04 Mai 2023

Ampel-Koalition - Grüner Stresstest (Cicero)

Ampel-Koalition
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Grüner Stresstest (Cicero)
Mit ihrer Brechstangen-Politik bringen die Grünen die Bevölkerung gegen sich auf – und ihre Koalitionspartner in Verruf. SPD und FDP müssten sich schnellstmöglich von Habeck und Co. trennen, um politisch nicht unterzugehen. Szenarien werden offenbar schon durchgespielt.
VON ALEXANDER MARGUIER am 4. Mai 2023
Eine der wohl niederschmetterndsten Erfahrungen, die die Grünen bisher in der Ampelkoalition machen mussten, besteht darin, dass der Bundeskanzler sie nicht mag. Olaf Scholz, der als SPD-Generalsekretär schon in der Regierung von Gerhard Schröder seine Erfahrungen mit einem grünen Koalitionspartner auf Bundesebene sammeln durfte, hatte zu dieser Partei eigentlich immer ein durch und durch funktionales Verhältnis. Und sah in den Grünen stets weniger den natürlichen Partner für ein linkes und „progressives“ Bündnis, sondern den notwendigen Mehrheitsbeschaffer für eine sozialdemokratische Kanzlerschaft ohne Beteiligung der Union. Zweckgemeinschaft statt Liebesheirat. 

Doch je deutlicher sich zeigt, dass die von Ricarda Lang und Omid Nouripour geführte Partei ganze Teile der Bevölkerung gegen sich aufbringt, könnte sich die Zweckgemeinschaft für den sozialdemokratischen Kanzler noch zu einer regelrecht toxischen Beziehung entwickeln. Wenn die Grünen so weitermachen, kann Scholz seine Wiederwahl in zweieinhalb Jahren jedenfalls vergessen. Das weiß er selbst am allerbesten.

Pragmatismus aufgebraucht

Das größte Problem für Scholz und die SPD ist die Radikalität der Grünen, über die es im Berliner Regierungsviertel heißt, sie hätten ihren Pragmatismus mit Blick auf die durch den Ukrainekrieg bedingte Zeitenwende im vergangenen Jahr aufgebraucht. Ohnehin sind die Schröderschen „Koch-und-Kellner“-Zeiten längst passé, inzwischen sehen die Grünen ihre Rolle nicht als Juniorpartner, sondern als Antreiber für eine neue, eine „transformative“ Politik. Mit ideologischem Furor betreiben sie einen gesellschaftlichen und ökonomischen Umbau (letzteres unter dem inzwischen ubiquitär eingesetzten Begriff der Klimarettung), der Sozialdemokraten kaum genehm sein kann – und sie am Ende ins politische Abseits führen dürfte. 

Die SPD hat seit der zurückliegenden Bundestagswahl je nach Umfrage zwischen sechs und neun Prozentpunkte verloren, während die Grünen weiterhin stabil bei um die 15 Prozent liegen – und damit sogar über ihrem Bundestagswahlergebnis. Auch die FDP hat in der Ampelkoalition gehörig Federn lassen müssen; das Bündnis hätte nach aktuellem Stand keine Mehrheit. Grüne Klientelpolitik mag sich demnach zwar für die Grünen lohnen, die notfalls auch mit der Union koalieren würden. Aber als Koalitionspartner begibt man sich mit dieser Partei auf eine abschüssige Bahn. Das hat sich inzwischen herumgesprochen.

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Tatsächlich haben sich Bündnis90/Die Grünen, anders als mit Gerhard Schröder, unter Ampel-Vorzeichen bisher als weitgehend regierungsunfähig erwiesen. Die jüngsten Skandale wegen des familiären Filzes in Robert Habecks Wirtschaftsministerium und darüber hinaus sind ja in Wahrheit fast Petitessen im Vergleich zu anderen Fehlleistungen, die unter anderen Umständen (also ohne die überwältigende Rückendeckung insbesondere der öffentlich-rechtlichen Medien) zu Rücktritten, Entlassungen und Empörungswellen geführt hätten. Doch nicht einmal der aktuelle Heizungsirrsinn scheint die Grünen zu beeindrucken; sie setzen im Gegenteil sogar noch eins drauf. 

Grüne Wohltaten

Ansonsten können sich die Grünen in der bisherigen Ampelbilanz folgende Punkte zugutehalten – wobei die Liste hier keineswegs vollständig ist:

  • Eine verheerende CO2-Bilanz, weil die selbsternannte Klimaschutzpartei lieber auf Kohleverstromung setzt als auf Kernenergie.
  • Ein geplantes Selbstbestimmungsgesetz, das biologische Naturgesetzlichkeiten außer Kraft setzen will und kontrafaktisches Denken staatlicherseits zur Norm erhebt.
  • Eine grüne Außenministerin, die Russland versehentlich den Krieg erklärt und ihre „feministische Außenpolitik“ anhand bizarrer Toiletten-Tipps für afrikanische Dörfer herleitet.
  • Anweisungen des grüngeführten Außenministeriums an deutsche Botschaften, Visa an afghanische Migranten mit ungeklärter Identität und trotz massiver Sicherheitsbedenken zu vergeben.
  • Weitgehende Versuche, einen europäischen Asylkompromiss trotz kommunaler Hilferufe vor dem Hintergrund einer sich verschärfenden Migrationskrise zu verwässern.
  • Mehr oder weniger zustimmende Toleranz gegenüber „Klimaklebern“ und anderen den Rechtsstaat herausfordernden Klimaaktivisten.
  • Erkennbare Versuche, die wegen einer Deindustrialisierung drohenden Wohlstandsverluste als „neuen Wohlstand“ zu verklären.
  • Ausweitung des staatlichen Sektors unter dem Vorwand des Klimaschutzes.

Wie gesagt, das sind nur ein paar der bisherigen grünen Ampel-Highlights, mit denen sich nicht nur die Bevölkerung herumschlagen muss, sondern auch die gelben und roten Koalitionspartner – wobei letztere meist noch gute Miene zum bösen Spiel machen müssen und dabei erkennbar immer weiter an die Grenzen ihrer Verbiegungsfähigkeit gelangen. 

Ausstiegs-Szenarien

Fest steht: Wenn die Grünen so weitermachen wie bisher, wird diese Koalition nicht als Fortschrittsprojekt in die Geschichte eingehen, sondern als Sargnagel für die deutsche Volkswirtschaft und als Brandbeschleuniger in Sachen gesellschaftlicher Spaltung. Sozialdemokraten und Liberale können den grünen Transformationsfuror unmöglich noch weitere zweieinhalb Jahre lang tolerieren, wenn sie nicht ihr eigenes politisches Überleben und ein permanentes Anwachsen insbesondere des rechten politischen Rands riskieren wollen. Was also tun?

Folgende Szenarien sind denkbar – und werden an den entsprechenden Stellen auch durchgespielt:

  • Die Ampel regiert weiter, SPD und FDP versuchen mit vereinten Kräften die Grünen einzuhegen und das Schlimmste zu verhindern – allen oben beschriebenen Risiken zum Trotz.
  • Auf Neuwahlen setzen. Doch dafür sind in Deutschland die Hürden bekanntlich hoch, und weder die SPD noch die FDP hätten hier viel zu gewinnen – im Gegenteil.
  • Die SPD kündigt das Ampel-Bündnis auf und geht mit der Union eine große Koalition ein. Diese Option würde jedoch kaum Rückhalt bei der sozialdemokratischen Funktionärsebene finden.
  • Oder: SPD und FDP kündigen das Ampel-Bündnis mit den Grünen auf und versuchen es mit einer Minderheitsregierung.

Mit letztgenanntem Szenario wäre die Transformationsagenda mit der grünen Brechstange vom Tisch; CDU/CSU würde praktisch zur informellen Regierungspartei, wenn es darum geht, parlamentarische Mehrheiten herzustellen. Diese Lösung hätte zum einen den Effekt, dass den Grünen die Gewissheit genommen würde, ohnehin und in welcher Konstellation auch immer mitregieren zu können. SPD und FDP hingegen könnten sich darauf besinnen, eine Reformpolitik zu betreiben, die die Bürger nicht permanent vor den Kopf stößt – und darauf hoffen, bei der nächsten Wahl dafür honoriert zu werden.

Die Union wiederum wäre gewissermaßen mit an der Macht, bräuchte sich aber die Finger im täglichen Regierungsgeschäft nicht schmutzig zu machen. Friedrich Merz könnte den generösen Staatsmann geben, der zum Wohle der Republik konstruktiv mit SPD und FDP zusammenarbeitet – und selbst darauf hoffen, dass sich dies bei der nächsten Bundestagswahl auszahlt. Vorausgesetzt natürlich, CDU und CSU geben sich für die nächsten zweieinhalb Jahre mit der Rolle als Mehrheitsbeschaffer zufrieden und sind bereit, auf veritable Regierungsposten zu verzichten. In Teilen der SPD dürfte die Option einer Minderheitsregierung freilich auf Widerstand stoßen: Gerade jüngere Sozialdemokraten sind durchaus auf einer Linie mit den Grünen.

Ein nötiger Befreiungsschlag

Klar ist jedenfalls: Die SPD mit Bundeskanzler Scholz und die Liberalen mit ihrem Finanzminister Christian Lindner brauchen einen Befreiungsschlag. Die Grünen sind zu einer enormen Belastung für die Ampel geworden. Die gesellschaftlichen und ökonomischen Kollateralschäden sind schon jetzt enorm. Dem Vernehmen nach hat der aktuelle Vetternwirtschafts-Skandal im Habeck-Ministerium bei Scholz einmal mehr für großen Ärger gesorgt; offenbar war sogar ein Machtwort des Kanzlers mit entsprechenden personellen Konsequenzen im Gespräch.

Die Grünen selbst können derweil weiterhin auf ihnen wohlgesinnte Medien und auf eine Kernklientel setzen, die etwa 15 Prozent der Wählerschaft ausmacht. Was aber eben auch zeigt: Trotz des medialen Hypes ist diese Partei längst nicht so groß, wie sie tut und offenbar glaubt zu sein. Dass man mit 15 Prozent ein Land in Geiselhaft nehmen kann, mag dem grünen Selbstverständnis entsprechen. Aber um ein in Stein gemeißeltes politisches Gesetz handelt es sich dabei nicht. Zumindest dann nicht, wenn die Bundesrepublik sich nicht schon selbst aufgegeben hat.

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