Als Folge davon rollte eine Inflationswelle über
das Land, zunächst langsam, so langsam, dass es kaum jemanden störte.
Doch allmählich zog das Tempo an, und die wechselnden Regierungen in
Berlin versuchten nun zunehmend gegenzusteuern. Es gab dabei viel
Aktionismus, der am Problem vorbeiging. Aber es gab auch richtige
Ansätze, und dazu gehörte im November 1922 die Ernennung eines
Sparkommissars durch die Regierung unter Reichskanzler Wilhelm Cuno.
Dessen Aufgabe bestand darin, den gesamten Haushalt zu durchforsten und der Regierung „Gutachten über das Ergebnis der Prüfung zu erstatten und bestimmte Vorschläge zu machen über Ersparnisse im Haushaltsplan, für eine Verbilligung und Vereinfachung der Verwaltung insbesondere auch der Verminderung des planmäßigen und außerplanmäßigen Personals, gegebenenfalls unter Aufhebung entbehrlich werdender Behörden sowie für eine wirtschaftlichere Gestaltung der Einnahmen.“
Das klingt reichlich kompliziert, bedeutete aber schlicht, dass der Sparkommissar überall nach Einsparpotenzialen suchen sollte. Denn nur wenn der Haushalt endlich ausgeglichen war, so viel war klar, konnte die Hyperinflation gestoppt werden.
Derjenige, der die Vorschläge dazu machen sollte, sozusagen der deutsche Elon Musk jener Zeit, hieß Friedrich Ernst Moritz Saemisch. Er war 1869 in Bonn geboren worden und hatte eine klassische preußische Beamtenlaufbahn eingeschlagen, zunächst in der Justiz, dann in der Verwaltung, schließlich ab 1916 im Reichsschatzamt. 1921 war er kurzzeitig Finanzminister in der preußischen Landesregierung, anschließend übernahm er das Amt des Präsidenten des Rechnungshofs des Deutschen Reichs.
Er kannte also die preußische und deutsche Verwaltung sehr genau und konnte recht gut einschätzen, wo Einsparpotenzial war. Im Juni 1923 legte Saemisch dann auch tatsächlich eine Denkschrift vor, die auf 30 Seiten allgemeine Einsparmöglichkeiten erörterte und in einem 155-seitigen Anhang konkrete Vorschläge machte.
Doch bevor das Kabinett darüber diskutieren konnte, trat die Regierung Cuno zurück. Ende August wandte sich Saemisch daher in einem Schreiben an den neuen Reichskanzler Stresemann und legte erneut eine Liste von Vorschlägen bei, die Ersparnisse bei den Ausgaben des Reichshaushalts an 60.429 einzelnen Stellen vorsah.
Das Einsparpotenzial summierte Saemisch
auf 1,268 Billionen Mark. Das klingt viel, relativiert sich jedoch
stark angesichts des inflationären Gesamthaushalts, der zu diesem
Zeitpunkt auf über 400 Billionen Mark geschätzt wurde.
Es war klar, dass mit diesen Einsparungen der Haushalt nicht ausgeglichen und damit die Hyperinflation nicht gestoppt werden konnte. Diese raste inzwischen mit voller Wucht über das Land. Denn seit Januar 1923 hielten Frankreich und Belgien das Ruhrgebiet besetzt, um so die Zahlung der Reparationen zu erzwingen. Berlin hatte darauf mit einem Aufruf zum Generalstreik in den besetzten Gebieten reagiert und zahlte fortan die Gehälter der Streikenden – aus der leeren Staatskasse. Auch dieses Geld wurde daher gedruckt.
Die Inflation galoppierte nun davon, und im
Herbst 1923 war es so schlimm, dass sich die Preise praktisch täglich
verdoppelten. Die Notenpressen wurden im Wochentakt mit neuen
Druckplatten versorgt, die immer neue Banknoten mit immer höherem
aufgedrucktem Wert produzierten, und das Land stand politisch und
wirtschaftlich am Abgrund. In Sachsen gab es einen kommunistischen
Umsturzversuch, im Rheinland besetzten Separatisten diverse Städte, in München versuchte Hitler eine nationalsozialistische Revolution anzuzetteln, und in diversen Städten kam es zu spontanen Hungerrevolten und Aufständen.
Erst jetzt, in dieser absolut dramatischen Lage, konnte sich die Regierung dazu durchringen, drastische Maßnahmen anzukündigen – und auch durchzuführen. Dazu gehörte zunächst der Abbruch des Ruhrkampfes. Die Menschen sollten wieder zur Arbeit gehen, Berlin stellte die Zahlungen der ausgefallenen Gehälter ein.
Doch zwei weitere Maßnahmen waren mindestens ebenso wichtig. Zum einen wurde die Erwerbslosenfürsorge reformiert. Bis dahin wurde diese komplett vom Staat bezahlt, nun sollten Arbeitgeber und Arbeitnehmer über Beiträge jeweils 40 Prozent übernehmen, der Staat schoss nur noch 20 Prozent zu – damit wurde praktisch das heutige System begründet.
Noch einschneidender und heute kaum vorstellbar war jedoch eine weitere Maßnahme: die Entlassung eines Viertels der Beamten. Dazu wurde die Unkündbarkeit aufgehoben, neue Beamte durften nicht mehr eingestellt, keine Beförderungen mehr ausgesprochen werden.
Für weibliche Beamte galt sogar, dass sie zum Ende eines Monats entlassen werden konnten, wenn sie heirateten. Denn, so der Reichsarbeitsminister, der Lohn des Mannes reiche aus, und die Arbeit einer Frau raube einem Familienvater Brot und Lebenshoffnung.
Tatsächlich mussten bis
Ende März 1924 fast 400.000 Beamte, Angestellte und Arbeiter aus dem
öffentlichen Dienst ausscheiden. Parallel dazu wurde Sparkommissar
Saemisch Leiter einer Verwaltungsabbaukommission, die veranlasste, dass
diverse Verwaltungswege vereinfacht und sogar ganze Verwaltungseinheiten
aufgelöst wurden, etwa das Reichsministerium für Wiederaufbau.
All das führte dazu, dass der Reichshaushalt erstmals seit vielen Jahren wieder ausgeglichen war, und das war die Voraussetzung dafür, dass nach Einführung der neuen Währung, der Rentenmark, am 15. November 1923 die Hyperinflation binnen weniger Tage gestoppt wurde und die neue Währung absolut stabil blieb. Quasi über Nacht war der Alptraum zu Ende, und der Kahlschlag bei den Staatsausgaben, den die Regierung Stresemann durchgesetzt hatte, war ein wesentlicher Grund dafür.
Heute ist
die Lage der Haushalte längst nicht so dramatisch wie in Deutschland vor
etwas mehr als 100 Jahren, schon gar nicht in der Bundesrepublik, wo
die Schuldenbremse
wirkt. In den USA liegt das Haushaltsdefizit des Bundes jedoch seit
Jahren bei sechs bis sieben Prozent der Wirtschaftsleistung, und es
dürfte noch weiter ansteigen, sofern Donald Trump seine angekündigten
Steuersenkungen umsetzt. Zudem steigen die Zinsausgaben bereits jetzt
erheblich an, und das Congressional Budget Office, eine überparteiliche
Haushaltskommission des US-Kongresses, prognostiziert für die kommenden
Jahre eine weitere dramatische Verschlechterung der Lage.
Drastische Einsparmaßnahmen sind daher sicher keine schlechte Idee. Allerdings entfallen derzeit schon über zwei Drittel der Ausgaben des US-Haushalts auf Zinszahlungen, die Verteidigungsausgaben und die sozialen Grundleistungen des Staates wie Renten, Gesundheitsvorsorge und Sozialhilfe.
Musk kann also vor allem bei Investitionen sparen – oder aber er muss in grundlegende Leistungen des Staates eingreifen. Es wird spannend sein zu sehen, welchen Weg er wählt, und welche Reaktionen die Schockwellen auslösen werden, die er durchs Land schicken will. Zumal der Leidensdruck in den USA eben längst nicht so groß ist wie in Deutschland 1923.
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