11 Mai 2023

Analyse von Ulrich ReitzHabeck zeigt, wie dünnhäutig Grüne bei Kritik werden (Focus-Online)

Analyse von Ulrich Reitz
Habeck zeigt, wie dünnhäutig Grüne bei Kritik werden (Focus-Online)
Robert Habeck reagiert dünnhäutig auf Vorwürfe gegen ihn. Er sieht sich als Opfer einer konservativen Kampagne. Warum greifen ausgerechnet Grüne zu Verschwörungstheorien?
11.05.2023
Die dreiste Methode der Täter-Opfer-Umkehr kannte man bisher vor allem aus Moskau. Wo Putin behauptet, die Nazis, das seien die anderen. Und im Übrigen greife gerade der Westen sein Land an. Nun ist die im Kreml bewährte Täter-Opfer-Umkehr in Berlin angekommen, sie hat es bis ins Regierungsviertel geschafft.Ausgerechnet die Grünen, die anders sein wollten, ehrlich, transparent, im Regieren moralisch einwandfrei, bedienen sich jetzt dieser schmuddeligen Methode der Volksvernebelung. Es ist der Versuch einer Selbstimmunisierung: Jeder, der die Grünen angreift, greift ihre Politik an.

Weil die jedoch der Rettung der Welt dient, ist jeder Angriff auf die Grünen ein Angriff auf die Welt. So war es schon beim umstrittenen Atom-Ausstieg, und so ist es jetzt auch bei der Wärmewende.

Jürgen Trittin lässt grüßen

Den Anfang hatte der Altmeister aller grünen Campaneros gemacht, Jürgen Trittin, als er im Zusammenhang mit der Habeck-Graichen-Affäre von einer „Kampagne“ sprach und irgendwas von Springer-Verlag raunte. Es war nichts weniger als eine Verschwörungstheorie.

Als erste hatte über die Energiewende als „Familienprojekt“ die grünen-nahe „Taz“ berichtet, schon vor einem Jahr. „Die Zeit“ und die „Wirtschaftswoche“ legten nach, ohne dass deren Eigentümer, der Holtzbrinck-Verlag, sich von Trittin der Kampagne bezichtigen lassen musste.

Es fanden sich Journalisten, die die unbeweisbare These einer konservativ-medialen-fossilindustriellen Verschwörung gegen die grüne Energiewende nachbeteten, etwa im ARD-Presseclub am vergangenen Sonntag. Jedenfalls:

Trittin blieb nicht lange allein, im Bundestag folgten ihm am vergangenen Dienstag die Grünen. In der Debatte um die Habeck-Graichen-Affäre unterstellte der grüne Abgeordnete Andreas Audretsch der CDU, sie wolle nicht aufklären, sondern „gegen den Klimaschutz agitieren“. Audretsch verstieg sich gar zu dem Vorwurf, da seien „fossile Klimaleugner“ am Werk. Audretsch, der früher beim Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk arbeitete, ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen.
Habeck schnappt sich Kuban im Bundestag

Audretschs Parteifreund Felix Banaszak fragte, weshalb gerade jetzt die Union derart einsteige gegen Habeck, Graichen und das Bundeswirtschaftsministerium. Banaszak, der drei Jahre lang das Büro von Sven Giegold leitete, der heute beamteter Staatssekretär bei Habeck ist, gab sich selbst die Antwort: Das liege im Interesse „der fossilen Wirtschaft“, nicht also am Wunsch nach Aufklärung einer Affäre. Am Ende der Debatte legte dann der Chef selbst nach, im Bundestag, es sollte nur der Anfang sein.

Nachdem der letzte Redner, Tilman Kuban von der CDU, geendet hatte und auf seinen Platz zurückging, stand Vizekanzler Robert Habeck von seiner Regierungsbank auf und stoppte den Christdemokraten. Ein ungewöhnlicher Vorgang, der zu einer Intervention des amtierenden Bundestagspräsidenten Wolfgang Kubicki führte.

Kuban hatte mehrere quälende Fragen in der Graichen-Angelegenheit formuliert – und damit deutlich gemacht, dass für die Union das Thema noch lange nicht erledigt ist. Im Raum steht ein Untersuchungsausschuss, den Union und AfD einrichten wollen.
Habeck „emotional angefasst“

Nach Focus-Online-Informationen fragte Habeck den CDU-Mann vorwurfsvoll, weshalb der denn seine Fragen nicht im vorangegangenen Wirtschaftsausschuss, der vertraulich getagt hatte, stellte. Kuban antwortete, es habe nur Raum gegeben für vier Fragen, mehr habe die Regie nicht zugelassen.

Der Vorgang zeigte, wie „emotional angefasst“, so der FDP-Wirtschaftssprecher Reinhard Houben, Habeck war. Bislang ist jedenfalls noch kein Minister der Ampel-Regierung einem kritischen Parlamentarier von der Regierungsbank aus hinterhergelaufen. Schon gar nicht der Vizekanzler.

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Am Abend ging es dann weiter. Mit der inzwischen etablierten Methode der Täter-Opfer-Umkehr. Habeck blieb bei seiner Linie, sprach in den ARD-Tagesthemen von: „Härte und fast Böswilligkeit“, von „Unterstellungen“, von „Beleidigungen“, von „teilweise Lügen“ die von seinen Gegnern verbreitet worden seien. Und der Klimaminister markierte deren Ziel: Die Verhinderung der „Dekarbonisierung im Wärmebereich“.
Zweifel am Heiz-Gesetz innerhalb der Ampel

Nun sind allerdings die Zweifel an der „Dekarbonisierung im Wärmebereich“ weit verbreitet. Sie gehen jedenfalls weit über die Union hinaus. Sie haben sogar Habecks Kollegen im Bundeskabinett ereilt. Zweifel an dem Gebäude-Energiegesetz haben inzwischen gleich zwei von Habecks Kabinettskollegen, der liberale Bundesjustizminister Marco Buschmann und die Bauministerin Klara Geywitz von der SPD.

Geywitz zweifelte schon in der ARD-Sendung „Hart, aber fair“ an Habecks Plan, jedes einzelne Haus für viel Geld zu karbonisieren. Bei der Immobilienwirtschaft legte sie nun noch nach, ihre Zweifel müssen sich erheblich verdichtet haben, denn die SPD-Politikerin wurde sehr konkret. Nach eigenen Angaben rechnet sie damit, Ärger mit Habeck zu bekommen. Aber das macht ihr nichts aus.

Ob es technisch wie finanziell möglich sei, „auch im Harz, im Sauerland oder in der Altmark“ wirklich alle Gebäude CO2-frei zu machen, das sehe sie nicht. Auch richtete die Ministerin ihren Blick auf die gesamte CO2-Bilanz, also darauf, wieviel Kohlendioxid etwa bei der Herstellung von Dämm-Material entstehe.
Pikante Einwände der Bundesbauministerin

Geywitz macht offensichtlich ihren Job, und der besteht nicht darin, alles aktionistisch dem Klimaziel unterzuordnen, sondern nach der Machbarkeit und dem Sinn zu fragen. Die Sozialdemokratin verweist mit ihren bauphysikalisch und finanziell begründeten Einwänden auf das Grundproblem der Grünen: Die argumentative Einseitigkeit, die daraus erwächst, dass eben bei der Energiewende nur „Graichens mit Graichens reden und Grüne mit Grünen“. So formulierte es die „Zeit“.

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Geywitz Einwände sind pikant, denn sie hatte den „Heiz-Hammer“ gemeinsam mit Habeck vorgestellt – und hat sich nun offenkundig von den Experten ihres Hauses eines Besseren belehren lassen. In dieselbe Kerbe hieb der bisherige Dena-Chef Andreas Kuhlmann, ein Sozialdemokrat, bei seiner Abschiedsrede in Anwesenheit von Robert Habeck, man kann es inzwischen auf Youtube nachhören.

Physiker Kuhlmann, den Habeck-Mann Graichen durch den gelernten Werbetexter Michael Schäfer, seinen Freund und Trauzeugen, ersetzen wollte, sagte spitz in Richtung Grüne: Nicht jene, die etwas besonders wollten, hätten am Ende auch die besten Lösungen. Und: „Ob eine Wärmepumpe in Wanne-Eickel 2024 oder 2025 eingebaut wird“, sei für das Klima unerheblich.
Habeck-Graichen-Affäre ist ein Einschnitt für die Grünen

Die Habeck-Graichen-Affäre ist ein Einschnitt für die Grünen. Mit Kritik tun sie sich schwer. Darauf reagieren sie dünnhäutig, beleidigt – und sie erheben verräterische Vorwürfe. Die nur einem doppelten Zweck dienen: vom eigenen Fehlverhalten abzulenken und die sachlich fundierten Kritiker ihrer Klimapolitik mundtot zu machen.

Die Bewältigung der Affäre deckt mehr auf als die Affäre selbst. So ist es häufig bei Skandalen. Inzwischen haben viele beim Koalitionspartner FDP die Nase voll von den illiberalen Methoden der Grünen. Und so mancher FDP-Mensch freut sich, dass die Affäre noch nicht vorbei ist. Und so gehört die letzte Bemerkung in der Trauzeugen-Affäre um Graichen und Michael Schäfer in diesem Text dem thüringischen FDP-Abgeordneten Gerald Ullrich, der Mitglied im Parteivorstand ist:

„Man muss sich schlussendlich fragen, wer Herrn Schäfer final empfohlen hat.“

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