Aber kaum im Kanzleramt eingezogen, wendete sich das Schicksal. Erhard war zu freundlich und zu konziliant für das Amt. Die Menschen machten Witze über ihn und den Bonner Kanzlerbungalow, das „Palais Schaumbad“ mit dem Mini-Schwimmbecken in der Mitte. Wofür, fragten die Zeitgenossen, braucht ein Nichtschwimmer einen Pool? Dazu kam der Spott des Erst- und Altkanzlers Konrad Adenauer, der keine Gelegenheit ausließ, seinen Nachfolger mit fiesen Kommentaren zu piesacken.
Wo steht Olaf Scholz, wo sieht er sich selbst?
Wo
steht Olaf Scholz, wo sieht er sich selbst? Dass es für die erste Reihe
nicht reicht, dämmert ihm möglicherweise selbst, auch wenn er sich
grundsätzlich für den Klügsten und Weitsichtigsten im Raum hält.
Adenauer, Brandt, Kohl – das sind Namen aus einer anderen Liga. Wer es
mit ihm sehr gut meint, wird ihm einen Platz im Mittelfeld zuweisen,
neben Angela Merkel und Gerhard Schröder.
Die Historiker dürften
weitaus ungnädiger urteilen. Wenn Scholz nicht noch auf den allerletzten
Meter ein Husarenstück gelingt, wird er als glücklosester Kanzler aller
Zeiten in die Geschichte eingehen. Ein Zwergenkanzler, der vor der
Wirklichkeit die Augen verschloss und die Dinge treiben ließ – und dann
Führung beweisen wollte, als es zu spät war.
Mich verbindet mit
der SPD eine lange, sentimentale Geschichte. Ich hielt sie immer für
eine im Kern anständige Partei, glücklos mitunter, sicher, in ihren
Ansprüchen nicht selten vermessen, ja hochtrabend, aber am Ende, wenn es
darauf ankam, doch verlässlich.
Auch davon muss ich mich
trennen. Der Kanzler erweist sich als rachsüchtiger Kleingeist, der ein
Temperament erst entdeckt, wenn es um ihn selbst geht. Alles hat er an
sich abperlen lassen: die Nöte des deutschen Mittelstands; die
desaströsen Lageberichte des deutschen Heeres; die zunehmend
verzweifelten Hilferufe der Ukraine, deren Jugend im Kampf für die
Freiheit Europas verblutet.
Aber als ihm sein Finanzminister die
Gefolgschaft aufkündigte, kannte er plötzlich kein Halten mehr. Ein
„schlechter Mensch“ sei dieser Lindner, unseriös, egoistisch,
skrupellos, ein Politiker, mit dem man nicht einen Tag länger
zusammenarbeiten könne. So steigerte er sich in eine Suada der Erregung.
Leider sind die anderen Leute, die in der SPD den Ton angeben, nicht besser
Leider
sind die anderen Leute, die in der SPD den Ton angeben, nicht besser.
Lars Klingbeil: ein Parteisoldat, der den Parteiegoismus unter seinem
jungenhaften Charme verbirgt. Die unvermeidliche Saskia Esken, die noch
dann die Lauterkeit der Sozialdemokratie beschwören würde, wenn sie
morgen Nord Stream 2 wiedereröffneten. Und natürlich Rolf Mützenich, der
Fraktionschef im Hintergrund, ohne den Scholz schon lange nicht mehr
Kanzler wäre.
Wer mit falschen Heiligen vertraut ist, kennt den
Typus. Wenn Mützenich vor die Presse tritt, dann mit dem gequälten
Gesichtsausdruck des am Unrecht der Welt Verzweifelnden. Jede
Entscheidung trägt er im sorgenvollen Tonfall eines Mannes vor, der sich
wahrlich nichts leicht gemacht hat, auch wenn’s nur um den schnöden
Machterhalt geht.
Bei Sonnenschein und mäßigem Wind lässt sich
leicht regieren. Dazu braucht es nicht viel Könnerschaft. Der wahre
Charakter zeigt sich im Sturm. So gesehen war der Überfall auf die
Ukraine ein Glücksfall. Und zunächst sah es so aus, als wolle Scholz die
Gelegenheit beim Schopf greifen und endlich Führungskraft zeigen. Die
„Zeitenwende“, die er ausrief, sollte auch eine Wende in eigener Sache
sein. Aber leider folgte dem nichts.
Die Bilanz nach drei Jahren
fällt entsprechend düster aus. Die Sozialpolitik? Auf Pump finanziert,
und in Teilen deshalb schon wieder notabgewickelt. Die Außenpolitik? Ein
Trümmerfeld. In nur drei Jahren gelang es, nicht nur das Verhältnis zu
Frankreich zu ruinieren, sondern das zu Polen gleich mit. Die
Wirtschaftspolitik? Ein einziges Trauerspiel.
Im ARD-Presseclub
erinnerte der „Wirtschaftswoche”-Chefredakteur Horst von Buttlar daran,
dass derselbe Kanzler, der die Wirtschaft im Sommer dafür verspottete,
dass sie ihm ihre Klagen vortrug, dem Land noch vor einem Jahr ein
grünes Wirtschaftswunder in Aussicht gestellt hatte, mit Wachstumsraten
von drei Prozent. Nun sind wir schon froh, wenn wir nicht Jahr um Jahr
ärmer werden.
Scholz wäre so gerne ein Großer
Scholz wäre so
gerne ein Großer. Sein heimliches Vorbild ist Helmut Schmidt, der Mann
mit der Lotsenmütze, Inbegriff des hanseatischen Krisenmanagers.
Manchmal steht er vor dem Spiegel und übt heimlich Schmidt-Gesten.
Auch
der Bruch der Koalition wurde als Wiederholung inszeniert. Bis in die
Wortwahl glich die Begründung der Rede, mit der der berühmte Lotse 1982
das Ende seiner Regierung verkündete. Auch damals war vom hinterhältigen
Anschlag der FDP die Rede. Der Unterschied ist: In Olaf Scholz sieht
niemand einen Helmut Schmidt. Er ist nicht mal ein Schmidtchen.
So
gleicht das Stück, dass die SPD aufführt, nicht der Tragödie, die sie
so gerne auf dem Spielplan sehen würden, sondern bis in die Nebenrollen
nur einer unfreiwilligen Komödie. Wer immer auf die Idee gekommen ist,
dem FDP-Mann Wissing zusätzlich zum Verkehrsministerium auch noch das
Justizministerium anzutragen, hat einen Sinn für abgründigen Humor.
Jetzt darf der arme Mann bis Februar so tun, als sei er ein zweiter Karl
Schiller, ein Superminister, auf dessen Wort ganz Deutschland hört. Das
Lachen darüber hört man bis nach München.
Zwergenkanzler
verzwergen auch das Land, dem sie vorstehen. Am Wochenende hieß es, es
mangele an ausreichend Papier, deswegen könnten die Deutschen nicht
schon im Januar oder Februar wählen. Das ist der Grund, den die
Bundeswahlleiterin Ruth Brand nannte, um vor zu frühen Neuwahlen zu
warnen.
Erst war es die Instabilität, die man Deutschland in so
schwerer Zeit nicht zumuten könne, weshalb es besser sei, bis März eine
Minderheitsregierung im Amt zu belassen. Dann war es die Erinnerung an
die Nazis, derentwegen sich eine schnelle Vertrauensfrage des Kanzlers
verbiete.
Bei jedem Prozentpunkt mehr für die AfD wird warnend der Zeigefinger gehoben
Kein
Scherz, so sagte es der SPD-Abgeordnete Dirk Wiese im Bundestag: Schon
die Nationalsozialisten hätten die Republik in die Regierungsunfähigkeit
zu manövrieren versucht, indem sie Zweifel an den Institutionen des
Staates schürten. Dann, Ultima Ratio, die Papierknappheit.
Anderseits:
Das passt zu einem Land, in dem führende Regierungsvertreter die Bürger
vor dem Betreten von Brücken warnen, weil man deren Tragfähigkeit nicht
länger gewährleisten könne, und jede Bahnfahrt zu einem Abenteuer mit
ungewissem Ausgang wird. Man fragt sich gelegentlich, wie es uns jemals
gelingen konnte, die besten Flugzeuge und Autos der Welt zu bauen. Aber
diese Errungenschaft stammt ja auch aus einer Zeit, als man sich noch
nicht vor einem Wahltermin fürchtete.
Viel ist von dem Bild die
Rede, das Deutschland im Ausland abgibt. Bei jedem Prozentpunkt mehr für
die AfD wird warnend der Zeigefinger gehoben, welche abschreckende
Wirkung der Erfolg der Rechten auf die Fachkräfte habe, die wir dringend
bräuchten.
Ich gelange immer mehr zur Überzeugung, dass der
größte Abschreckungseffekt von der Dysfunktionalität Deutschlands
ausgeht. Wie attraktiv ist ein Land, in dem sich die Bahn im
Postkutschentempo bewegt, das Internet auf dem Niveau von Burkina Faso
liegt und man sich schon von einem außerplanmäßigen Wahlgang überfordert
zeigt? Dann geht man doch lieber dahin, wo wenigstens die Steuern und
Abgaben entsprechend niedrig sind.
Auch das spricht ganz klar
gegen Deutschland: Nix hinbekommen – aber dafür die Bürger so zur Kasse
bitten wie kein anderes Land in Europa.
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