Fakten, Fakten, Fakten: Der Pioneer-Outlook 2023
Bei der Bundesregierung mit ihren rosaroten Inflationsvorhersagen ist es schwarz auf weiß nachzulesen; bei den anderen Beteiligten zumindest die Absicht zu spüren: Man scheut sich, der Bevölkerung die Wahrheit zu sagen.
Man will nicht zuerst informieren, sondern beruhigen.
Aus Angst vor politischer Unruhe baut man potemkinsche Dörfer.
An dieser Form der Schönfärberei möchte sich ThePioneer nicht beteiligen. Wir glauben, dass die österreichische Essayistin Ingeborg Bachmann Recht hat:
"Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar".
Hier also – in aller gebotenen Klarheit – unser ökonomischer Forecast für 2023:
Prognose 1: 2023 wird das Jahr einer weltweit sich beschleunigenden Entwertung aller Zahlungsmittel. Die Inflation ist gekommen, um zu bleiben. Gründe für die hohe Inflation sind die nachhaltig hohen Rohstoffpreise sowie die weiterhin steigenden Energiekosten. Die deutschen Wirtschaftsinstitute rechnen in ihrer Gemeinschaftsprognose mittlerweile mit einer durchschnittlichen Inflation von 8,8 Prozent im kommenden Jahr. Dass Wirtschaftsminister Robert Habeck die Geldentwertung niedriger ansetzt, ist sein Wunsch, aber nicht die Wirklichkeit.
Prognose 2: Die Kreditsucht der Staaten nimmt weiter zu. Da die Regierungen die Folgen der Rezession für ihre Wähler dämpfen wollen, steigt die Nettokreditaufnahme – trotz verteuerter Refinanzierung. Im Zuge der Covid-Pandemie hat die weltweite Staatsverschuldung um 25 Prozent auf 65,4 Billionen US-Dollar zugelegt – das entspricht dem 19-fachen der deutschen Wirtschaftskraft. Vorsicht: Das Risiko von Staatsschuldenkrisen steigt, insbesondere in den Entwicklungsländern.
Prognose 3: 2023 wird das Jahr eines globalen Profit-Squeeze. All jene Unternehmen, die steigende Löhne und anziehende Kosten, z.B. die ihrer Vorprodukte, nicht auf den Endverbraucher überwälzen können, werden schrumpfende Gewinne oder sogar Verluste erleiden. Der Economist prophezeit:
Profitability will be squeezed, while corporate investment will slow amid rising interest rates.
Prognose 4: In 2023 werden wir eine historische Pleitewelle im Westen erleben, die vor allem kleine und mittlere Unternehmen erfassen dürfte. Viele schon heute rendite-schwache Unternehmen rutschen im kommenden Jahr in die Verlustzone. Überall da, wo mit niedrigen Zinsen und günstigen Energiekosten kalkuliert wurde, drohen Verlustgeschäfte. Die Kalkulation von gestern ist der Grabstein von morgen.
Laut den Analysten von Atradius werden die Insolvenzen in Deutschland im kommenden Jahr um 25 Prozent steigen. Zum Vergleich: Für die USA prognostizieren die Experten einen Anstieg von 81 Prozent, für Frankreich 43 Prozent.
Prognose 5: 2023 wird zum Stromabriss bei den Direktinvestitionen in Deutschland führen. Die verteuerte Energiebasis und die schrumpfende Globalnachfrage zwingen die Firmen im In- und Ausland, eine Investitionsentscheidung zugunsten des Standorts Deutschland zu überdenken. Der BDI meldet: Jede vierte Firma denke darüber nach oder sei bereits dabei, Teile der Produktion sowie Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern.
Prognose 6: Wir werden eine weitere Zunahme geopolitischer Spannungen erleben – und damit eine erneute Welle der Migration. Tatsächliche Spannungen, wie der Ukraine-Krieg, oder auch nur befürchtete Spannungen, wie eine Invasion auf Taiwan, setzen Familien unter Stress und führen dazu, dass alternative Lebensstandorte angesteuert werden. Allein aus der Ukraine kamen seit Kriegsbeginn 1,3 Millionen Menschen nach Deutschland.
Prognose 7: 2023 wird das Jahr der verschärften Rivalität um die technologische Führung der Welt. Die USA wollen nicht den Rückzug aus allen Ex- und Importbeziehungen, wohl aber das Ende der Kooperation im Hochtechnologiebereich. Das US-Bureau of Industry and Security hat Sanktionen gegen Chinas Halbleiterindustrie verhängt. Auch die Partner der USA, zum Beispiel Deutschland, sollen zum Decoupling gedrängt werden.
Prognose 8: China wird 2023 erneut die Wachstumslokomotive der Welt sein. Für China erwartet das IWF ein Wachstum von 4,4 Prozent, für die USA ein Wachstum von einem Prozent. Der Grund dieser Disparität: Die chinesische Volkswirtschaft hat weder Inflations- noch Energieprobleme. Die USA dagegen werden – auch durch die Zinspolitik der Fed – vorsätzlich in eine milde Rezession geführt, um den Preisanstieg zu bremsen.
Prognose 10: Der produktive Kern Deutschlands schrumpft. Das Land kann sein Potenzialwachstum auch in 2023 nicht leisten. Energieverteuerung und Facharbeitermangel – letzterer wird von den Verbänden beklagt, aber von der Politik nicht adressiert – führen dazu, dass Deutschland seine ökonomischen Potenziale nicht ausspielen kann.
Dieses Jahr sinkt die Zahl von Fachkräften im typischen Berufsalter um 150.000,
so die Bundesagentur für Arbeit. Damit schmilzt der produktive Kern
unseres Landes. Laut dem Vorstandsvorsitzenden der Arbeitsagentur
brauche Deutschland rund 400.000 „gezielte Zuwanderer“ pro Jahr.
Prognose 11: 2023 wird das Jahr der massiven Reallohnverluste. Der Grund: Die hohe Inflation und insbesondere die Steigerung der Energie- und Lebensmittelpreise können
durch Lohnerhöhungen nicht ausgeglichen werden. Die Gewerkschaften
zeigen wirtschaftliche Verantwortung und versuchen gar nicht erst, die
in Gang gekommene Lohn-Preis-Spirale zu beschleunigen. Der Nachteil: Moderate Lohnabschlüsse vergrößern die Reallohnverluste.
Prognose 12: 2023 wird das verlorene Jahr im Kampf gegen die Klimakatastrophe. Im Zuge der weltweiten Energiekrise kommt es zur Aktivierung und Reaktivierung von Kohle, Öl und Gas. Nach Berechnungen des Economist Intelligence Unit (EIU) nimmt der Gasverbrauch in Europa zwar leicht ab (minus 1,7 Prozent), soll aber in Asien um 2,4 Prozent steigen. Der Kohleverbrauch
wird von der verstärkten Konzentration der Politik auf die
Energiesicherheit profitieren und 2023 das dritte Jahr in Folge steigen,
wenn auch nur geringfügig. Der Ölverbrauch wird um 1,4 Prozent steigen, vor allem in Asien, wo der Verbrauch um 2,9 Prozent zunehmen wird.
Profitieren wird also auch 2023 vor allem die kleine Gruppe der Ölriesen. Saudi-Aramco, aktuell auf Platz zwei der wertvollsten Unternehmen der Welt, dürfte hohe Chancen haben, erneut an die Spitze der Weltwirtschaft zu gelangen.
Prognose 13: Die Lebenserwartung steigt wieder. Aktuell werden Frauen in Deutschland durchschnittlich 83 Jahre alt, Männer hingegen nur 78 Jahre, sagt das Statistische Bundesamt. In der Covid-Pandemie ging in Deutschland die Lebenserwartung um ein knappes halbes Jahr zurück, in den USA sank sie sogar um fast zwei Jahre. Für 2025 ist in Deutschland von einer Lebenserwartung von 84,2 Jahren, bzw. 79,7 Jahren auszugehen, sagt das Statistische Bundesamt in einer Modellrechnung für die Zeit bis 2025.
Prognose 14: Die Welt wird zunehmend von Autokraten regiert. Die Zahl der Menschen, die in einer Demokratie leben, sank zwischen 2017 und 2021 von 3,9 Milliarden auf 2,3 Milliarden. In denselben Jahren sank die Zahl der Menschen, die in liberalen Demokratien leben – also jene, die neben freien Wahlen auch Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit und ein Recht auf Privateigentum genießen – von 1,2 Milliarden Menschen auf eine Milliarde Menschen. Dieser Prozess wird sich bei zunehmender ökonomischer Instabilität verschärfen.
Prognose 15: Die Armut in Deutschland dürfte zunehmen. Schon in 2022 leben laut Statistischem Bundesamt 15,8 Prozent der Deutschen an der sogenannten Armutsgefährdungsgrenze. Die Armutsgrenze wird derzeit definiert als ein monatliches Haushaltseinkommen von 1250 Euro pro Alleinlebenden. Rund zehn Millionen deutsche Arbeitnehmer arbeiten derzeit für den Mindestlohn. Geringverdiener und Kleinstrentner schiebt die Wirtschaftskrise in die rote Zone, wo für nicht wenige das Hungern und das Frieren beginnt. Das hat es in Deutschland zuletzt in der unmittelbaren Nachkriegszeit gegeben.
Prognose 16: Das Angebot am Wohnungsmarkt wird sich spürbar weiter verknappen. Inflation und Zinsanstieg haben große Teile des Immobilienmarktes, der mit einer minimalen Zinsbelastung kalkuliert war, in die Unrentabilität befördert. Plus: Viele Möchte-Gern-Bauherren bekommen aufgrund erhöhter Risikovorsorge der Banken derzeit keine Hypothekenkredite. Im September waren laut ifo-Institut 16,7 Prozent aller Neubauprojekte von Stornierung betroffen. Das Regierungsziel – 400.000 neue Wohnungen in 2023 – ist unter diesen Bedingungen irreal.
Prognose 17: Der Anteil der erneuerbaren Energien steigt weiter, wenn auch langsamer als geplant.
Weltweit wird der Anteil der erneuerbaren Energien an der Energieproduktion laut Daten der Internationalen Energieagentur um elf Prozent steigen, in Asien sei ein schneller Ausbau zu erwarten. Die Agentur zeigt sich aber auch für Europa optimistisch:
Der Anstieg des Kohleverbrauchs in Europa wird voraussichtlich nur vorübergehend sein, da eine starke Pipeline neuer Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien im Jahr 2023 rund 50 Gigawatt an Kapazität hinzufügen wird.
Die Regierungen werden innovativ bei der Schaffung von Anreizen für Elektrofahrzeuge, um den Verkauf von umweltfreundlichen Fahrzeugen zu fördern, ohne zu hohe Kosten zu verursachen und ohne einkommensstarke Haushalte zu begünstigen.
Trotz dieser Erfolge der Elektropioniere: In vielen Märkten, auch dem der USA, bleibt der Verbrenner die Nummer eins
Fazit: Wer nicht möchte, dass die negativen Prognosen Wirklichkeit werden, muss dafür hart arbeiten. Die regierungsamtliche Beschönigung von Missständen ist für alle, die den Fortschritt lieben, keine Option. Wer Veränderung will, der muss die Gegenwart anerkennen. Oder wie der deutsche Dramatiker Friedrich Hebbel zu sagen pflegte:"Der Utopist sieht das Paradies, der Realist das Paradies plus Schlange".
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