Auszug aus der E-Mail MV |
Genau deshalb machte man sich im Bundeskanzleramt bereits im März über die Gefahr eines solchen Lecks Gedanken. Nord Stream 2 war damals bereits befüllt, wurde als Reaktion auf den russischen Einmarsch in die Ukraine aber nicht in Betrieb genommen. „Die Leitung sei voll mit Gas gefüllt, dieses müsse unbedingt aus der Leitung heraus. Es dürfe keine Umweltprobleme/Umweltkatastrophe geben“, gibt eine Referentin der Landesvertretung Mecklenburg-Vorpommern in einer internen E-Mail einen Vertreter des Kanzleramts wieder. „Das Kanzleramt sei derzeit dazu mit der Regierung der USA in Verhandlungen. Es müsse eine schnelle Lösung geben“, schreibt sie weiter. Sie bezieht sich auf eine nichtöffentliche Sitzung der Arbeitsgruppe Energie der SPD-Bundestagsfraktion am 14. März.
Sechs Monate später trat der Worst Case ein
Laut der Referentin sah das Kanzleramt damals große Dringlichkeit zu
handeln. Nord Stream 2 stelle „in der Tat ein Problem“ dar: „Das
Unternehmen habe alle Mitarbeiter entlassen, es bestehen die
Sanktionsdrohungen der USA und es gebe derzeit keine Möglichkeiten, dass
Firmen beauftragt werden können, sofern es zu Havarien komme“, gibt sie
den namentlich nicht genannten Kanzleramtsvertreter wieder. Rund sechs
Monate später trat das Worst-Case-Szenario ein – allerdings nicht
infolge einer Havarie, sondern eines Sprengstoffanschlags.
Das Bundeskanzleramt will offiziell nichts mehr von den bereits Mitte März geäußerten Befürchtungen wissen. „Die angeblichen Aussagen sind dem Bundeskanzleramt nicht bekannt und lassen sich keiner bekannten Sitzung zuordnen“, behauptet ein Regierungssprecher gegenüber Cicero. Aus der Schweriner Staatskanzlei heißt es, der in der E-Mail wiedergegebene Kanzleramtsvertreter sei nicht ranghoch gewesen, sondern der Kategorie „Arbeitsebene“ zuzuordnen.
Auf eine weitere Anfrage mit der Bitte um Auskunft, welche seiner Vertreter an der damaligen Sitzung der Arbeitsgruppe Energie der SPD-Fraktion teilgenommen haben, teilt das Kanzleramt nur mit: „Die Bundesregierung pflegt im Rahmen ihrer Aufgabenwahrnehmung den regelmäßigen Austausch mit parlamentarischen Akteuren. Dies schließt auch parlamentarische Kontakte mit den Fraktionen des Deutschen Bundestages mit ein.“ Im Übrigen verweise man auf die Antwort zur ersten Anfrage.
Im Bericht des Landeswirtschaftsministeriums heißt es: „Gegenwärtig bestehen aus Sicht des Bergamtes Stralsund keine Bedenken hinsichtlich der Sicherheit und Integrität der gasgefüllten Leitungen (…). Es handelt sich um eine neue infrastrukturelle Anlage von komplexer Struktur“. Zudem wird angemerkt, „dass die Leitung NOS 1, die technisch noch nicht so aufwendig gearbeitet worden ist, seit über zehn Jahren komplikationslos betrieben wird.“
Hinzu kommt: Mit Fertigstellung der Leitungen des Doppelstranges Ende 2021 lagen laut Bericht „aktuelle Prüfbescheinigungen unabhängiger Sachverständiger vor, die eine Dichtheit und Festigkeit der Leitung attestieren.“
Ein Plan, um an das Erdgas zu kommen
Auch die Aussage, das Gas müsse „unbedingt aus der Leitung heraus“, nahm man in Mecklenburg-Vorpommern ernst. Das Wirtschaftsministerium MV unterbreitet in seinem Bericht einen Vorschlag, wie das Gas ohne Absprache mit Russland herausgeholt werden könnte. Zwar bestehe sicherheitstechnisch also kein Grund, Gas zu reduzieren. „Es kann jedoch als wünschenswert angesehen werden, den Gasdruck zu reduzieren, um an das enthaltene Erdgas heranzukommen. Ohne Kooperation durch die russische Seite könnte das technisch so geschehen, dass die Leitung an die EUGAL-Deutschlandleitung angeschlossen wird, die dann auf den niedrigsten Druck, der technisch machbar ist, gefahren wird. Dadurch könnte vermutlich alles Gas von 103 bar bis ca. 40-50 bar herunter verleitet werden und in die EUGAL abfließen.“ Eine komplette Entleerung sei „jedoch nur dann möglich, wenn auch auf russischer Seite dazu eine Mitarbeit gewährleistet ist.“
Der Vorschlag wirft die Frage nach den Eigentumsverhältnissen auf, schließlich handelt es sich um russisches Gas.
Verhandlungen mit den USA
Was die im Vermerk erwähnten Verhandlungen mit der US-Regierung betrifft, teilt das Kanzleramt zwar mit, „konkrete Verhandlungen [der Bundesregierung] mit den USA zu Themen im Sinne der Fragestellung“ seien „nicht bekannt.“ Laut dem Bericht des Wirtschaftsministeriums MV wurde im März aber zumindest ein Schreiben vorbereitet, auf dem detailliert aufgelistet werden sollte, welche Wartungs- und ggf. Unterhaltungsmaßnahmen zukünftig vorgenommen werden müssen. Dafür wollte man dann von der für die Sanktionsprüfung zuständigen OFAC (Office of Foreign Assets Control) eine Freigabe von den Sanktionen erreichen. Das Bundeswirtschaftsministerium plante laut Bericht, dieses ins Englische übersetzte Schreiben über die Deutsche Botschaft in Washington der OFAC zukommen zu lassen. Das Schreiben soll in enger Zusammenarbeit unter den beteiligten deutschen Behörden gegenwärtig abgestimmt worden sein.
Das Bundeswirtschaftsministerium äußert sich auf Cicero-Anfrage nicht zu dem im Bericht erwähnten Schreiben und den beteiligten Behörden. Stattdessen verweist man auf die Zuständigkeit des Bergamtes Stralsund für die Aufsicht über die Wartung und die Überprüfung der Festigkeit. „Für eventuelle Arbeiten ist die Nord Stream 1 und die Nord Stream 2 AG zuständig. Ein Rückbau der Leitungen wäre auch auf Grund der Eigentumsverhältnisse nicht gegeben. Das Gleiche gilt auch für das Gas, welches sich noch in der Pipeline befindet.“
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