerechnet ein weiterer Versuch, die Schuldenbremse zu umgehen, nun zum Koalitionsbruch führt, erscheint wie ein finanzpolitisches Déjà-vu. Während Lindner seine ordnungspolitischen Prinzipien verteidigt, steht Scholz vor den Trümmern seiner Kanzlerschaft – und Deutschland vor Neuwahlen.
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