Die SPD verwechselt die Regierungskoalition mit der Demokratie. Dass eine Koalition zerbricht, heisst nicht, dass die deutsche Demokratie in Gefahr ist. Ganz im Gegenteil. Der Demokratie ist nicht geholfen, wenn sich eine dysfunktionale Koalition an die Macht klammert. Sosehr die Deutschen aufgrund ihrer Geschichte stabile politische Verhältnisse schätzen: Das Bestehen einer Koalition ist kein Selbstzweck.
Hinzu kommt: Die Sozialdemokraten, die sich nun so echauffieren, können wohl kaum behaupten, nicht auch selbst Vorbereitungen für das Aus getroffen zu haben. Wie der neue Finanzminister Jörg Kukies freimütig erzählte, wurde er von Scholz schliesslich bereits vor dem Zerfall der Koalition gefragt, ob er Lindner ablösen wolle. Der Kanzler soll schon seit dem Sommer mit dem Gedanken gespielt haben, Lindner loszuwerden. Und für den Tag, an dem die Koalition schliesslich zerbrach, soll er bereits vorab verschiedene Reden in der Schublade gehabt haben.
Das kann niemanden überraschen. Man muss diese Art der Vorbereitung von Scholz wie Lindner geradezu erwarten. Schliesslich sind sie Polit-Profis in Regierungsverantwortung. Sie wurden dafür gewählt, das Land besonnen zu lenken – auch in Krisenzeiten. Dazu gehört es nun einmal auch, in Szenarien zu denken. Das ist nicht berechnend, sondern strategisch.
Lindner und die Liberalen dafür nun als «ehrenlos» und «demokratieschädigend» zu beschimpfen, ist völlig überzogen. Die Sozialdemokraten diskreditieren damit einen demokratischen Mitbewerber. Sie sollten sich diese Begriffe für Reichsbürger und Islamisten aufheben, die die deutsche Demokratie tatsächlich bekämpfen.
Dabei müssten es die Sozialdemokraten eigentlich besser wissen. Sie sind schon einmal damit gescheitert, den Bruch einer Koalition den Liberalen anzulasten. Das war im Jahr 1982, als die sozialliberale Koalition nach dreizehn Jahren zerbrach.
Der damalige Kanzler Helmut Schmidt liess seinerzeit keinen Zweifel daran, wen er für das Ende verantwortlich machte. Er habe das politische Vertrauen zu einigen Führungspersonen der FDP verloren, sagte er. Eine weitere Zusammenarbeit sei weder den sozialdemokratischen Ministern noch dem Kanzler zuzumuten.
Und noch eine Parallele gibt es zur Lage heute: Auch damals erschien ein Artikel, der die Lesart der Sozialdemokraten stützen sollte. Der «Spiegel» zitierte wenige Tage nach dem Koalitionsbruch aus dem Tagebuch des Regierungssprechers Klaus Bölling. Das Magazin rekonstruierte daran die letzten dreißig Tage der sozialliberalen Koalition. Der damalige FDP-Vorsitzende Hans-Dietrich Genscher betreibe ein «Intrigenspiel», hieß es in dem Text.
Bei den folgenden Landtagswahlen musste die FDP zwar schwere Verluste hinnehmen. Sie regierte jedoch fortan mit der Union. Für die Sozialdemokraten hingegen begann eine lange Zeit in der Opposition.
Das sollte der SPD eine Lehre sein. Der vermeintliche Koalitionsbrecher mag in der Gunst der Wähler sinken. Das macht die Partei, die mit dem Finger auf ihn zeigt, aber nicht automatisch beliebter. Wenn die Sozialdemokraten noch Menschen von ihrer Politik überzeugen wollen, sollten sie sich lieber um das Rumoren in ihrer eigenen Partei kümmern.
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