05 Oktober 2022

Stefan Aust zur Lage „Für ernsthafte Krisenzeiten ist diese Regierung nicht geeignet“

Stefan Aust zur Lage
„Für ernsthafte Krisenzeiten ist diese Regierung nicht geeignet“
WELT AM SONNTAG-Herausgeber Stefan Aust beantwortet Fragen zur aktuellen politischen Lage. Die Themen diesmal: Wie fällt die Bilanz der Ampel-Koalition ein Jahr nach der Wahl aus? Und: Steht auch Deutschland vor einem Rechtsruck wie Italien oder Schweden?
WELT AM SONNTAG: Die derzeitige Bundesregierung wurde vor rund einem Jahr gewählt. Wie fällt Ihre Bilanz aus?
Stefan Aust: Die Regierung hatte es nicht leicht. Alle illusionären Vorstellungen in der Regierungserklärung von „Mehr Fortschritt wagen“, abgekupfert von Willy Brandts „Mehr Demokratie wagen“, zerplatzten wie Seifenblasen in der Realität von Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine. Um Russland vom Geldhahn der Gaslieferung abzuschneiden, wird zunächst gefordert, kein Gas mehr zu kaufen, dann wundert man sich, wenn Putin mit fragwürdigen Begründungen selbst den Hahn abdreht. Dann entscheidet man sich europaweit für ein Embargo von russischem Öl und wundert sich, dass der Kreml sein Öl zu höheren Preisen woanders hin verkauft – und wir das dann von dort aus umständlich und teuer beziehen – oder auch nicht.

Für ernsthafte Krisenzeiten ist diese Regierung nicht geeignet. Da überbietet man sich an Inkompetenz. Und schüttet nicht vorhandenes Geld mit der Gießkanne aus. Schulden heißen nicht mehr Schulden, sondern „Sondervermögen“. In einer dramatischen Energieknappheit mit explodierenden Preisen sollen zunächst die letzten drei noch laufenden Kernkraftwerke abgeschaltet werden, weil das zur grünen Grundideologie gehört. Und Olaf Scholz hat nicht den Mut zu sagen, dass der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik bestimmt – und er deshalb den Weiterbetrieb zur Koalitionsfrage macht.

Träumerei, Realitätsferne und Verantwortungslosigkeit gegenüber dem Land und seinen Bürgern und Bürgerinnen bestimmen diese Politik. Und daran ist nicht nur Putin Schuld. Jetzt rächt sich auch Merkels Kurs der rot-grünen Unions-Transformation: Aushungern der Bundeswehr, Abschaffung der Wehrpflicht, abrupter Ausstieg aus der Kernenergie, dazu Ausstieg aus Steinkohle und Braunkohle. Und volle Abhängigkeit von stillstehenden Windrädern und damit von russischem Gas. Die Rechnung ist angekommen. Wer sie zahlt, ist auch klar. Und man darf nicht vergessen: Das haben Merkels jeweilige Koalitionspartner mitgemacht. Und die Union sowieso.

WELT AM SONNTAG: Insbesondere zwischen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) knirscht es. Hält diese Ampel auch drohende noch schwieriger Zeiten aus?

Aust: Schwer zu sagen, wer einem da mehr leid tut. Ein Wirtschaftsminister mit seiner grünen Kinder-Ideologie und engsten Mitarbeitern, die vorwiegend aus weitgehend staatlichen finanzierten NGOs stammen und den lukrativen Energiewunder-Fantastereien anhängen, soll plötzlich realistische Politik im Interesse des Landes machen. Da überwirft er sich ja mit allen seinen Parteigenossen. Dann lässt er lieber die Wirtschaft an die Wand fahren. Arme Leute demonstrieren ja nicht, wie die Innenministerin weiß. Und wer es dennoch tut, ist eben rechter Querulant.

Und auf der anderen Seite ein Finanzminister, der jeden Blödsinn aus der Steuerkasse bezahlen soll, ohne Rücksicht auf Verluste. Und dann vertritt er noch den kleinsten Partner in der Ampel, und auch in seiner Partei gibt es genügend politisch korrekte Mitläufer des vermuteten Zeitgeistes. Doch der könnte auch ein Phantom sein - allerdings nicht aus der Oper.

WELT AM SONNTAG: Wenn wir ins nahe Ausland blicken: Nach Schweden hat auch Italien bei Wahlen einen Rechtsruck erlebt. Worin sehen Sie die Gründe?

Aust: Die Wähler haben offenbar nicht nur hierzulande das Gefühl, dass die Politik sie im Stich lässt, dass sie sich um alles kümmert, nur nicht um deren Interessen. Meistens lädt sich das an der Migrationspolitik auf. Da hat es auch den schwedischen Sozialdemokraten nicht mehr viel genutzt, dass sie einen Kurswechsel eingeschlagen haben. Offenbar zu spät. Ein Sozialstaat, der jeden einreisen lässt, wird irgendwann keiner mehr sein. Das merken die Bürger eher als die Politiker. Ein freundliches „Wir schaffen das“ schafft dann seine eigenen Alternativen.

WELT AM SONNTAG: Wie schätzen Sie in dieser Gemengelage das Potenzial der AfD in Deutschland ein?

Aust: Schon der Name ist je eigentlich eine Erfindung von Angela Merkel. Wer seine eigene Politik immer wieder als „alternativlos“ bezeichnet, darf sich nicht wundern, wenn sich zügig irgendwelche sehr unerfreulichen Alternativen auftun. Aber die eignen sich dann auch sehr gut, abweichende Meinungen zu diskreditieren. Deshalb ist ja AfD in Wirklichkeit auch das Kürzel für „Aktionskreis für die Diskriminierung unliebsamer Meinungen“. Was nicht korrekt ist, ist eben rechts. Das ist ja dann wie am Südpol. Von da aus gesehen geht es ja auch in jeder Richtung nach Norden.

Stefan Aust ist Herausgeber der WELT AM SONNTAG. Die Fragen stellte Jörn Lauterbach.

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen