07 November 2024

Trump siegt bei US-Wahl - Prognosen aus der Parallelwelt (Cicero)

Trump siegt bei US-Wahl
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Prognosen aus der Parallelwelt (Cicero)
Donald Trump gewinnt die Wahl – und ein schlimmer Verdacht drängt sich auf: Amerikaner schauen nicht ARD und ZDF und haben kein „Spiegel“-Abo. Sonst wüssten sie doch, dass die Demokratie jetzt untergeht. Über eine deutsche USA-Expertise, die gar keine ist.
VON BEN KRISCHKE am 7. November 2024 11 min
Einer der unterhaltsamsten Posts über den Wahlsieg von Donald Trump und die Reaktionen der deutschsprachigen Medienöffentlichkeit auf dieses Ereignis kam am Mittwoch aus Österreich. „Ich habe Harris‘ Wahlkampfstrategie gepriesen, ihren klaren Sieg vorhergesagt und erkläre euch jetzt, wie man mit Trump umgehen muss“, postete ein gewisser Robert Willacker auf X. Dahinter ein Spindel-Emoji und die Zahlenkombination „(1/183)“. 
Das Spindel-Symbol steht für einen „Thread“, also dafür, dass unter einem Post weitere Posts folgen werden, die mit diesem zusammenhängen. So lässt sich ein Thema trotz Zeichenbeschränkung ausführlich behandeln. Die Zahlenkombination zeigt an, wie viele Posts folgen werden. Also theoretisch. 
Denn bei Willacker – ein FPÖ-naher Politikberater – war das offensichtlich ironisch gemeint. Willacker war so so frei, sich mit seinem Post über all die „Experten“ lustig zu machen, die einmal mehr nicht vorhergesehen haben, dass Trump gegen Harris gewinnen wird und trotzdem weiterhin so tun, als wüssten sie Bescheid, wie es um die Zukunft der Vereinigten Staaten bestellt ist.
Unzählige Beispiele dafür machen in den sozialen Medien die Runde. Von Leuten, die sich vorher „hunderprozentig“ sicher waren, dass Harris gewinnen wird, bis zu einem Post von stern.de, in dem am Wahltag um 6:36 Uhr (MEZ) immer noch von einem Kopf-an-Kopf-Rennen die Rede war, mit „leichten Vorteilen“ für Trump, aber auch mit einem „klaren Weg zum Sieg“, den Harris noch habe. Allerdings war jedem Beobachter mit einem Funken Analysefähigkeit da bereits klar, dass Trump wahrscheinlich gewinnen wird. Das ist kein Qualitätsjournalismus, sondern Bibbi-Blocksberg-Journalismus. Hex! Hex!

Mindestens ein Semi-Faschist

Aber wie ist es jetzt, nach dem Sieg von Donald Trump, also bestellt um die USA? Nicht gut, lautet die einhellige Meinung unter all jenen, die schon vor der Wahl gewarnt haben, dass ein 47. Präsident namens Donald Trump eine „Gefahr für die Demokratie“ wäre – und partout nicht verstehen wollten (obwohl sie könnten), dass es sehr wohl gute Gründe gibt, den vorbestraften Unternehmer der toughen Staatsanwältin (so das einschlägige Narrativ) vorzuziehen.

Stattdessen basteln sich diese Leute ihre eigenen Verschwörungstheorien. Sie sehen in Trump mindestens einen semi-faschistischen Politiker, der jetzt das ganze demokratische System der Vereinigten Staaten zum Einsturz bringen und einen Führerstaat unter seiner Herrschaft errichten könnte. Als gäbe es dafür nicht viel zu viele Hürden in einem demokratischen Land wie den USA, inklusive Recht und Gesetz. Und als wäre Trump nicht schon vier Jahre im Amt gewesen, ohne die Demokratie abzuschaffen. Eine Theorie, die trotzdem nicht nur auf X verbreitet wird, sondern es am Mittwochabend (MEZ) sogar ausführlich in den ARD-„Brennpunkt“ geschafft hat. Vorgetragen von einem den Demokraten nahestehenden deutschen Historiker aus den USA. 

Anders formuliert: Unter der deutschen Meinungselite – was ausschließlich quantitativ, also auf die Reichweite bezogen, nicht qualitativ gemeint ist – hat sich mit Blick auf Donald Trump offensichtlich eine Paranoia breitgemacht, die eher einer psychologischen Betreuung bedarf als der nächsten Talkshoweinladung. Mit Betonung auf eher übrigens. Nicht, dass es nach der Lektüre dieses Beitrags heißt, ich würde solche Leute pathologisieren. Das wäre, meine ich, nämlich auch zu kurz gedacht.

In der eigenen Parallelwelt

Denn all die überzogenen apokalyptischen Szenarien, die nicht nur rund um Donald Trump längst Mainstream geworden sind, folgen durchaus einem rationalen Ansatz. Wie immer in der Politik respektive in politischen Debatten geht es auch hier um banale Eigeninteressen. Diese reichen vom Kampf gegen den eigenen Bedeutungsverlust über die Sicherung der eigenen Pfründe bis hin zum wohligen Gefühl, das aufkommt, wenn man sich mit Gleichgesinnten in der eigenen Parallelwelt einrichtet. 

In dieser Parallelwelt, so der innige Wunsch, sollten all die Asozialen und Reaktionären am besten gar nicht existieren oder wenigstens nicht stattfinden. Also Menschen wie Trump und all jene, die nicht links der Mitte denken und wählen. Dass dies derzeit tendenziell ins Tal der Tränen führt und nicht mehr dorthin, wo Milch und Honig fließen, gehört zu den kleinen, aber feinen Paradoxien, die derzeit das Justemilieu erschüttern, weil man ja von sich selbst glaubt, die Wahrheit gepachtet zu haben. Oder wenigstens bestimmen zu können, was als Wahrheit zu gelten hat. Zum Beispiel, dass Trump ein Faschist sei. 

Da nützte es auch nichts, dass Luisa Neubauer in die USA flog, um hunderte Amerikaner als Missionarin zum Glauben an Kamala Harris zu bekehren. Oder dass der Büroleiter des ZDF in Washington, Elmar Theveßen, immer wieder dadurch auffällt, dass er bei seiner Berichterstattung über die Vereinigten Staaten so neutral ist wie eine Ultra-Sektion im Fußballstadion. Und da ist es dann auch zum Fremdschämen, wenn deutsche Journalisten am US-Wahltag ein Gesicht machen wie drei Tage Regenwetter, weil Trump gewinnt. 

Elmar Theveßen war not amused. Claus Kleber war not amused. Und ein schlimmer Verdacht drängt sich auf: Amerikaner folgen keinen deutschen Influencern, die auch irgendwas mit Politik machen, sie schauen nicht ARD und ZDF und haben auch kein Spiegel-Abo oder eines der Süddeutschen Zeitung. Sonst wüssten sie doch, dass jetzt die Demokratie untergehen wird – und hätten sich bei dieser Wahl richtig entschieden. Also für Harris und gegen Trump. Pustekuchen.

Manipulation zwischen den Zeilen

All die bedröbbelten Gesichter im Fernsehen und all die schockierten Posts in den sozialen Medien jedenfalls sprachen am Mittwoch Bände. Ebenso, dass die allermeisten deutschen Medien noch stundenlang zögerten, Donald Trump zum Sieger der US-Wahl zu erklären, nachdem die Nummer bereits um 7:48 Uhr (MEZ) gelaufen war. Wegen der Erkenntnis nämlich, dass in Wisconsin zwar noch gezählt wurde, Trump in dem Bundesstaat aber schon uneinholbar führte – und damit klar war, dass Trump die magische Zahl von 270 Wahlmännerstimmen überschreiten wird.

Das ist eigentlich Mathematik auf Grundschulniveau. Und trotzdem meldete die „Tagesschau“ noch um 10 Uhr (MEZ) lediglich, dass Trump in Führung liege. Da hatten Trump unter anderem schon Österreichs Kanzler Karl Nehammer und kurz darauf auch Olaf Scholz zum Sieg gratuliert. Anderswo hieß es außerdem, Trump habe sich „zum Sieger erklärt“, als er nach der Gewissheit in Wisconsin vor seine Anhänger trat. Das sollte wohl einmal mehr einen Alleingang Trumps gegen das demokratische System suggerieren, obwohl der Mann einfach nur rechnen konnte, dass er die Wahl jetzt definitiv gewinnen wird.  

Das wiederum ist, wenn Sie mich fragen, das allergrößte Ärgernis in der Trump-Berichterstattung in deutschen Medien. Nicht der offenkundige Blödsinn und die offensichtlichen Übertreibungen, die sich als solche leicht entlarven lassen, sondern all die kleinen Manipulationsversuche zwischen den Zeilen. Denn selbstverständlich war die Formulierung, dass Trump sich zum Sieger erklärt habe, nicht falsch, richtiger wäre aber die Zeile gewesen: „Trump uneinholbar vorne“. Und noch viel richtiger wäre gewesen, und das haben wir bei Cicero auch so praktiziert, zu titeln: „Trump gewinnt US-Präsidentschaftswahl.“ Selbstverständlich in Kombination mit der Erklärung über den Vorsprung in Wisconsin.

In bester wokistischer Manier

Dazu ist man von ARD und ZDF bis Spiegel und Zeit Online aber offensichtlich nicht fähig, weil nicht willens. Gleiches gilt für eine nüchterne Analyse der Frage, ob Trump trotz seiner Rhetorik womöglich der bessere Präsident für die Vereinigten Staaten sein wird als es Kamala Harris hätte sein können. Wegen der Weltlage und den wirtschaftlichen Herausforderungen, denen sich auch die USA gegenübersehen. Von der Frage, ob jemand wie Putin womöglich mehr Respekt vor Trump hat als vor Harris, noch ganz zu schweigen. Da scheint die Antwort klar zu sein.

Stattdessen fokussierte man vor der Wahl in bester wokistischer Manier auf die Identitätsmerkmale von Harris als indisch-jamaikanische Frau und darauf, dass sich Trump in seinen Reden nicht an die politische Korrektheit hält; um dann hinterher völlig aus dem Häuschen zu sein, dass Trump auch deshalb die Wahl so deutlich gewonnen hat, weil diesmal mehr schwarze Männer und Hispanics – trotz Trumps Ansagen bei der Migrationspolitik – und mehr Frauen – trotz Trumps Sicht auf das Thema Abtreibungen – gewählt wurde als vor seiner ersten Amtszeit. Warum? Weil Trumps Persönlichkeit und seine Rhetorik seinen Wählern offenkundig weniger wichtig sind als die grundsätzlichen politischen Positionen, für die Trump inhaltlich steht. 

Die US-amerikanische Mentalität

„This is a magnificent victory for the american people“, sagte Trump, nachdem klar war, dass er der 47. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika werden wird, begleitet vom Jubel seiner Anhänger. Trumps deutlicher Wahlsieg ist dabei auch eine deutliche Absage der Amerikaner an die postmoderne Identitätspolitik, den ganzen Dekonstruktivismus, der bei der postmodernen Linken en vogue ist, und die Wokeness im Allgemeinen. Es ist eine Absage an eine Klimaschutzpolitik, die zu viel Kollateralschäden mit sich bringt, und eine Absage an allzu planwirtschaftliche Ideen bei der Ökonomie und allzu kollektivistische Ideen bei der Gesellschaftspolitik.

Denn es ist zwar richtig und nachvollziehbar, dass der Deutsche mit der US-amerikanischen Mentalität bisweilen fremdelt – von der Waffenbegeisterung über die Entertainment-Geilheit selbst bei Gottesdiensten bis hin zu den XXL-Fast-Food-Portionen –, was wohl auch eine Ursache sein dürfte für die vielen Fehlanalysen über die USA auf der anderen Seite des Atlantiks. So auch vor den jüngsten US-Wahlen. 

Aber selbst der größte Trump-Hasser in Deutschland sollte verstanden haben, dass Freiheit, Individualität und Leistung in den USA immer noch einen gigantischen Stellenwert haben. Vielleicht nicht dort, wo das Portemonnaie voll, das Leben leicht und der Lifestyle progressiv ist, aber sehr wohl in jenen großen Teilen der USA, wo es sehr wohl einen Unterschied macht, dass die Gallone Benzin heute über vier Dollar kostet und die klassische Familie anderswo im Land zum Relikt vergangener Tage erklärt wird.

Auch Experten sind keine Hellseher

Es sind Orte, wo der amerikanische Traum immer noch identitätsstiftend ist, auch die Familie, der Glaube, die Gemeinde, der Pick-Up-Truck, die Waffe. Orte also, wo Menschen leben, die schon aus Prinzip nicht für Kamala Harris stimmen konnten, weil ihre Überzeugungen ganz andere sind als jene, für die Kamala Harris eintritt. Orte auch, die das amerikanische Establishment in den urbanen Zentren viel zu oft verspottet hat – auch vor der jüngsten Wahl wieder – und die all die selbsternannten USA-Experten in Deutschland gerne ignorieren, wenn sie ihre hanebüchenen Prognosen basteln. 

Selbstverständlich dürfen sich Experten auch mal irren. Sie sind ja keine Hellseher. Aber wenn man sich die deutsche Expertenlandschaft zum Thema Vereinigte Staaten anschaut, dann ist die – das haben diese US-Wahlen einmal mehr gezeigt und sie zeigen es nach dem Trump-Sieg noch – erschreckend inkompetent; bis hin zur Verschwörungstheorie. Und da fragt man sich dann schon, ob diese Experten wirklich welche sind, oder eher zufällig an der Bushaltestelle rekrutiert wurden. Anders formuliert: Über solche Experten darf man sich ruhig lustig machen. Man muss es sogar.

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