04 Mai 2023

Grüne Seilschaften - Patrick Graichen, der beamtete Lobbyist (Cicero)

Grüne Seilschaften
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Patrick Graichen, der beamtete Lobbyist (Cicero)
Habecks Energie-Staatssekretär Patrick Graichen steht in der Kritik. Doch die Trauzeugen-Affäre führt in die Irre. Nicht Freundschaften sind das Problem, sondern die Parteizugehörigkeit: Die Grünen haben alle Schlüsselpositionen der deutschen Energiepolitik erobert.
VON DANIEL GRÄBER am 2. Mai 2023
Robert Habecks wichtigster Staatssekretär hat bei der Besetzung des Geschäftsführerpostens der staatlichen Deutschen Energie-Agentur (Dena) einen Fehler gemacht. Das räumt der Wirtschaftsminister selbst ein. Denn Patrick Graichen, zentraler Strippenzieher der Habeckschen Klima- und Energiepolitik, verschwieg seinem Chef offenbar, wie gut er den neuen Dena-Chef kennt.

Michael Schäfer – selbstverständlich ein Grüner – wurde von einer Findungskommission ausgewählt, deren Mitglied Graichen war. Der Aufsichtsrat der bundeseigenen GmbH stimmte diesem Vorschlag Anfang April zu. Erst Wochen später, als wegen anderer familiärer Verbindungen Filz-Vorwürfe gegen den „Graichen-Clan“ in der Öffentlichkeit diskutiert wurden, soll Graichen Habeck darüber informiert haben, dass Michael Schäfer sein Trauzeuge war. Nun wird das Verfahren wohl neu aufgerollt.

Habeck hält an Graichen fest

Der Minister, der selbst politisch unter Druck steht, hält dennoch an seinem Staatssekretär fest. „Ohne die konsequente Art von Patrick Graichen wäre Deutschland heute in einer schweren Wirtschaftskrise“, verteidigte ihn Habeck in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. „Er hat in Windeseile das Gesetz zur Befüllung der Gasspeicher durchgebracht und die rechtzeitige Einspeicherung von Gas gewährleistet, den Bau von LNG-Terminals für eine sichere Gasversorgung vorangetrieben, den Gasversorger Uniper stabilisiert und alte Kohlekraftwerke zurück ans Netz geholt.“

Habeck braucht Graichen, so viel steht fest. Während der eine mit zerknirschtem Gesicht in die Kameras schaut und von brachialen Plänen zum klimaneutralen Umbau des Landes erzählt, sorgt der andere dafür, dass diese Pläne in die Tat umgesetzt werden. Er tut das, so hört man es inner- und außerhalb des Ministeriums, mit einer Rücksichtslosigkeit, die von den einen als Durchsetzungsstärke und von den anderen als Starrköpfigkeit beschrieben wird. Habecks kompromisslose Wärmepumpen-Offensive zum Beispiel ist das Werk Patrick Graichens. Und Graichen braucht Habeck. Denn er hat unter ihm eine Schlüsselposition erreicht, auf die er seit Jahren, wenn nicht seit Jahrzehnten hingearbeitet hat. Die Energiewende versteht er als sein Lebenswerk.

Radikale Umbaupläne

2001 kam Graichen ins Bundesumweltministerium, wurde dort persönlicher Referent des damaligen Staatssekretärs Rainer Baake, der unter Jürgen Trittin ein wichtiger Wegbereiter der Wind- und Solarenergie war. Graichen blieb auch unter SPD- und CDU-Führung im Umweltministerium. Zuletzt war er dort Referatsleiter für Klima- und Energiepolitik.

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Mitte 2012 wechselte Graichen die Seiten und baute gemeinsam mit Rainer Baake die Lobbyorganisation „Agora Energiewende“ auf. Als Baake 2014 wieder Staatssekretär wurde, diesmal im Wirtschaftsministerium unter Sigmar Gabriel, übernahm Graichen dessen Direktorenposten bei Agora. Er entwickelte in dieser Zeit jene Pläne zum radikalen Umbau des Energiesystems, die er nun in die Tat umsetzen kann.

Graichen blieb Beamter

Interessant und bislang kaum bekannt ist, dass Graichen während seiner neunjährigen Tätigkeit bei „Agora Energiewende“ quasi im Staatsdienst war. Denn er gab seinen 2003 erhaltenen Beamtenstatus nie auf, sondern ließ sich beurlauben. „Ab Juli 2012 bis zum Beginn im BMWK (15.12.2021)“, antwortete das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) auf eine Cicero-Anfrage zu Graichens Beurlaubungszeitraum.

Was Grüne bei anderen Branchen gerne kritisieren, den geschmeidigen Wechsel zwischen Politik und Lobbyorganisationen, ist für sie offenbar kein Problem mehr, wenn es um die vermeintlich richtige Sache geht. Dabei sind die „Erneuerbaren Energien“ längst kein Spielzeug weltverbessernder Idealisten mehr, sondern eine milliardenschwere Industrie. Und die Ampelkoalition vertritt eins zu eins deren Interessen.

Wirklichkeitsferne Ideen

Das sollte eigentlich misstrauisch machen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Grünen konnten ohne Aufruhr oder Gegenwehr systematisch Posten besetzen, die wichtig sind, um ihre wirklichkeitsferne Idee einer Wind-und-Wetter-abhängigen Energieversorgung Deutschlands durchzusetzen. :

  • Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft ist seit 2019 Kerstin Andreae, zuvor Bundestagsabgeordnete der Grünen.
  • Präsident der Bundesnetzagentur, der obersten Regulierungsbehörde für die deutschen Energiemärkte, wurde Anfang 2022, kurz nach Regierungsantritt, ein Grüner: Klaus Müller.
  • Und jetzt eben noch Michael Schäfer, der ohne Probleme Geschäftsführer der Deutschen Energie-Agentur geworden wäre, wenn Patrick Graichen sich rechtzeitig für befangen erklärt und aus der Findungskommission zurückgezogen hätte.
Schwager ist auch Staatssekretär

Die Trauzeugen-Affäre führt daher etwas in die Irre. Das Problem sind nicht freundschaftliche oder familiäre Beziehungen, wie sie Patrick Graichen etwa zu seinem Schwager Michael Kellner pflegt, der ebenfalls Staatssekretär unter Habeck ist und dessen Frau Verena Graichen sich am Öko-Institut über Aufträge des Ministeriums freut. Das Problem sind die Parteifreundschaften. Wenn nur noch Grüne, für die jede Abkehr vom Atomausstieg das Eingeständnis einer Lebenslüge bedeuten würde, über die Energieversorgung Deutschlands beraten und entscheiden, kann das gefährlich werden. Nach Putins Angriff auf die Ukraine hat Deutschland erlebt, was das bedeutet.

Doch man kann den Graichens und Co. daraus keinen Vorwurf machen, dass sie strategisch denken und langfristig die aus ihrer Sicht richtigen Entscheidungen treffen. Man kann ihnen dafür sogar Respekt zollen. Den Vorwurf müssen sich alle anderen Parteien machen lassen, die auf dem für Wohlstand und Sicherheit des Landes so wichtigem Feld der Energiepolitik jede Gegenwehr gegen den Vormarsch der Grünen aufgegeben haben. Das rächt sich nun bitter. CDU/CSU und FDP wirken vollkommen orientierungslos und haben, bis auf punktuelle Empörung wie beim Gasheizungsverbot, dem Marsch der Energiewendler durch die Institutionen nichts entgegenzusetzen.

US-Milliardäre im Hintergrund

Hinzu kommt, dass in der politischen Öffentlichkeit bislang vollkommen untergegangen ist, welche einflussreichen Geld- und Ideengeber im Hintergrund tätig sind. Die von Patrick Graichen mitgegründete Denkfabrik „Agora Energiewende“ ist nur ein Beispiel von vielen. In der Zeit erschien vor einem knappen Jahr ein äußerst lesenswertes Porträt über den „mächtigsten Grünen der Welt“: Hal Harvey, ein amerikanischer Öko-Stratege, der mit dem Geld von US-Milliardären ein weit verzweigtes Netz aus finanziell und personell bestens ausgestatteten Klimaschutzorganisationen in Europa aufgebaut hat. „Agora Energiewende“ zählt dazu.

„Viele Lobbyisten achten darauf, dass nicht an die Öffentlichkeit gelangt, wie sie ihre Interessen in den opaken Maschinenräumen der Macht durchsetzen. Hal Harvey tut das nicht“, schreibt die Wochenzeitung. „Bei einem Treffen in Berlin erzählt er, wie er über Jahrzehnte Kampagnen orchestriert, Stiftungen gegründet und Vertraute in die richtigen Positionen gebracht hat – bis in die obersten Etagen des Bundeswirtschaftsministeriums. Jetzt sind seine Leute an der Regierung und übersetzen seine Ideen in Politik.“ Gemeint ist damit auch Patrick Graichen.

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